POLITISCHE WRACKS AM WEGRAND

Lauterbachs Luftschloss

Von Sarah Kramer und Torsten Dittkuhn, Unternehmenskommunikation BKK Dachverband

Es ist ein harter Schlag, der die Versicherten empfindlich trifft: Die Zusatzbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dürften im kommenden Jahr so teuer werden wie noch nie. Experten des Schätzerkreises haben den Krankenkassen empfohlen, den durchschnittlichen Zusatzbeitrag ab 2025 um 0,8 % auf 2,5 % anzuheben. Dennoch sagt der noch amtierende Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für die Zukunft stabile Beitragssätze in der GKV voraus. Eine Milchmädchenrechnung, wie die Betriebskrankenkassen bereits in ihrer diesjährigen Sommerkampagne #WasFehltZahlstDu kritisierten.

KI generiertes Schloss

GKV-Finanzierung – Lauterbachs Luftschloss

Steigende Kosten, zu geringe Einnahmen: In den Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) klafft ein tiefes Loch. Den prognostizierten Einnahmen der Krankenversicherungen
aus dem Gesundheitsfonds in Höhe von rund 294,7 Milliarden Euro stehen im kommenden
Jahr Ausgaben für die medizinische Versorgung in Höhe von 341,4 Milliarden Euro gegenüber,
errechnete der Schätzerkreis aus Sachverständigen des Bundesgesundheitsministeriums
(BMG), des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS) und des GKV-Spitzenverbandes.

Viele Zusatzbeiträge könnten zum Jahreswechsel auf Rekordniveau klettern

Um diese gravierende Finanzierungslücke zu schließen und die Gesundheitsversorgung der rund 75 Millionen gesetzlich Versicherten auch im Jahr 2025 sicherzustellen, hält das Expertengremium eine Anhebung des durchschnittlichen Zusatzbeitrages auf 2,5 % des Bruttoeinkommens von Beschäftigten im kommenden Jahr für notwendig. Die empfohlene Anhebung um 0,8 % zum Jahreswechsel ist die höchste seit fast 50 Jahren. Derzeit liegt der allgemeine Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung bei 14,6 %. Hinzu kommt der kassenindividuelle Zusatzbeitrag, den das BMG für 2024 noch mit durchschnittlich 1,7 % angesetzt hat. Arbeitgebende und Arbeitnehmende finanzieren die Krankenkassenbeiträge jeweils hälftig. Der Schätzerkreis bewertet auf Basis der amtlichen Statistik die Entwicklung der Einnahmen, Ausgaben und Zahl der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung im laufenden Jahr und gibt jeweils im Herbst eine Prognose über die weitere Entwicklung im Folgejahr ab.

Wie hoch die Zusatzbeiträge in der GKV im Jahr 2025 für die einzelnen Versicherten und die Wirtschaft tatsächlich ausfallen werden, ist allerdings noch offen und hängt von der jeweiligen finanziellen Lage der einzelnen Krankenkasse ab. Denn was der Schätzerkreis errechnet, ist der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz, der notwendig wäre, um die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben des Gesundheitsfonds zu schließen. Jede einzelne Krankenkasse entscheidet aber letztlich für sich, ob und in welcher Höhe sie ihren Zusatzbeitrag anpasst.

Der Kostendruck in der GKV ist hoch, die Reserven sind aufgebraucht

Der Kostendruck in der GKV ist seit geraumer Zeit immens. Vor allem die steigenden Ausgaben für Arzneimittel und für Krankenhausbehandlungen lasten auf den Kassen – und ein Ende der Preisdynamik ist nicht in Sicht. Aber auch die steigenden Ausgaben der GKV für versicherungsfremde Leistungen bringen diese mehr und mehr in finanzielle Bedrängnis. Grund hierfür ist, dass die Krankenkassen und damit die Versichertengemeinschaft für immer mehr gesamtgesellschaftliche Aufgaben bezahlen müssen, die nicht in ihren eigentlichen Verantwortungsbereich, also die medizinische Versorgung erkrankter Mitglieder, fallen. Auch die Krankenversicherungsbeiträge von Bürgergeldempfängern gehören dazu. Der Staat beteiligt sich daran lediglich mit einer Pauschale in Höhe von knapp 119 Euro je gesetzlich versichertem Leistungsempfangendem – ein vergleichsweise geringer Betrag, der bei weitem nicht ausreicht, um deren Versorgung zu finanzieren. Die Anfang November zerbrochene Ampelregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, höhere Beiträge für Bürgergeldbeziehende aus Steuermitteln zu finanzieren. Leider ein leeres Versprechen, das die Politik bis heute nicht eingelöst hat.

     

Die vom Schätzerkreis aus Sachverständigen des Bundesgesundheitsministeriums, des Bundesamtes für Soziale Sicherung und der Kassen empfohlene Anhebung der Zusatzbeiträge zum Jahreswechsel ist die höchste seit fast 50 Jahren.

     

Versicherungsfremde Leistungen kosten Krankenkassen Milliarden

Versicherungsfremde Leistungen sind teuer: Schätzungen zufolge kosten sie die GKV zwischen 20 und 57 Milliarden Euro pro Jahr. Zwar leistet der Bund hierzu einen Zuschuss. Doch der Betrag, den der Bund seit 2004 jährlich an die GKV zahlt, zuletzt 14,5 Milliarden Euro, ist nur ein Tropfen auf den immer heißer werdenden Stein. Das im Koalitionsvertrag verankerte Versprechen, für eine stabile und krisenfeste Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zu sorgen und in diesem Zuge auch den Bundeszuschuss zur GKV „regelhaft“ zu dynamisieren, hat die Ampelregierung ebenfalls nicht eingelöst.

Keine Reserven mehr: Versicherer mussten Rücklagen abschmelzen

Zudem sind die einst vorhandenen Finanzreserven der Krankenkassen aufgrund politischer Entscheidungen der Vergangenheit aufgebraucht: Erstmalig unter dem damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und nach dem Regierungswechsel unter seinem Nachfolger Karl Lauterbach wurden die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet, ihre Rücklagen weitgehend abzuschmelzen.

Ohne Rücklagen verliert die GKV wichtigen Bewegungsspielraum: Rücklagen bedeuten kassenindividuelle finanzielle Flexibilität, um Beitragssatzschwankungen und Ausgabendynamiken abfedern zu können. Sie verschaffen zumindest kurz- bis mittelfristig Handlungsspielraum – insbesondere in zeitlicher Hinsicht, was nicht unerheblich ist, wie wir in diesem Jahr mit mehreren kurzfristigen und unterjährigen Beitragssatzerhöhungen gesehen haben

Viele Versicherte sahen sich bereits 2024 mit Beitragserhöhungen konfrontiert

54 gesetzliche Krankenkassen haben ihren Zusatzbeitrag im Laufe des Jahres bereits ein- oder mehrmals nach oben korrigieren müssen. Innerhalb der GKV geht die Spannbreite der einzelnen Zusatzbeiträge und die Schere zwischen der günstigsten und der teuersten Krankenversicherung immer weiter auseinander: Je nach Kasse werden derzeit zwischen 0,7 % und 3,9 % fällig.

Düstere Prognose: Das Delta der Krankenversicherung wächst weiter

Die Unternehmensberatung Deloitte hat jüngst errechnet, dass die derzeitige Unterdeckung in der GKV, also die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben, bis zum Jahr 2050 je nach Szenario auf 380 bis 590 Milliarden Euro anwachsen könnte, wenn nicht gegengesteuert wird. Gesundheitspolitische Gesetzesvorhaben wie das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) für die Umsetzung der Klinikreform und die Gesetze zur Gesundheitsversorgung und Medizinforschung, die vom Bundestag bereits verabschiedet sind, aber ihre finanzielle Wirkung erst in Zukunft entfalten werden, sind in den Berechnungen von Deloitte berücksichtigt. Allein für die Umsetzung der Krankenhausreform – sollte sie denn trotz Koalitions-Aus noch kommen – müssten die gesetzlichen Krankenkassen respektive ihre Versicherten zwischen 2026 und 2035 insgesamt 2,5 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich aufbringen. Auch das geplante Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) würde für die Krankenkassen erhebliche Mehrkosten bedeuten. Demnach sollen Hausärztinnen und Hausärzte ihre Leistungen künftig ohne festgesetzte Obergrenze abrechnen können (Entbudgetierung).

      

Düstere Prognose von Deloitte: Wenn nicht entschlossen gegengesteuert wird, kann die Unterdeckung der GKV bis 2050 auf 380 bis 590 Milliarden Euro anwachsen.

     

Crossmediale Kampagne des BKK Dachverbandes thematisierte Missstände

Die Betriebskrankenkassen fordern seit langem, dass die Politik der Kostenexplosion im Gesundheitswesen endlich einen Riegel vorschiebt und die gesetzliche Krankenversicherung auf eine gerechte, solide und vor allem krisenfeste finanzielle Grundlage stellt. Wir brauchen ein Finanzierungssystem, das die Gesundheitsversorgung der Bürgerinnen und Bürger sichert und die Versichertenbeiträge dauerhaft stabil hält. Doch die politisch Verantwortlichen, allen voran Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), haben die GKV-Finanzen bislang nicht auf ihre Agenda gesetzt. Dennoch ist sich der Minister sicher, dass die Versichertenbeiträge in der GKV nach 2025 stabil bleiben werden, wie er Mitte Oktober in einem Interview mit einer Sonntagszeitung öffentlichkeitswirksam verkündete.

Für die Versicherten wäre es schön, wenn Karl Lauterbach mit seiner optimistischen Prognose recht behielte – allein die erdrückende Faktenlage spricht entschieden dagegen. Aus diesem Grund hat der BKK Dachverband zusammen mit seinen Mitgliedskassen bereits im August und September dieses Jahres im Rahmen einer crossmedialen Kommunikationskampagne auf die finanzielle Notsituation der GKV, ihre Ursachen und die daraus resultierenden Folgen für die Versicherten aufmerksam gemacht. Die Beiträge mit dem Hashtag #WasFehltZahlstDu auf der Landingpage www.bkk.de/GKV-Finanzen des BKK Dachverbandes, auf den Social-Media-Kanälen LinkedIn, Instagram und X sowie in den Mitgliedszeitschriften der Betriebskrankenkassen zielten darauf ab, Versicherte, Politik, Fachöffentlichkeit und Medien auf die dramatische Finanzsituation der GKV und die Hintergründe aufmerksam zu machen. Das Ziel: Den politischen Druck für eine GKV-Finanzreform durch die direkte Ansprache von Ministerien und Abgeordneten auf Bundes- und Länderebene, Arbeitgeberverbänden und Trägerunternehmen der Betriebskrankenkassen zu erhöhen.

Sowohl führende Tageszeitungen und Magazine als auch Fachzeitschriften und das Fernsehen haben das Thema der Kommunikationskampagne #WasFehltZahlstDu aufgegriffen und über die GKV-Finanzmisere berichtet. Auch in der politischen Sphäre sind die Botschaften – dem Vernehmen nach – angekommen. Nach dem Bruch der Ampelkoalition gilt es nun, den Druck aufrechtzuerhalten und die Reform der GKV-Finanzen erneut auf die politische Agenda zu setzen.

Union will im Falle eines Wahlsieges zur Sozialgarantie zurückkehren

Die nun durch politische Entscheidungen unausweichlich gewordenen Beitragssatzerhöhungen treffen die GKV-Beitragszahlende – Arbeitnehmende wie Arbeitgebende – gleichermaßen hart. Unter der Dynamik bei den Beitragssatzsteigerungen leidet auch der Wirtschaftsstandort Deutschland und damit die Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten des internationalen Fachkräftemangels. Die lange beschworene Sozialgarantie von 40 % ist längst Geschichte, und die Abwälzung der Kosten, die eigentlich Bund, Länder oder Kommunen tragen müssten, auf die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler geht munter weiter. Die Spirale dreht und dreht sich. Die Union hat bereits vor Wochen angekündigt, im Falle eines Wahlsieges noch im Jahr 2025 zur Sozialgarantie zurück zu wollen – konkrete Maßnahmen hierfür hat sie jedoch bislang nicht genannt.

Politik muss Gesundheitsversorgung langfristig finanziell stabilisieren

Der GKV bleibt daher nichts anderes übrig, als weiterhin Strukturreformen, einen effizienteren Mitteleinsatz und die konsequente Übernahme gesamtgesellschaftlicher Kosten durch Steuermittel einzufordern. Statt Lippenbekenntnisse abzugeben, sollte die Bundesregierung endlich bereit sein, die Gesundheitsversorgung langfristig finanziell zu stabilisieren und im Sinne der Patientinnen und Patienten gezielt zu verbessern. Mittlerweile sollte es sich in der Politik herumgesprochen haben: Teure Klientelpolitik ohne Nutzen für die Versicherten kann sich das Gesundheitssystem nicht leisten. Zusätzliches Geld darf nur und ausschließlich in echte Strukturreformen fließen. Dies ist dringlicher denn je, da immer neue Gesetzesvorhaben ohne erkennbaren Effizienzgewinn angekündigt werden. Dass diese zu Beitragssenkungen führen könnten, ist ein Luftschloss, das Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach aufgebaut hat.

Beitragssatzsteigerungen verunsichern Versicherte

Beitragssatzsteigerungen verunsichern die Versicherten und bringen die Krankenkassen in schwieriges finanzielles Fahrwasser, was mit nachhaltigen Reformen vermeidbar gewesen wäre. Entgegen der Behauptung von Karl Lauterbach vor wenigen Wochen im Handelsblatt, Beitragssatzerhöhungen seien „mathematische Berechnungen“ und „keine Entscheidung des Ministers“, steht fest, dass er mit seinen Entscheidungen und Gesetzen maßgeblich für steigende Beiträge verantwortlich ist.

Das Gesundheitssystem wartet gespannt auf Neuwahlen und deren Folgen

Nun ist die Ampelkoalition Geschichte, und die Frage, ob der Bundestag in den kommenden Wochen überhaupt noch Gesetze beschließend wird, ist bisher unbeantwortet. Sollte keines der Gesetzesvorhaben von Karl Lauterbach bis zum Ende der Legislaturperiode zur Abstimmung kommen, greift das Diskontinuitätsprinzip und die Vorhaben müssen in der nächsten Legislatur neu aufgesetzt werden. Eine lange Hängepartie mit möglicherweise gravierenden Folgen für die Versorgung. Auch die zukünftige Ausrichtung der Gesundheitspolitik könnte über Monate ungewiss bleiben.

Schaut man auf die Ausgabendynamik in der GKV, bleibt wenig Spielraum für aufgeschobene Lösungen. Die Lösungsvorschläge der Krankenkassen liegen bereits seit Jahren auf dem Tisch. Die Politik muss jetzt endlich ins Handeln kommen. Wer und in welcher Konstellation das tut, ist für die Sache unerheblich. Hauptsache, die Probleme werden angegangen.

Lesen Sie hier die Gesamtausgabe des BKK Magazins Nr. 6

BKK Magazin "Ich bau' dir ein Schloss"