In Deutschland starben im vergangenen Jahr 2.839 Menschen im Straßenverkehr, im gleichen Zeitraum waren etwa 6.300 Hitzetote zu beklagen. Die asiatische Tigermücke, die viele Erreger tropischer Krankheiten überträgt, breitet sich nach Norden aus und ist dem Anschein nach für lokale Ausbrüche des Dengue-Fiebers in mehreren Mittelmeerländern, zuletzt in der italienischen Lombardei, verantwortlich. Durch die steigenden Temperaturen wird die Tigermücke auch in diversen Regionen Deutschlands bereits heimisch. Die Hälfte aller bekannten Krankheiten könnte sich durch den Klimawandel verstärkt ausbreiten, stellte eine kürzlich in der Zeitschrift Nature veröffentlichte Studie fest.
Die Beispiele zeigen: Schon heute sind die Gesundheitssysteme in Europa mit einer steigenden Zahl umweltbedingter Erkrankungen konfrontiert - und mit den entsprechenden Kosten.



Das Gesundheitswesen ist auch Ursache für Umweltprobleme
Das deutsche Gesundheitswesen ist aber nicht nur Opfer, sondern trägt selbst erheblich zu Umweltproblemen bei. So verursacht es etwa eineinhalb Mal so viel klimaschädliches Kohlendioxid wie der Flugverkehr.
Weitere Umweltschäden sind absehbar, wenn Energie nicht künftig nachhaltiger erzeugt wird: Der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in der Diagnostik wird den Stromverbrauch exponentiell erhöhen. Eine Simulationsrechnung des Universitätsklinikums Aachen kam zu dem Ergebnis, dass 32 Prozent des gesamten Waldes innerhalb der Stadtgrenzen Aachens benötigt würden, um das CO2 zu binden, das entstünde, wenn alle Befunde in der Pathologie des Klinikums durch künstliche Intelligenz unterstützt würden.
In vielen OPs wird Lachgas für Narkosen eingesetzt – und gelangt häufig in die Atmosphäre. Dabei ist es 265-mal klimaschädlicher als CO2.
Aber nicht nur die Atmosphäre wird in Mitleidenschaft gezogen: Kontrastmittel aus Untersuchungen mit Magnetresonanz- und Computertomographen werden immer häufiger nicht nur in Oberflächengewässern in der Natur, sondern sogar im Trinkwasser nachgewiesen - Risiko bislang unbekannt. Das in einigen Kontrastmitteln enthaltene seltene Metall Gadolinium ist nur so lange nicht hochtoxisch, wie es in großen Molekülen gebunden ist. Wie stabil diese Moleküle in der Umwelt sind, ist unklar.
Die Gesundheitswirtschaft produziert auch immense Abfallmengen – besonders, weil sterile Produkte überwiegend nur einmal verwendet werden. Schätzungen zufolge landen so zum Beispiel jährlich rund 4.000 Tonnen Chrom im Müll.
Und für jedes der knapp 480.000 Krankenhausbetten in Deutschland werden im Schnitt tagtäglich 300 bis 600 Liter Wasser verbraucht.
Für Naturkautschuk, der in medizinischen Bedarfsartikeln wie Kathetern und OP-Handschuhen steckt, wird sogar illegal Regenwald abgeholzt. Menschenrechte werden auf solchen Plantagen oft mit Füßen getreten.
Die Betriebskrankenkassen wollen gemeinsam mehr für Nachhaltigkeit tun dürfen
Denn Lösungen gibt es schon heute: Bisher werden Medizinprodukte noch viel zu wenig recycelt. Allein durch die Wiederaufbereitung von Herzkathetern könnten jährlich rund 450 Tonnen CO2 eingespart werden.
Oder: Das für die Atmosphäre so schädliche Lachgas kann zum Teil durch andere Narkoseverfahren ersetzt werden. Es kann aber auch im Operationssaal aufgefangen und wiederaufbereitet werden.
Schädliche Substanzen aus Kontrastmitteln können nahezu komplett aufgefangen werden, indem der Urin der Patienten innerhalb der nächsten 24 Stunden nach der Untersuchung aufbereitet wird.
Krankenkassen als Kostentragende müssen medizinische Leistungen auch dann bezahlen, wenn sie die Umwelt mehr als nötig belasten. Denn die Krankenkassen haben in der Regel keinen Einfluss auf die Ausgestaltung bestimmter Leistungen. Sie müssen bezahlen, was Ärzte, Krankenhäuser und andere Leistungserbringende nach allgemeingültigen Vergütungsordnungen abrechnen. Verträge, in denen mehr Nachhaltigkeit vereinbart werden könnte, können die Kassen deshalb in aller Regel nicht schließen. Die Grundlage aller Entscheidungen, das Sozialgesetzbuch, sieht die ökologische Nachhaltigkeit schlicht nicht vor.
Noch gravierender ist, dass alle Beteiligten laut Sozialgesetzbuch dem sogenannten „Wirtschaftlichkeitsgebot“ unterliegen. Dieses schreibt vor, dass sämtliche Leistungen im Gesundheitswesen notwendig, zweckmäßig und kostengünstig erbracht werden müssen. Selbst wenn die Krankenkassen bereit wären, ein paar Euro mehr für eine Narkose zu zahlen, weil diese Methode klimafreundlicher ist, dürfen sie das nicht verlangen.
Das Gesundheitssystem ist ein komplexes Netz aus Einrichtungen, Dienstleistungen und Versorgungspfaden. Einzelne Akteure setzen zwar bereits gute Ideen um, aber es fehlt ein gemeinsames Ziel: ein einheitliches Verständnis darüber, was ein nachhaltiges System ausmacht, welche Kriterien nachhaltige Leistungen erfüllen müssen und welchen Preis sie haben dürfen. Konkret stellt sich die Frage, wie ein zukunftsfähiges, bezahlbares und ressourcenschonendes Gesundheitswesen gestaltet werden kann.
Die Betriebskrankenkassen finden: Das darf nicht sein! Sie fordern dringend:
- Die Krankenkassen müssen die Möglichkeit erhalten, ohne große rechtliche Hürden zu überwinden, vertragliche Vereinbarungen mit Ärzten, Krankenhäusern und anderen Leistungserbringenden schließen zu können, in denen konkrete Maßnahmen zur Nachhaltigkeit vereinbart werden.
Neben dem Wirtschaftlichkeitsgebot muss auch ein Nachhaltigkeitsgebot im Sozialgesetzbuch verankert werden. Es bedarf klarer gesetzlicher Rahmenbedingungen, die nachhaltiges Handeln ermöglichen. Die Krankenkassen müssen von der Pflicht befreit werden, nur auf die Kosten zu schauen, auch wenn die Umwelt und damit die Gesundheit der Menschen darunter leiden.
- Eine verbindliche nationale Nachhaltigkeitsstrategie für das Gesundheitswesen zu entwickeln. Eine übergeordnete Strategie, die die Ableitung klarer Ziele und Maßnahmen für alle Akteure im Gesundheitssektor ermöglicht und die besondere Rolle der Krankenkassen zum einen als Kostentragende, zum anderen als für die Gesundheit der Versicherten verantwortliche Institutionen berücksichtigt.
Veränderung am Arbeitsplatz starten: Klimagesundes Verhalten stärken!
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Wandel muss gelebt werden
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Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit in der Arbeitswelt