In Deutschland ist mehr als jeder Zweite erwerbstätig. Berufstätige sind also die mit Abstand größte und wichtigste Zielgruppe für Gesundheitsprävention. Die komplexen Zusammenhänge zwischen Arbeit und Gesundheit sind traditionell Thema des BKK Gesundheitsreports. Ziel sind immer konkrete, praxisnahe Handlungsansätze für Unternehmen und Politik. Der aktuelle Gesundheitsreport fordert einen Spurwechsel: Weg von der Gießkanne in der Prävention, hin zu maßgeschneiderten Lösungen, die in Werkhallen und Büros funktionieren. Es geht um gesundheitsfördernde Verhältnisse am Arbeitsplatz, aber auch um Unterstützung für alle Beschäftigten, damit sie ihr individuelles präventives Verhalten leicht in den Alltag integrieren können.
Spurwechsel Prävention
Muskel-Skelett-Erkranungen, psychische Belastungen und Atemwegsinfekte verursachen die meisten Fehltage
Den spezifischen Präventionsbedarf bei Beschäftigten aufzuzeigen, ist eine der zentrale Aufgaben und Ziele des BKK Gesundheitsreports. Anhand der vorliegenden Gesundheitsdaten sowie weiterer Beschäftigungsmerkmale lassen sich spezifische Bedarfe für einzelne Zielgruppen ableiten. Das Folgende verdeutlicht dies exemplarisch anhand der Daten aus dem Bereich Arbeitsunfähigkeit (AU) und der ambulanten Versorgung.
Während Abbildung 1 die bescheinigten AU-Tage für ausgewählte Wirtschaftsgruppen und Krankheitsarten zeigt, weist Abbildung 2 die Anteile der dokumentierten Diagnosen bei niedergelassen ärztlichen beziehungsweise therapeutisch Behandelnden für die Beschäftigten aus. Muskel-Skelett-Erkrankungen, psychische Störungen und Atemwegserkrankungen sind die drei Krankheitsarten, die sowohl im AU-Geschehen als auch in der ambulanten Versorgung für die Beschäftigten die jeweils größte Bedeutung haben.
Beschäftigte in Industrie- und Gesundheitsberufen sind überdurchschnittlich oft krankgeschrieben
Allerdings zeigen sich anhand der ausgewählten Beispiele auch deutliche Differenzen: Branchen mit einer hohen körperlichen Arbeitsbelastung (beispielsweise verarbeitendes Gewerbe oder Gesundheits- und Sozialwesen) verzeichnen nicht nur überdurchschnittlich viele AU-Tage, sondern auch einen höheren Anteil an Beschäftigten, die wegen Muskel-Skelett-Erkrankungen in ambulanter Behandlung sind. Bei den psychischen Störungen stechen hingegen sowohl im AU-Geschehen als auch in der ambulanten Versorgung die Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung sowie wiederum die im Gesundheits- und Sozialwesen besonders heraus. Hier spielt sehr wahrscheinlich die (zusätzlich) hohe psychische Arbeitsbelastung eine wesentliche Rolle, die unter anderem auf häufige zwischenmenschliche Interaktion mit erhöhtem Stresspotential zurückzuführen ist. Eben dieser häufige Kontakt zu vielen verschiedenen Personen führt außerdem dazu, dass insbesondere in diesen beiden Wirtschaftsgruppen die jeweiligen Kennwerte für Atemwegserkrankungen überdurchschnittlich hoch ausfallen.
Spezifische Prävention für unterschiedliche Branchen und Berufsgruppen ist notdwendig
Auch wenn im arbeitsweltlichen Kontext häufig nur die AU-Kennzahlen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, liefert die ergänzende Betrachtung von ambulanten Versorgungsdaten einen Mehrwert, wie das Beispiel der Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeigt. Während diese Krankheitsart im AU-Geschehen nur eine untergeordnete Rolle spielt, steht sie in der ambulanten Versorgung an vierter Stelle der Krankheitsursachen (Abbildung 2). Wie lässt sich dieses Phänomen erklären? Eine der häufigsten ambulant gestellten Diagnosen ist die Hypertonie (I10), auch als Bluthochdruck bekannt. Mehr als jeder fünfte beschäftigte Mann (21,6 %) beziehungsweise knapp jede sechste beschäftigte Frau (16,1 %) erhielt im Jahr 2023 mindestens einmal eine solche Diagnose durch einen ambulant niedergelassenen Behandelnden. In der überwiegenden Mehrzahl handelt es sich dabei um Patientinnen und Patienten, die zwar Medikamente gegen ihren Bluthochdruck verschrieben bekommen haben und einnehmen, allerdings nur sehr selten aufgrund ihrer Erkrankung arbeitsunfähig sind. (Nur 8,4 AU-Fälle je 1000 Beschäftigte gehen auf die Diagnose Hypertonie zurück). Gleichwohl ist diese Erkrankung ein wesentlicher Prädiktor für weitere Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, die schwerwiegende Folgen haben oder sogar tödlich enden können. Die kardiovaskuläre Gesundheit der Beschäftigten sollte also auf jeden Fall auch im Fokus der Maßnahmen zur arbeitsweltlichen Prävention und Gesundheitsförderung stehen, wobei auch hier signifikante Unterschiede in der Betroffenheit nach Branchen, Berufen, Geschlecht, Alter und so weiter zu berücksichtigen sind. Allein an diesen wenigen Beispielen zeigt sich deutlich ein (branchen-)spezifischer Präventionsbedarf. Neben den klassischen verhaltensbasierten Angeboten (etwa Rückenschule oder Schulungen zum Umgang mit Stress) ist es für eine ganzheitliche Prävention unumgänglich, immer auch verhältnisbasierte Maßnahmen (beispielsweise Reduktion der körperlichen Arbeitsbelastung durch technische Hilfsmittel oder Stressreduktion durch Anpassung von Arbeitsabläufen beziehungsweise Arbeitsbedingungen) mitzudenken und einzuplanen.
Die Gießkanne taugt nicht für die Managementaufgabe Gesundheit. Unternehmen, die erfolgreich die gesundheitsförderliche Arbeit gestalten, richten ihre Maßnahmen an den Bedürfnissen und dem Verhalten ihrer Beschäftigten aus.
Viele Betriebe bieten Beschäftigten Prävention – doch das Personal nutzt sie in unterschiedlichem Maße
Zusätzlich zu den Auswertungen der Routinedaten der Beschäftigten analysiert der BKK Gesundheitsreport auch die Daten aus einer Beschäftigtenbefragung. Hier geht es um die Frage, wie Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) und die Arbeit in einer bestimmten Branche miteinander zusammenhängen.
Ob ein BGF-Angebot in einem Unternehmen vorhanden ist, hängt unter anderem von der Branche ab, in der die berufstätige Person beschäftigt ist (Abbildung 3). Bei mehr als der Hälfte (55,5 %) der Beschäftigten ist mindestens ein BGF-Angebot im Unternehmen vorhanden und in mehr als einem Drittel der Fälle (34,7 %) nutzen die Beschäftigten das Angebot auch aktiv. Allerdings schwanken diese Anteile zwischen den Branchen erheblich: Während beispielsweise im Bereich Information und Kommunikation für fast drei Viertel (73,2 %) der dort Beschäftigten mindestens ein BGF-Angebot vorhanden ist und mehr als die Hälfte (58,7 %) ein solches Angebot bereits genutzt haben, sind diese Anteile mit 34,3 % beziehungsweise 16,7 % bei den Beschäftigten in den sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen wesentlich niedriger ausgeprägt.
In der öffentlichen Verwaltung greift ein Drittel der Beschäftigten nicht auf Präventionsangebote zurück
Des Weiteren ist der Blick auf die Anteile derer aufschlussreich, die Betriebliche Gesundheitsförderung angeboten bekommen, diese aber nicht nutzen: Während wiederum im Bereich Information und Kommunikation der Nichtnutzungs-Anteil mit 14,5 % am geringsten ausfällt, ist er in der öffentlichen Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung mit 33,0 % am höchsten. Dies bedeutet, dass hier zwar relativ viele BGF-Angebote vorhanden sind (78,4 %), im Verhältnis dazu die Nutzungsquote mit 45,5 % aber eher niedrig ausfällt. Es reicht also nicht allein aus, dass BGF-Angebote in Unternehmen vorhanden sind. Vielmehr müssen diese auch so gestaltet sein, dass sie auf die Bedürfnisse der Beschäftigten zugeschnitten sind und diese das Angebot entsprechend annehmen
Beschäftigte halten betriebliche Gesundheitsförderung für wichtig
Welche Relevanz BGF-Angebote für die eigene Gesundheit der Beschäftigten haben, verdeutlicht Abbildung 4. Sowohl insgesamt als auch in allen Branchen überwiegt die positive Einschätzung, dass Betriebliche Gesundheitsförderung (sehr) wichtig für die eigene Gesundheit ist, was im Sinne der Selbstwirksamkeit für die Beschäftigten als ein durchaus beeindruckendes Ergebnis zu interpretieren ist. Aber auch hier zeigen sich Unterschiede zwischen den Branchen: Während im Gesundheits- und Sozialwesen diese positive Bewertung fast drei Viertel der Belegschaft (74,6 %) teilen, stimmen dieser Aussage nur etwas weniger als zwei Drittel der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung beziehungsweise den sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (jeweils 64,7 %) zu.
Spurwechsel Prävention?
Anhand der Analysen der Routinedaten aus den dargestellten Versorgungsbereichen leitet sich der Präventionsbedarf der Beschäftigten zielgenau ab. Wichtige ergänzende Erkenntnisse zu den vorhandenen Präventionsangeboten liefert die Beschäftigtenbefragung. Aus der Zusammenschau ergeben sich Muster, die darauf hindeuten, dass es einen Zusammenhang mit dem Vorhandensein und der Nutzung von BGF-Angeboten und dem Gesundheitszustand der Beschäftigten, gemessen an den ausgewählten Daten, gibt. Wenn Unternehmen etwas zur Förderung und Aufrechterhaltung der Gesundheit ihrer Beschäftigten tun wollen, sollten sie jedoch entsprechende Maßnahmen an den Bedürfnissen und Bedarfen der Beschäftigten ausrichten und nicht nach dem Gießkannenprinzip vorgehen. Die BKK-Initiativen Wertgeschätzt und Mein Phileo sind zwei besonders gute Beispiele dafür, dass moderne Präventionsangebote nicht nur zielgruppenspezifisch, sondern dank Digitalisierung auch personalisiert sowie zeit- und ortsunabhängig nutzbar sind. Dabei ist es essenziell, nicht nur auf Maßnahmen zu bauen, die am Verhalten der Beschäftigten ansetzen, sondern auch die Arbeitsverhältnisse in den Blick zu nehmen und immer zu überlegen, ob hier vielleicht schon kleine Schritte Großes bewegen können. Nur so wird ein echter Spurwechsel in der Prävention möglich sein, um zu verhindern, dass Beschäftigte krankheitsbedingt frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen oder den Arbeitgeber wechseln. Die Betriebskrankenkassen bieten hierfür jedem Unternehmen ihre Fachkenntnis und ihre Unterstützung an.
Alle Informationen im aktuellen BKK Gesundheitsreport 2024
Welche weiteren Erkenntnisse zeigt die Beschäftigtenbefragung 2024? Welche Präventionsbedarfe sind, zusätzlich zu den AU-Daten, aus den ambulanten und stationären Versorgungsdaten sowie aus dem Bereich der Arzneimittelverordnungen ableitbar? Detaillierte Informationen finden Sie im diesjährigen BKK Gesundheitsreport. Darüber hinaus erweitern und bereichern die zahlreichen Gastbeiträge die Datenanalysen um die Perspektive und Expertise der Politik, Wissenschaft und Praxis. Und nicht zuletzt gibt es, zusätzlich zur digitalen Variante des Reports, wieder zahlreiche interaktive Statistiken auf der Internetseite des BKK Dachverbands.