Streit um Homöopathie bei Kassen: Erstatten, was wirkungslos ist?
Berlin (dpa) - Quecksilber, Pflanzenteile, Hundekot: Hochverdünnte
Stoffe sollen Krankheiten heilen oder zumindest lindern können,
glauben Anhänger der Homöopathie. Kaum eine Therapieform ist derart
umstritten. Viele Patienten versprechen sich eine sanfte Heilung
durch die Zuckerkügelchen oder Tropfen, während Wissenschaftler
warnen: Globuli besitzen keine Wirkung, sondern stellen nur eine
Schein-Behandlung dar. Kassen dürfen eigentlich nur die Kosten von
anerkannt wirksamen Therapien erstatten, doch für Homöopathie und
ähnliche Verfahren hat der Gesetzgeber Sonderregeln geschaffen. Sie
müssen nicht in aufwendigen Studien ihre Wirksamkeit unter Beweis
stellen.
In den sozialen Medien tobt schon lange ein Streit in dieser Frage,
der in den letzten Monaten weiter Fahrt aufgenommen hat. So erregte
der bayerische Hals-Nasen-Ohren-Arzt Christian Lübbers mehrfach
deutschlandweit Aufmerksamkeit: Er twitterte im Januar dieses Jahres
über ein Kind mit eitriger Mittelohrentzündung, bei dem er Globuli im
Gehörgang fand. Auch setzt sich Lübbers zusammen mit dem
Informationsnetzwerk Homöopathie dafür ein, dass gesetzliche
Krankenkassen die Therapien nicht mehr bezahlen.
Mehrere Kassen mischen in den Diskussionen mit - eine entzog sich nun
dem Austausch. «Völlig überraschend» habe «eine der größten deutschen
Krankenkassen» ein bereits vor Wochen vereinbartes Gespräch über die
Zukunft der Homöopathie-Erstattung abgesagt, erklärte das Netzwerk in
einer Mitteilung Ende vergangener Woche. «Geplant war ein
dreistündiges Gespräch mit der hohen Verwaltungsebene», sagt Lübbers.
Ein «konstruktiver Meinungsaustausch» habe die Vor- und Nachteile
abwägen sollen.
Die Techniker Kasse offenbarte bei Twitter später selbst, dass sie
das Treffen abgesagt hatte. Warum? Ein Sprecher erklärte auf Anfrage,
die Kasse habe bemerkt, «dass eine Veröffentlichung der
Gesprächsergebnisse beabsichtigt war». «Dies entsprach nicht unserem
Verständnis des geplanten Gesprächs.»
Aus Sicht des Informationsnetzwerks Homöopathie zeigt die unter dem
Stichwort #KrankenkasseOhneHomöopathie erzielte Resonanz, dass der
Wunsch nach Kostenübernahme für Homöopathie «durchaus nicht so
umfassend verbreitet ist», wie es Interessenvertreter oft
behaupteten. «Im Gegenteil zeigte sich sogar, dass viele Patienten
gern zu einer Krankenkasse ohne Homöopathie-Erstattung wechseln
würden.»
Das Informationsnetzwerk verweist zudem auf eine Studie von Forschern
der Charité: Diese haben anhand von Langzeit-Daten der Techniker
Krankenkasse errechnet, dass homöopathisch behandelte Patienten
höhere Kosten verursachen als mit herkömmlichen Methoden therapierte.
Als ein potenzieller Grund gilt die Verschleppung von Krankheiten bei
alleiniger Therapie mit Homöopathika.
Für Gesundheitspolitiker ist die Homöopathie ein heikles Thema. «Man
sollte den Kassen schlicht verbieten, die Homöopathie zu bezahlen»,
erklärte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach noch im Jahr 2010.
«Keine Äußerung zur Homöopathie», heißt es nun aus seinem Büro.
Der SPD-Landesparteitag hatte im Mai gleichfalls ein Ende der
Kostenerstattung gefordert. Außerdem solle es ähnlich wie seit kurzem
in den USA Warnhinweise über fehlende Wirknachweise auf den Mitteln
geben, da «weder ein sinnvolles Erklärungsmodell noch eindeutige
Nachweise einer Wirksamkeit vorliegen», heißt es in dem Antrag. Der
SPD-Bundesparteitag überwies ihn vergangene Woche an die
Bundestagsfraktion.
Für Jürgen Windeler vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit
im Gesundheitswesen, zuständig für die Wirksamkeits-Prüfung von
Therapien, ist klar, dass die hochverdünnten Homöopathika nur
Scheintherapien sind. «Menschen verstehen nicht, warum sie ihre
Brille selber zahlen müssen - und gleichzeitig erstatten die Kassen
Homöopathie», sagt er. «Krankenkassen glauben ja selber nicht an den
Nutzen dieser Verfahren.»
Tatsächlich argumentieren Kassen praktisch nie mit guten Daten zur
Wirksamkeit von Homöopathika. Stattdessen unterstreichen sie die
Nachfrage: So verweist die Techniker Krankenkasse auf
Kundenbefragungen, die gezeigt hätten, dass «manche Versicherte» sich
«sogenannte komplementärmedizinische Angebote» wünschen.
Dabei sind die Boom-Zeiten des in Deutschland über eine halbe
Milliarde Euro schweren Homöopathie-Marktes womöglich vorbei. Noch
vor wenigen Jahren stiegen die Zahlen der verkauften Packungen nach
Angaben der Pharma-Marktforschungsfirma IQVIA um jährlich bis zu 10
Prozent, doch 2016 brach die Absatzsteigerung auf nur noch 0,3
Prozent ein. In den ersten drei Quartalen dieses Jahres wurden rund 3
Prozent weniger Homöopathika verkauft. Ärzte verschrieben 13 Prozent
weniger homöopathische Mittel auf Kassenrezept als im
Vorjahreszeitraum.