Klimakommunikation

Wir müssen reden

Von Kerstin Blum und Henning Flaskamp, Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen

Gesundheit beginnt nicht mit Pillen oder einer Operation. Gesundheit beginnt mit Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken, Pflanzen zum Essen, erträglichen Temperaturen und einem friedlichen Miteinander. All das ist durch Klimakrise und Artensterben akut bedroht. Bereits in den zurückliegenden Sommern sind in Europa jährlich zehntausende Menschen an Hitze gestorben. Der Lancet Climate Countdown 2023 zeigt auf, dass die Zahl der Hitzetoten weltweit bis zur Hälfte des Jahrhunderts um 370 Prozent steigen könnte im Vergleich zum Beginn der 2000er Jahre. Selbst dann, wenn es gelingen sollte, die Erderwärmung auf unter 2 Grad zu begrenzen (Lancet Countdown 2023)! Die jüngsten Berichte des Weltklimarats (IPPC) verdeutlichen jedoch, dass die aktuellen Anstrengungen beim Klimaschutz nicht ausreichen werden, um dieses Ziel zu erreichen. Die Klimakrise ist eine Gesundheitskrise. Und sie bringt – nicht nur im Gesundheitssektor – gigantische Folgekosten mit sich. Allein 2022 betrug die Summe der hitzebedingten Einkommensverluste weltweit 863 Milliarden Euro (Lancet Countdown 2023). Neben tödlichen Hitzewellen bedrohen auch die Ausbreitung von Infektionskrankheiten und Allergien, Ernteausfälle durch Dürren und Extremwetterereignisse unsere Gesundheit. Das Teuerste, was wir jetzt tun können, ist: Nichts!

Eine Frau auf einem Berg

Reden oder handeln?

Das Problem drängt. Wir haben eine Jahrhundertaufgabe vor uns, für die uns weniger als ein Jahrzehnt bleibt. Dabei wissen wir eigentlich genug – seit Jahrzehnten. Viele Jahre wurde infrage gestellt, ob es den Klimawandel wirklich gibt. Viele weitere Jahre, ob er wirklich menschengemacht ist. Jetzt, ob wir die Wende überhaupt noch hinbekommen. Doch es ist höchste Zeit, die Ausflüchte hinter uns zu lassen! Dass der Klimawandel menschengemacht ist, ist eine gute Nachricht. Denn das bedeutet, dass wir diese Entwicklung noch aufhalten können, solange Kipppunkte nicht irreversibel überschritten sind. Wir, bei der Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen, setzen auf Kommunikation, die Kopf und Herz erreicht, um unseren Beitrag zum Erreichen dieses Ziels zu leisten. Aber müssten wir nicht handeln statt zu reden? Welchen Beitrag kann Kommunikation wirklich leisten?

Lust auf Zukunft

Zugegeben: Auch uns wird es nicht gelingen, Treibhausgase zu überreden, wieder aus der Atmosphäre zurückzukehren. Doch wir haben festgestellt, dass Faktenwissen allein Menschen nicht davon überzeugt, ihre Einstellungen und ihr Verhalten in einem Maße anzupassen, das der Bedrohung angemessen ist. Wir haben zu Beginn dieses Artikels die Dringlichkeit des Problems aufgezeigt. Das ist wichtig, denn Veränderungsbereitschaft hängt maßgeblich davon ab, dass und wie wir das Risiko wahrnehmen. Doch das allein reicht nicht. Immer häufiger reagieren Menschen auf den permanenten Krisenmodus mit Verdrängung und Nachrichtenmüdigkeit. Klimakommunikation muss einen Balanceakt meistern: Die Probleme benennen – und gleichzeitig Menschen dadurch nicht lähmen, sondern aktivieren. Wir müssen aufzeigen, dass sich die Anstrengung lohnt. Wie wir, wie unsere Kinder und Enkelkinder in ein paar Jahrzehnten leben werden, hängt davon ab, wie wir heute handeln. Ohne positive Zukunftsbilder sind Menschen nicht bereit, die Anstrengung einer umfassenden gesellschaftlichen Veränderung für mehr Nachhaltigkeit auf sich zu nehmen. Wir brauchen wieder Lust auf Zukunft!

Wir schaffen es gemeinsam – oder gar nicht

er durchschnittliche CO2-Fußabdruck in Deutschland beträgt knapp 11 Tonnen. Mit dem Ziel der Klimaneutralität vereinbar wäre ein Fußabdruck unter einer Tonne pro Jahr. Deshalb ist jede Einzelne oder jeder Einzelne gefragt, Veränderungen anzustoßen, die sich positiv auf den Fußabdruck auswirken: Ökostrom beziehen, mehr Fortbewegung zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem ÖPNV statt dem Auto, der weitgehende Verzicht auf Flugreisen oder mehr pflanzenbasierte Nahrung. All das bringt uns der Klimaneutralität ein Stück näher. Doch so wichtig diese individuellen Veränderungen auch sind, sie werden nicht ausreichen. Denn der Einfluss auf unseren Fußabdruck hat enge Grenzen. Wer zur Miete wohnt, kann nicht die Heizungsanlage austauschen. Wer im ländlichen Raum wohnt, ist auf eine Verkehrspolitik angewiesen, die es erlaubt, das Auto stehen zu lassen, weil es gleichwertige Alternativen gibt. Als Einzelne haben wir nur kaum Einfluss darauf, wie klimaverträglich neue Gebäude gebaut oder unsere Konsumgüter produziert werden. Genau hier entsteht jedoch der größte Teil der Treibhausgasemissionen, die den Klimawandel immer weiter antreiben.

Von Handabdruck und Fußabdruck

Die systemischen Ursachen der Klimakrise können nur politisch und auf institutioneller Ebene beseitigt werden. Das Wichtigste, was ein Einzelner jetzt tun kann, ist: kein Einzelner zu bleiben. Unser Handabdruck ist alles, was wir tun, um Nachhaltigkeit auf institutioneller Ebene voranzutreiben. Wer weniger Fleisch isst, verbessert den eigenen Fußabdruck. Wer hingegen durchsetzt, dass in der Unternehmenskantine mehr pflanzenbasiertes Essen angeboten wird, verbessert den Fußabdruck von dutzenden oder hunderten Kolleg:innen. Die Stärke des Konzepts der Planetaren Gesundheit ist, die Verflechtungen und Zusammenhänge natürlicher und menschengemachter Systeme in den Blick zu nehmen. Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde. Damit unsere Erde wieder gesund wird, müssen wir die von uns geschaffenen Systeme kritisch auf den Prüfstand stellen und überholte Paradigmen infrage stellen. Nur so wird es gelingen, den Schutz unserer Lebensgrundlagen zur Priorität zu machen.

Was ist uns wirklich wichtig?

Unsere gesamte Wirtschafts- und Lebensweise basiert auf der Nutzung fossiler Energie. Das fossile Zeitalter zu überwinden, ist nicht nur eine Frage technischer Veränderungen, sondern berührt die Identitäten vieler Menschen. Gesellschaftliche Veränderungen dieser Größenordnung können nur gelingen, wenn wir uns als Gesellschaft auf gemeinsame Ziele verständigen. Das bedeutet, dass wir mehr miteinander darüber sprechen müssen, was uns wirklich wichtig ist. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass die Kommunikation über die planetaren Krisen und ihre Bewältigung, die gemeinsamen Werte in den Mittelpunkt der Debatte rücken muss. Dann kann sie der entscheidende Treiber für den Wandel sein.

Quer durch alle gesellschaftlichen Milieus, Parteien und Altersgruppen gibt es eine Sache, die alle Menschen verbindet und eint: Der Wunsch nach Gesundheit für sich selbst und die Menschen, die man liebt. Dieses „Wozu“ hat in der Debatte bisher gefehlt. Gesundheit ist dabei einer der „Game Changer“ bei unserer Suche nach gesellschaftlichen Lösungen für die Klimakrise. Es ist das „missing link“ zwischen der globalen, aber abstrakten Gefährdung, den eigenen Werten und dem eigenen Handeln. War Gesundheit lange etwas Individuelles, wird heute immer klarer: Sie beruht auf Grundlagen, die das Gesundheitswesen weder garantieren noch behandeln kann. Gleichzeitig bietet das, was wir für den Planeten ändern müssen, bereits im Hier und heute jede Menge Zugewinn an Lebensqualität und Gesundheitschancen! Hundert Prozent erneuerbare Energien machen nicht nur den Strom sauber, sondern auch die Atemwege! Eine Verkehrswende und Stadtplanung, die sich mehr an Menschen als an Autos orientiert, bietet Raum für Bewegung und Begegnung, mehr Sicherheit vor Unfällen und saubere Luft, mehr Ruhe und Erholung. Begrünte Innenstädte bieten Schatten, Kühle und Schutz, damit unsere Städte nicht zu Hitzefallen für Ältere und Vorerkrankte werden.

Auch die Planetary Health Diet predigt nicht den totalitären Veganismus, sondern nur deutlich weniger tierische Produkte, als der durchschnittliche Deutsche derzeit zu sich nimmt. Die Folge: eine nachhaltigere Landwirtschaft, mehr Tierwohl und mehr Gesundheit, weil Übergewicht, Herzinfarkt und Schlaganfall verhindert werden. Wir haben alles zu verlieren – aber wenn wir die Transformation gut gestalten – enorm viel zu gewinnen! Auch Freiheit, Menschenrechte, Sicherheit und Demokratie sind Errungenschaften, deren Fortbestand nur auf der Grundlage intakter ökologischer und sozialer Systeme gewährleistet werden kann. Und wer das jetzt zu hochtrabend fand, den erreichen vielleicht die zahlreichen lebensnahen Alltagsbeispiele: Sport macht in einer Hitzewelle keine Freude und niemand möchte sich seinen Sommerurlaub von Starkregen verhageln lassen. Der schönste Garten ist dahin, wenn wir wegen Dürre bald nicht mehr wässern können. Letztlich berühren uns Alltagsthemen einfach viel persönlicher als abstrakte Reduktionsziele. Für viele Menschen klingt der Unterschied zwischen 1,5 oder 2 Grad nach etwas, wovon lediglich abhängt, ob man noch die Übergangsjacke anzieht oder nicht.

Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen
„Es ist schwer, ehrenamtlich die Welt zu retten, wenn andere sie hauptberuflich zerstören.“ Deshalb hat Dr. Eckart von Hirschhausen die Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen gegründet. Sie mobilisiert Gesundheitswesen, Politik und Gesellschaft für den Schutz der planetaren Gesundheit und eine enkeltaugliche Zukunft. Mit Kommunikation, die Kopf und Herz erreicht. Denn: Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde.

stiftung-gegm.de

Hören wir auf, über Eisbären zu sprechen

Immer wieder zeigen Medien planschende Kinder im Freibad, wenn sie über tödliche Hitzewellen berichten. So wird keine Dringlichkeit vermittelt. Auch Bilder trauriger Eisbären und ausgetrockneter afrikanischer Steppen, wenn es um klimawandelbedingte Dürren geht, erwecken den Eindruck: Das ist ganz weit weg von mir! Dabei ist die Klimakrise ganz nah bei uns angekommen. Nicht nur im Ahrtal, sondern auch in unseren Köpfen. Mehr als ein Drittel der Jugendlichen in Deutschland leidet unter Klimaangst. Die psychischen Folgen der Klimakrise betreffen bereits Millionen Menschen. Darüber sollten wir sprechen. Für unsere Klimakommunikation heißt das: Mehr Emotionen wagen. Es geht um die Frage, ob wir, unsere Kinder und Enkel noch eine lebenswerte Zukunft haben werden. Das betrifft uns, das macht uns betroffen und das sollten wir auch zeigen. Gerade, wenn jüngere Menschen die älteren Generationen nicht anklagen, sondern ihre Trauer, ihren Schmerz und ihre Sehnsucht nach Hoffnung sichtbar machen, kann das statt Abwehrreflexen zu echtem Umdenken führen. 

Gesundheitswesen als Botschafterin der planetaren Gesundheit

Für die Debatte ist es außerdem wichtig, dass sich nicht immer nur die üblichen Verdächtigen zu Wort melden. Der Schutz unserer Lebensgrundlagen muss eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung sein. Stattdessen diskutieren wir über „Klima“ immer mehr, als ginge es um einen Kulturkampf und Partikularinteressen. Klimaschutz ist kein Thema der „Jugend“ oder der „Grünen“– Menschen in allen Bereichen der Gesellschaft wollen eine gesunde Zukunft für diesen Planeten! Studien wie die des Institute for Planetary Health Behaviour in Erfurt zeigen: Es gibt eine Mehrheit in Deutschland, die sich mehr Tempo und Konsequenz beim Klimaschutz wünscht! Und gleichzeitig unterschätzen Menschen massiv, wie hoch diese Unterstützung im Rest der Bevölkerung ist. Wir haben eine Mehrheit, die nicht weiß, dass sie die Mehrheit ist! Um das zu zeigen, braucht es Menschen, die von ihren persönlichen Momenten erzählen, in denen es „Klick“ gemacht hat. Geschichten von Menschen, von denen man es erst einmal nicht erwarten würde, die aber Klimaschutz zur Priorität machen. Und gerade das Gesundheitswesen kann hier eine große Rolle spielen!

Das Gesundheitswesen ist von immenser Bedeutung für alle Bevölkerungsgruppen: Jeder Mensch hat früher oder später, oft wenn es wirklich darauf ankommt, direkten Kontakt mit seinen Menschen und Einrichtungen. Man vertraut sich den Ärztinnen und Pflegefachkräften an, den Menschen, die für die Gesundheit ihrer Mitmenschen da sind. Das hohe Vertrauen in die Gesundheitsberufe zeigt sich auch konstant in Befragungen. Wenn sich im Gesundheitswesen mehr Menschen und Institutionen sichtbar für Klimaschutz als Gesundheitsschutz einsetzen, wenn das System zu Nachhaltigkeit und planetarer Gesundheit kommuniziert, entwickelt das eine hohe Strahl- und Überzeugungskraft auch in andere Gesellschaftsbereiche. Veränderungen in der Stahlindustrie nimmt kaum jemand von uns direkt wahr. Aber wenn in Arztpraxen, Apotheken, Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen Klimaschutz zum Thema wird, wenn Krankenkassen und Unternehmen der Gesundheitswirtschaft sich für Nachhaltigkeit einsetzen, Änderungen fordern und auch selbst umsetzen, bekommen wir alle das mit. Neben der Erkenntnis, dass Werte mehr bewirken als Fakten, ist die Einsicht, dass es Multiplikatorinnen braucht, denen die Menschen vertrauen, eine der zentralen Erkenntnisse der Klimakommunikation. Kaum jemand eignet sich besser dafür als die Menschen, die in verschiedensten Berufen für unsere Gesundheit da sind. Eine Grundregel in der Kommunikation lautet: Wichtige Botschaften sollte man wiederholen. Also noch einmal kurz und knapp: Lasst uns mehr über das sprechen, was uns wirklich wichtig ist. Und: Das Wichtigste, was ein Einzelner jetzt tun kann, ist: kein Einzelner zu bleiben.