Disease Interception

Krankheiten vor Ausbruch bekämpfen

Der Zeitraum vor dem Ausbruch von Krankheiten rückt zunehmend in den Fokus von Wissenschaftlern: "Disease Interception", so der Terminus des neuen Forschungsfeldes, zielt darauf, durch die Auswertung von Daten aus dem genetischen Bauplan das individuelle Risiko einer Erkrankung zu bestimmen und rechtzeitig gegenzusteuern.

Reagenzgläser und Pipette

Disease Interception umschreibt das medizinische Konzept, zu verhindern, dass eine Krankheit ausbricht. Im Grunde folgen die Forschenden damit den neuen Möglichkeiten, das den Medizinern vertraute Prinzip der Früherkennung von Krankheiten mit Hilfe von molekularer Diagnostik und Big Data zu verbessern. Früherkennung will Krankheiten möglichst früh diagnostizieren, damit eine Behandlung bereits im Frühstadium leichter zu heilen ist. Die Patienten sind also bereits erkrankt, und die frühe Diagnose erlaubt die rechtzeitige Behandlung mit besseren Heilungschancen.

Forscher fahnden nach Risiken für Erkrankung

Disease Interception greift viel früher ein, nämlich bei eigentlich gesunden Menschen, die jedoch ein hohes Risiko haben, eine bestimmte Krankheit zu entwickeln.  Es geht dabei nicht um die Suche nach Frühstadien einer Erkrankung, sondern darum Vorboten zu identifizieren – sogenannte Prädiktoren. Dieser Ansatz der Fahndung nach Krankheiten ist nicht neu.

Bei bestimmten vererbbaren Krebserkrankungen ist es heute schon möglich, mithilfe von molekularer Diagnostik Menschen mit hohem Krebsrisiko zu identifizieren. Intensive Vorsorge bietet dann die Chance, eine Erkrankung rechtzeitig zu entdecken und frühzeitig mit der Behandlung zu beginnen.

Screening der Bevölkerung könnte die Welt verändern

Im Kontext der Digitalisierung eröffnet sich jetzt die Möglichkeit, mit der Verarbeitung riesiger Datenmengen und Unterstützung durch Algorithmen eine neue Dimension zu erreichen: Ein bevölkerungsweites Screening, um genetische und andere Biomarker zu erkennen und damit vorhersagen zu können, dass Krankheiten ausbrechen werden.

Fokus auf Phase zwischen Gesundheit und Erkrankung

Disease Interception identifiziert also gesunde Menschen, die Risikoträger für eine konkrete Erkrankung sind und verändert damit unseren Krankheitsbegriff. Denn die Definition von Krankheit wird in eine Zeit vorverlegt, in der ein Mensch noch keine Symptome hat. Es geht bei Disease Interception also um die Phase zwischen Gesundheit und Krankheit, ein Zeitraum, der mehrere Jahre dauern kann und in dem symptomlose, aber krank machende Prozesse im Körper ablaufen.

Biomarker lassen auf Krankheitsrisiko schließen

Deshalb ist Disease Interception auch etwas anderes als Prävention. Diese will vermeidbare Konstellationen erkennen oder ein bestimmtes Verhalten verhindern, welche die Entstehung von Krankheiten begünstigen oder Erkrankungsverläufe verschlimmern. Bei Disease Interception geht es nicht um vermeidbares Verhalten, sondern darum, frühzeitig festzustellen: Bei diesem Menschen könnte wegen bestimmter Biomarker eine Erkrankung ausbrechen.

Intervenieren bevor die Krankheit ausbricht

Nicht neu ist für Mediziner eine prophylaktische Behandlung. So erhalten Patienten mit Bluthochdruck Medikamente, um kardiovaskuläre Folgeerkrankungen zu verhindern. Neu ist bei Disease Interception eine Intervention vor der Erkrankung. Das Eingreifen der Medizin geht dabei von einem  Prozess aus, der bereits begonnen hat und ohne Intervention einen vorhersehbaren Verlauf nimmt. Forschende nutzen gern das Beispiel einer Vase, die vom Tisch fällt und die man noch rechtzeitig vor dem Aufschlag abfangen kann. Das ist eine Fiktion, eine Vordatierung des Krankheitsbegriffs in einen Zeitraum zwischen gesund und krank.  Wie hoch muss die Sicherheit sein, mit der ein Ereignis eintritt, damit man zu Recht von „Verhinderung der Krankheit“ reden kann?

Handlungsoptionen sind aus Risiken noch nicht ableitbar

Allein in den vergangenen fünf Jahren wurden beinahe 30 neue Gene entdeckt, die Menschen anfälliger für die Krebserkrankung machen. Eine direkte Handlungsoption ist jedoch aus diesem Wissen um das Risiko noch nicht ableitbar. Das Wissen um potentielle Risiken wird den Handlungsmöglichkeiten immer voraus sein. Die Entwicklung neuer Therapieansätze für bestimmte Arten von Krebs oder Alzheimer setzt Wissen um das Risiko für die Krankheitsentstehung voraus. Doch was ist mit Erkrankungen, deren Verlauf therapeutisch nicht beeinflussbar ist?

Bei vielen Krankheiten ist nicht bekannt, wie sie entstehen

Für viele Erkrankungen fehlen noch eindeutige Biomarker und das Wissen über die Krankheitsentstehung. Ziel der aktuellen Forschung ist es, zuverlässige prädiktive Aussagen zu generieren. Denn Forschung muss absichern, ob Risikovorhersagen richtig und belastbar sind – sonst besteht die Gefahr von unnötiger Verunsicherung von Gesunden und falscher Sicherheit für tatsächliche Risikopersonen.