KI INNOVATIONSFORUM TEGERNSEE

Die Liga der Begeisterten

Von Stefan B. Lummer

KI verändert das Gesundheitswesen gerade grundlegend und in einem Tempo, das Gesetzgebung oder auch nur das Nachdenken über staatliche Rahmen weit hinter sich lässt. Der politische Betrieb in Berlin versteht den Leadership Mindset nicht, der die Macher in etablierten Firmen wie in der start-up-Szene antreibt. Um im geopolitisch getriebenen Wettbewerb zu bestehen, braucht die EU einen klaren innovationsfreundlichen Rahmen, nicht eine überbordende Debatte um Regulation und ein Staatsverständnis, das auf den bedürftigen und zu erziehenden Staatsbürger setzt. Der große Player Google hat sich mit KI Mustererkennung und sicheren cloud-Lösungen längst in den Forschungslaboren der Universitäten und der Pharmaindustrie etabliert. Doctolib mag hierzulande noch vereinzelt als führende Plattform für Online-Arzttermine wahrgenommen werden, das Unternehmen hat sich aber längst in die Sprechzimmer und auf die Smartphones der Patienten vorgearbeitet entlang klarer strategischer Korridore. Das vom französischen Staat aus der Banque publique d‘investissement, der Bpifrance, geförderte Unternehmen hat dem Gesundheitssektor bei unseren Nachbarn schon vor der Pandemie einen mächtigen digitalen Schub verliehen – jetzt macht Doctolib einen weiten Sprung hin zum digitalen Gesundheitsbegleiter. Beeindruckende Impulse am Tegernsee. KI-Agenten schulen Large Language Models und sie werden Arbeitsabläufe neu definieren, Wertschöpfungsketten und ganze ökonomische Landschaften disruptiv verändern. We need to embrace agentic automation, hören wir von unserer Atlantik-Gegenküste und es ist klar: First-Mover werden die Branchen prägen.

DONNA UND DER BLITZ GmbH
Help people to be healthier: Nicolay Kolev, Mitglied Global Executive Committee von Doctolib

Im Jahr 2024 sind in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes insgesamt 2.780 Menschen im Straßenverkehr tödlich verunglückt. Falsche Medikation und sich kaksadenartig aufbauende fatale Nebenwirkungen bei Mehrfachmedikation löschen jedes Jahr eine Kleinstadt in Deutschland aus: 22.000 Menschen sterben daran. Überlastete Ärzte und Pflegekräfte und fehlerhafte Diagnosen gefährden Menschenleben. KI kann ausschlaggebend helfen, Kommunikation und Prozesse zu optimieren, Kontakte zu filtern und zu lenken und dabei Reaktionszeiten einerseits zu verkürzen und zugleich nur das aktuell Wesentliche für Diagnose und Therapieentscheidung auf den Radar zu bringen. Eine präzise Reaktion auf die Erschöpfung von Ärzten und Pflegefachkräften, den mentalen Overload in Kliniken, Praxen und Seniorenheimen, ist ein strategischer Korridor, auf den Nicolay Kolev, Managing Director von Doctolib Deutschland und Mitglied des Global Executive Committee, zielt. Der zweite strategische Korridor richtet die Aufmerksamkeit auf die Qualität und Interoperabilität von Daten, um die beste klinische Dokumentation zu ermöglichen. Erhöhte Konzentration auf die digitale Interaktion mit den Patienten ist strategischer Korridor Nummer drei: help people to be healthier. Bessere Kommunikation zwischen Gesundheitsfachkräften und mit den Patienten wird die Versorgung in Richtung Gesundheit statt Krankheit lenken.

Intuitive Schnittstellen auf den Smartphones der Patienten, um mit ihren Ärzten zu kommunizieren oder auch das On- und Offboarding in einem Krankenhaus zu regeln: Dafür holt sich Nicolay Kolev interessante Partner an Bord. In der Charité Ausschreibung zur Einführung eines Patientenportals, das nach dem Krankenhauszukunftsgesetz förderfähig ist, konnte das digitale Tool Doctolib Hospital die Chefs einer der größten Universitätskliniken Europas überzeugen. Das KHZG will die Notfallversorgung der Krankenhäuser modernisieren, die Digitalisierung der Kliniken antreiben und damit bundesweite Standards entwickeln. Patienten können mit Doctolib Hospital vorab in einem sicheren Umfeld wichtige Informationen mit der Charité teilen, Anamnesebögen ausfüllen und übermitteln, mit ihren Ärzten kommunizieren und sich auf ihre Behandlung oder medizinische Eingriffe in der Charité vorbereiten. Die Integration relevanter Partner in das Patientenportal treibt die Vernetzung im Gesundheitswesen an. 80 Millionen Patienten in der EU nutzen Doctolib, in Deutschland sind es bereits 25 Millionen Menschen. Für die Entwicklung aller neuen Tools gilt: „AI first“, sagt Nicolay Kolev am Tegernsee. 
 

  • Reaction on mental overload
    Der physischen und mentalen Erschöpfung des medizinischen Personals (Ärzte und Pflege) mit Entlastung begegnen.

  • Best clinical documentation
    Raus aus den Datensilos, rein in die Interoperabilität.

  • Enhanced focus on interaction with patients
    Erhöhte Konzentration auf intuitive Kommunikation via App: 
    help people to be healthier

Daten sind die neue Währung 
unserer Solidargemeinschaft.

– Friedrich von Bohlen und Halbach, Molecular Health

Wir putzen Daten. Friedrich von Bohlen und Halbach, Gründer von Molecular Health, beschreibt im Panel AI STOP CANCER in einem einfachen Satz die erforderliche Investition in Datenqualität, um dann seinen Punkt zu machen: „Krebs hat die beste Chance zuzuschlagen, wenn er nicht verstanden wird.“ Kluge Gedanken zu Datenambiguität, zu der Vermutung, dass ein erheblicher Teil der publizierten Studien nicht stimmen kann, weil es nicht gelungen ist, Daten zu kontextualisieren. Daten seien stets zu hinterfragen und deren Wahrheitsgehalt und Relevanz zu prüfen. Das Elend der Leitlinien im Tempo der Disruption durch KI: „Wenn ich heute nach einer Leitlinie behandelt werde, kann ich nur hoffen, mit meiner Krankheit in der Mehrheit der Patientengruppe zu sein, auf die diese Leitlinie zutrifft.“ Doch der Blick in unsere Gene plus eine explodierende Ausweitung enormer Rechenleistung und Unterstützung durch die Mustererkennungsmaschine KI ermöglicht, was der Molekularbiologe Friedrich von Bohlen die molekulare Revolution nennt. Den Sprung zur precision medicine, der personalisierten Medizin. Statt Herumdoktern am Tumor führt uns KI in eine neue Phase: [Si-M] Der Simulierte Mensch. In Berlin ist an der Charité ein Gebäude entstanden, in dem Wissenschaftler gemeinsam daran arbeiten, die Funktionen menschlicher Zellen und Gewebe mit neuen Technologien der 3D Kultivierung, Multi-Organ-Chips oder des 3D Bioprintings zu simulieren: a research space where engineering meets medicine. Im Forschungsraum Si-M werden Grenzen zwischen unterschiedlichen Wissenschaftskulturen überwunden. Von den großartigen Chancen für die Krebsmedizin hat Friedrich von Bohlen den Bogen zur Gretchen-Frage der KI geschlagen: Wie halte ich es mit meinen eigenen Daten? – und sich klar positioniert: „Daten sind die neue Währung unserer Solidargemeinschaft.“ Ein Anspruch, der mitten hinein in eine schwierige ethische Frage führt: Gibt es ein Anrecht, mit revolutionär neuen Therapiemethoden behandelt zu werden, die aufgrund von Daten anderer entwickelt wurden?
Die Frage ist ein Hebel, der das Solidaritätsprinzip, das im deutschen Gesundheitssystem verankert ist, aushebeln kann, wenn man sie durchdekliniert. Denn das solidarische Sicherungsversprechen für den bezahlbaren Zugang zu Diagnose und Behandlung gilt auch für Kettenraucher und couchpotatoes mit adipösem Ernährungszustand.

DONNA UND DER BLITZ
Friedrich von Bohlen und Halbach, Gründer von Molecular Health, Dr. Alexandra Farfsing, Roche Diagnostics und Professor Jochen A. Werner, auf dem spannenden Panel AI STOP CANCER.

Das 10XD Innovationsforum Künstliche Intelligenz am Tegernsee war auch im zweiten Jahr ein inspirierendes Treffen mit großartigen Impulsen und Gesprächen im geschützten Raum: Big Player treffen auf Start-ups: Google, Doctolib, Roche und NVIDIA waren dabei und junge Unternehmen aus dem MedTech-Bereich haben die Chance genutzt, sich sichtbar zu machen und zu vernetzen. Großes Lob für die Organisation dieses bemerkenswerten Formats an Prof. Dr. David Matusiewicz, Prof. Dr. Jochen A. Werner und selbstverständlich Dr. Siegfried Marquardt, der zudem ein prima Gastgeber war. Siegfried Marquardt hat in diesem Magazin im Frühling 2024 den Artikel LEADERSHIP-WISSEN IM SPITZENSPORT geschrieben und wertvolles Wissen zu KI in der Sportzahnmedizin geteilt. Das KI Innovationsforum hat er in einem LinkedIn-Post zusammengefasst, den wir hier dokumentieren. 

„Das KI Forum am Tegernsee hallt nach und ich fasse beeindruckt zusammen“, schreibt Dr. Siegfried Marquardt auf LinkedIn.


KI verändert die Medizin auf vielfältige Weise

 

  • Optimierung und Beschleunigung von Diagnostik und Therapie
  • Individualisierung von Therapien und Risikobewertungen
  • Unterstützung von Tumorboards und Entscheidungsprozessen
  • Verbesserung von Prognosen und medizinischem Monitoring
  • Beschleunigung von Arzneimittelentwicklung und Rehabilitation
  • Nachhaltige Veränderung der Arbeitswelt im Gesundheitswesen
     

Doch eine zentrale Erkenntnis prägte das Forum: Die größere Herausforderung ist nicht die Künstliche Intelligenz – sondern der Mensch!

Es gab interessante Perspektivwechsel am Tegernsee abseits unserer Zunft, etwa vom Porsche Innovationszentrum: Neuwagen des Spitzenmodells fahren automatisch, Automotive ist nicht mehr das zentrale spannende Feld. Das intelligente Auto, das seinen Fahrer mit Hilfe von KI besser kennenlernt, ist die Herausforderung: von Sitz- und Spiegeleinstellung bis zum Fahrverhalten. Und: Das Auto nutzt seine Datenmengen aus dem Gebrauch, um nicht auf eine Panne zu warten: KI ermöglicht eine proaktive Diagnose des Fahrzeugs, bevor ein Schaden auftritt. Diesen Mindset aus der Industrie kann das Gesundheitswesen nutzen für den Paradigmenwechsel hin zur Gesunderhaltung als Hauptziel. „Die Mehrwerte von KI sind echt und dauerhaft“ hat Daniel Nierhauve, Co-Founder von 9elements am Tegernsee gesagt.

„Bildung, kritisches Denken und eine neugierige Haltung sind essenziell, um KI verantwortungsvoll und effektiv in den medizinischen Alltag zu integrieren“, hat Prof. Dr. Jochen A. Werner im prominent besetzten Panel AI STop CANCER betont. Moderiert haben zwei Philosophen: Dr. Rebekka Reinhard, Gründerin und Editor-in-Chief des Magazins „human“ und Thomas Vašek, Head of Content für das Magazin. Deren Blick auf KI und den Menschen hat dem Panel-Gespräch eine besondere Richtung gegeben, es war eine „über den Tag hinausgehende Moderation“, wie Friedrich von Bohlen lobte. Denn am Ende des Tages muss sich der Gebrauch von KI, an den Fragen unseres Lebens orientieren und bewähren. In diesem Magazin haben wir im Herbst darüber geschrieben, was Leadership Mindset bei der Digitalen Transformation von Industrie und Gesundheitswesen ausmacht: User Experience. Die absolute Priorisierung des eigenen Handelns auf positive Nutzererlebnisse. 

Der Artikel KI UND LEDERHOSEN war im Herbst 2024 – 300 Jahre nach 1724 – auch eine Reise zu dem in Königsberg geborenen großen Philosophen Immanuel Kant mit Gedanken, die uns von einer gänzlich untechnischen Seite aus für die kommenden Debatten um KI wappnen und es lohnt sich, das noch einmal nachzulesen: „Es geht darum, Menschen und ihre Rechte in den Mittelpunkt der digitalen Transformation zu stellen. Blicken wir dabei nur auf die technische, instrumentelle Seite der Aufklärung, die Natur zu unterwerfen, den anderen zum Zweck unserer Interessen zu machen, sich höher zu stellen, Normen vorzugeben? Oder können wir in die High-Tech Welt unserer nahen Zukunft ein Erbe der Aufklärung mitnehmen, das wir mit Mündigkeit verbinden? Der Fähigkeit eines jeden Menschen, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen? Damit sind wir bei Kant angekommen und der Frage: Worauf dürfen wir noch hoffen? Darauf zu beharren, dass der Mensch frei ist. Unverfügbar.“

DONNA UND DER BLITZ GmBH
Großartige Impulse und Gespräche im geschützten Raum. Dr. Siegfried Marquardt, Zahngesundheit am Tegernsee, ist Gastgeber des KI Innovationsforums.