Die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung leiden unter einem „Beitragsschock“, wie die Medien bundesweit berichten. Durchschnittlich stiegen die Beiträge zum Jahreswechsel um 1,1 Prozentpunkte. Dazu kommt: Viele Kassen hatten bereits im Jahr 2024 ihren Beitragssatz unterjährig angehoben. Was die Politik und Medien nicht erklären: Der derzeitige Gesamtbeitragssatz von durchschnittlich 17,5 Prozent müsste so hoch nicht sein, wenn die politisch Verantwortlichen ihre Hausaufgaben gemacht hätten. Aber bei den Bundes- und Landesregierungen der vergangenen Jahrzehnte hat sich ein unfairer und in Teilen verfassungswidriger Griff in die Taschen der GKV-Beitragszahler etabliert, der ein wesentlicher Grund für die historisch hohen Beiträge ist.




Bundesländer kommen ihrer verfassungsmäßigen Zahlungspflicht nicht nach
Die Krankenhausfinanzierung ist laut Grundgesetz Gegenstand der „konkurrierenden Gesetzgebung“: Die Länder sind dafür zuständig, es sei denn, der Bund wird selbst aktiv. Um Zweifel auszuschließen, schuf die Bundesregierung 1972 das Krankenhausfinanzierungsgesetz und verpflichtete die Länder ausdrücklich, für alle Investitionen in deutsche Krankenhäuser in ihrem Bundesland aufzukommen. Die Betriebskosten, die durch die Behandlung von Patienten entstehen, werden hingegen über die Abrechnung der Krankenhausbehandlungen gedeckt und müssen daher zum größten Teil von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden -also zum Beispiel die Gehälter der Ärztinnen und Ärzte und des Pflegepersonals sowie Medikamente und andere Verbrauchsmaterialien.
Im Jahr 1972 zahlten die Länder für Investitionen in Klinikneubauten und deren Ausstattung mit medizinischen Geräten sowie für die Erhaltung der Krankenhäuser einen Betrag, der 25 Prozent der gesamten Krankenhauskosten ausmachte. Doch dieser Elan ließ stark nach.
Bis 1993 sank der Anteil schon auf zehn Prozent, das waren 7,8 Milliarden D-Mark, also umgerechnet vier Milliarden Euro. Knapp drei Jahrzehnte später, im Jahr 2021, trugen die Länder sogar nur noch mit rund vier Prozent zu den Gesamtkosten bei. Sie investierten nur noch 3,3 Milliarden Euro in die Krankenhäuser.
Wäre der prozentuale Anteil der Bundesländer an der Krankenhausfinanzierung seit 1993 gleich hoch geblieben, läge er heute bei 10,4 Milliarden Euro. Das wären 7,1 Milliarden Euro mehr als im Jahr 2021 (dem letzten Jahr, für das alle statistischen Daten vorliegen) tatsächlich investiert wurden. Es ist davon auszugehen, dass im Jahresdurchschnitt mindestens zwei Milliarden Euro der fehlenden Investitionsfinanzierung der Länder durch Beitragsmittel - also durch die Versicherten - kompensiert werden. Entsprechend könnte der Beitragssatz um 0,1 Prozentpunkte gesenkt werden, wenn die GKV nicht mehr bei notwendigen Investitionen aushelfen müsste.
Der nächste Griff in die Tasche der Beitragszahler ist bereits beschlossen
Im Herbst ließ der Bundesrat die Klinikreform von Gesundheitsminister Lauterbach passieren, mit der über zehn Jahre eine (durchaus sinnvolle) Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft erreicht werden soll. Diese Umstrukturierung kostet viel Geld, nämlich 50 Milliarden Euro. Natürlich handelt es sich dabei um Investitionen, die laut Grundgesetz und Krankenhausfinanzierungsgesetz Ländersache sind. Der Bund könnte sich zwar beteiligen, hat aber kein Geld.
Also bürdet Gesundheitsminister Lauterbach die Hälfte der Kosten den Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherung auf. Das bedeutet 2,5 Milliarden Euro jährlich von 2026 bis 2035. Obwohl es verfassungswidrig ist, wie Rechtsgutachten belegen.
Der Bund gibt sich selbst einen Discount bei Beiträgen für Bürgergeldempfänger
Für die Krankenversicherung von Bürgergeldempfängern zahlt der Bund den Beitrag. Aber während Vollzeitbeschäftigte und ihre Arbeitgeber aktuell bereits in den untersten Lohngruppen einen Krankenkassenbeitrag von rund 350 Euro zu entrichten haben, zahlt der Bund der gesetzlichen Krankenversicherung als Beitrag für Bürgergeldempfänger gerade einmal knapp 119 Euro. Er gewährt sich also selbst einen Rabatt von über 60 Prozent. Würde der Bund fair bemessene Beiträge zahlen, hätten die Beitragszahler der GKV im Gegenzug neun bis zehn Milliarden Euro weniger aufzubringen. Das entspricht in etwa 0,5 Beitragssatzpunkten.
Knausriger Bund bei versicherungsfremden Leistungen
Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen vielfältige sozialpolitische Aufgaben, die nicht direkt eine Finanzierung von Krankheitskosten im Sinne der eigentlichen Aufgabe von Krankenkassen sind – wie etwa das Kinderkrankengeld oder Mutterschaftsgeld. Für diese sogenannten versicherungsfremden Leistungen zahlt der Bund den Krankenkassen einen Zuschuss, denn allgemeine soziale Anliegen müssen eigentlich von den Steuerzahlern finanziert werden und nicht von den Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherung.
Doch der Bund zeigt sich zunehmend geizig: Im Jahr 2017 lag der Bundeszuschuss bei 14,5 Milliarden Euro, aber seitdem gab es - abgesehen von pandemiebedingten Sonderzahlungen zur Abfederung zusätzlicher Corona-Aufwände - keine Steigerungen mehr. Im Jahr 2025 liegt er weiterhin bei 14,5 Milliarden Euro – obwohl die Kosten für die versicherungsfremden Leistungen natürlich immer weiter angestiegen sind. Eine Dynamisierung könnte die Beitragszahler, je nach Ausgestaltung und Kostenentwicklungen, um 300 bis 700 Millionen Euro im Jahr entlasten.
Ampel-Koalition schaute weg
Die Gesundheitspolitiker in Berlin kennen diese Verfassungsverstöße und Tricksereien seit Jahren. Die Ampel-Koalition schrieb sich deshalb in ihren Koalitionsvertrag, dass der Bundeszuschuss künftig kontinuierlich angepasst werden soll. Auch den ungerechten Discount beim Krankenkassenbeitrag für Bürgergeldempfänger nahmen sich die Ampel-Politiker in ihrem Koalitionsvertrag vor und versprachen „höhere Beiträge“. Doch dann passierte: Nichts!
Aber bei der Besteuerung greift der Staat durch…
Es gibt weitere unfaire Regelungen, beispielsweise die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel, die wie bei Luxusgütern 19 Prozent beträgt, obwohl auf Waren des täglichen Bedarfs nur sieben Prozent berechnet werden. Während die Mehrwertsteuer bei Monatshygieneartikeln nach einem öffentlichen Diskurs im Jahr 2019 auf sieben Prozent abgesenkt wurden, kassiert der Staat bei teils lebenswichtigen Arzneimitteln weiter ab - zulasten der Beitragszahler in der gesetzlichen Krankenversicherung. In nur drei der 27 EU-Mitgliedsstaaten wird der volle Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel erhoben. In Schweden, Irland und Malta entfällt die Steuer komplett, Frankreich schlägt nur 2,1 Prozent auf, Spanien vier. Würde die Mehrwertsteuer hierzulande wenigstens auf den ermäßigten Satz von sieben Prozent gesenkt, würden die Krankenkassen etwa 4,5 bis sieben Milliarden Euro Beitragsmittel sparen - das wären 0,2 bis 0,4 Beitragssatzpunkte.
Auch bei den sogenannten Hilfsmitteln, wie Rollstühlen oder orthopädischen Schuheinlagen, wird der volle Mehrwertsteuersatz berechnet. Die Krankenkassen gaben dafür 2023 rund elf Milliarden Euro aus. Kurioserweise unterliegt Medizintechnik aber unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen. Für Hüft- und Knieimplantate gilt der ermäßigte Mehrwertsteuersatz nur, wenn alle Komponenten zugleich bestellt werden. Wird nur ein Hüftkopf eingekauft, gilt der volle Mehrwertsteuersatz. Für Herzschrittmacher werden sieben Prozent angesetzt, für die dazugehörigen Elektroden jedoch 19 Prozent. Aber würde der medizinische Bedarf generell nur mit sieben Prozent besteuert, würde dies die Ausgaben der Krankenkassen zusätzlich um rund 750 Millionen Euro pro Jahr entlasten.
Der Beitragsschock hätte nahezu komplett aufgefangen werden können
Die genannten Beispiele summieren sich auf insgesamt 16 bis 21 Milliarden Euro, die Jahr für Jahr von der Versichertengemeinschaft der GKV aufgebracht werden müssen. Hätten Bund und Länder sich an ihre Versprechungen zur Stabilisierung der Finanzen und an ihre gesetzlichen Pflichten gehalten, hätte der Beitragsschock Anfang 2025 nahezu komplett aufgefangen werden können.
Die Finanzierung der Krankenkassen muss verfassungskonform und fair werden
Die Betriebskrankenkassen fordern:
Regelmäßige Anpassung des Bundeszuschusses für versicherungsfremde Leistungen (wie von der Ampel-Koalition versprochen)
Faire Beitragszahlungen für Bürgergeldempfänger durch den Bund (wie von der Ampel-Koalition versprochen)
Verfassungsgemäße Finanzierung der Investitionen in die deutschen Krankenhäuser durch die Bundesländer (wie vom Grundgesetz vorgesehen)
- Eine Absenkung des Mehrwertsteuersatzes für alle Waren und Dienstleistungen, die der Gesundheit der Patienten dienen (wie in fast allen anderen EU-Ländern auch)
Rekord-Beitragssatzanstieg: Jetzt die Kurve kriegen und die Dynamik stoppen
BKK Dachverband: „Das KHVVG braucht dringend einen Reset“ – Betriebskrankenkassen fordern umfassende Überarbeitung des Gesetzentwurfs
Kassenverbände fordern: GKV und Pflegeversicherung müssen von versicherungsfremden Ausgaben entlastet werden
GKV-Finanzstabilisierungsgesetz: Bezahlen wir mit unserer Gesundheit?
www.bkk-dachverband.de/finanzierung/bezahlen-wir-mit-unserer-gesundheit
Lauterbach und das Geld der Anderen
www.bkk-dachverband.de/finanzierung/gkv-finanzierung/lauterbach-und-das-geld-der-anderen
Woher nehmen, wenn nicht anderen in die Tasche greifen?
Hoher Discount für Bund bei Versicherungsbeiträgen von Bürgergeldempfängern
Kaum zu glauben, aber wahr: Arzneimittel sind Luxusgut
Wenn der Bund die Musik bestellt, müssen andere zahlen