BKK Dachverband fürs Ohr

Der Podcast zum BKK Gesundheitsreport 2021

Irgendwie scheint die Welt aus den Fugen geraten. Was wir gewiss meinten, weicht einem Neuen. Und das Neue verändert uns, unsere gesamte Lebens- und Arbeitswelt. Ein winziges Virus schafft Distanz. Und beschleunigt doch nur den Wandel, der sich längst anbahnte. Häufig erleben und begegnen wir einander nur noch im digitalen Raum. Aber wo bleibt der Mensch? Dieser Frage geht auch der diesjährige Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen nach.

Cover BKK Gesundheitsreport 2021

SPRECHERIN Irgendwie scheint die Welt aus den Fugen geraten. Was wir gewiss meinten, weicht einem Neuen. Und das Neue verändert uns, unsere gesamte Lebens- und Arbeitswelt. Ein winziges Virus schafft Distanz. Und beschleunigt doch nur den Wandel, der sich längst anbahnte. Häufig erleben und begegnen wir einander nur noch im digitalen Raum. Aber wo bleibt der Mensch? Dieser Frage geht auch der diesjährige Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen nach. Franz Knieps zieht Bilanz. Er ist Vorstand des Dachverbands Betriebskrankenkassen in Berlin:

OT1 Knieps Wir erleben, dass die früher scharfe Trennung zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung zunehmend ineinander übergeht. Wir erleben, dass früher die klaren und tief gestaffelten Hierarchien zunehmend aufgeweicht werden. Die Welt der Arbeit und die Welt der Wirtschaft wandelt sich. Die frühere Situation, dass Menschen lebenslang bei einem Arbeitgeber beschäftigt sind, wird eher die Ausnahme. Und last but not least die digitale Transformation erfasst natürlich auch die Wirtschaft und das Arbeitsleben. Neue Skills werden benötigt, um digital mithalten zu können. Aber diese neuen Skills führen auch dazu, dass Entfernung und Entfremdung von der Arbeit größer werden können. Die Gliederung der Arbeit in Raum und Zeit wird zunehmend aufgeweicht. Und das kann, muss aber nicht zu Problemen führen.

SPRECHERIN Paradigmatisch für diese Aufweichung steht die Arbeit im Homeoffice, lange ein Trend, doch durch Corona fast schon Normalität, die so manchem Beschäftigten zusetzt. Dr. Matthias Richter, Referent für die Gesundheitsberichterstattung beim BKK Dachverband:

OT2 Richter Mehr als jeder vierte Beschäftigte gibt an, dass sich das eigene Unternehmen gut oder sogar sehr gut auf die Herausforderungen der Coronavirus-Pandemie eingestellt hat. Gleichzeitig sagt aber auch etwa ein Viertel der Befragten, dass die Arbeitsmotivation, genauso wie der Zusammenhalt in der Belegschaft schlechter geworden ist. Beim Gesundheitszustand zeigt sich eine Verschlechterung mit zunehmender Dauer der Pandemie. In der Befragung im Jahr 2020, einige Monate nach Beginn der Pandemie, waren die gemachten Angaben kaum anders als vor der Pandemie. Hingegen ein Jahr später, im Jahr 2021, gaben deutlich mehr Personen an, dass ihr körperlicher oder psychischer Zustand sich verschlechtert hätte.

SPRECHERIN Gefühlt birgt sich das Virus überall. Und die Gefahr ist real. Vor allem für die Menschen, die nicht aufs Homeoffice zurückgreifen können – durch alle Personengruppen, sagt Dirk Rennert, Leiter der Gesundheitsberichterstattung beim BKK Dachverband:

OT3 Rennert Vor allem die jüngeren Beschäftigten sind häufiger von einer Arbeitsunfähigkeit aufgrund von COVID-19 betroffen. Aber je älter die Beschäftigten sind, desto länger sind sie im Durchschnitt wegen Covid-19 krankgeschrieben. Zudem zeigt sich, dass beschäftigte Frauen häufiger von Fehlzeiten wegen Covid-19 als ihre männlichen Kollegen betroffen sind. Das liegt vor allem daran, dass Frauen besonders häufig in Berufen und Branchen mit erhöhtem Infektionsrisiko arbeiten.

SPRECHERIN Etwa in Pflegeberufen, nur als Beispiel. Unter Masken wird das Gesicht unkenntlich und der Wunsch nach Begegnung desto größer, weiß BKK Vorstand Franz Knieps:

OT4 Knieps Je länger natürlich die Pandemie dauert, desto größer wird die Sehnsucht wieder zu Gewohntem, zu kollegialer Kooperation zurückzukehren. Man darf ja nicht vergessen, es ist ja nicht nur die Arbeit, der Betrieb ist ja auch ein sozialer Ort, wo Freundschaften stattfinden, wo gute Nachbarschaften stattfinden, wo gemeinsam etwas erarbeitet wird. Und das ist schwieriger, wenn man nur auf die Kachel des Bildschirms schaut.

SPRECHERIN Der Betrieb als Ort des Sozialen. Den Gedanken unterstreicht auch Prof. Holger Pfaff, Professor am Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft der Universität zu Köln:

OT5 Pfaff Das Unternehmen muss so eine Art Gemeinschaftsgefühl wieder erzeugen. Das geht jetzt verloren, weil wir sind in gewisser Weise atomisiert. Und das führt dazu, dass das Gemeinschaftserleben wegbricht. Und das ist ein großer Teil der Emotion und auch der Motivation für Leute zur Arbeit zu gehen. Es ist nicht so sehr die Arbeit selbst, sondern es ist auch dieses Unter-Leuten-sein, sich mit Leuten austauschen können, mal gemeinsam Lachen.

SPRECHERIN Folgt man Prof. Pfaff trägt nicht bloß die Arbeit an Inhalt und Strategie zur Resilienz, zur Widerstandsfähigkeit von Unternehmen bei, sondern auch und vor allem der beiläufige Kontakt miteinander:

OT6 Pfaff Wir entdecken auch den Wert der Gespräche neben der eigentlichen Sache, also das Gespräch nach einer Sitzung, wo man sich noch kurz austauscht. Da werden auch die geheimen Informationen, wenn man so will, ausgetauscht. Aus organisationswissenschaftlicher Sicht haben wir ja zurzeit eine Formalisierung der ganzen Arbeit. Und das Informelle, was die Arbeit auch ausmacht, das wird jetzt geringer, weil es gar nicht gelebt werden kann.

SPRECHERIN Bei aller Sehnsucht nach dem Gewohnten, die Welt schreitet fort, transformiert sich in Richtung des Digitalen. Dem pflichten auch die im Gesundheitsreport der BKK Befragten bei. Die Frage bleibt, wie das Neue mit dem Alten zu verbinden sei und im Sinne einer gesunden Lebens- und Arbeitswelt – nicht zuletzt eine Frage des politischen Willens. Franz Knieps:

OT7 Knieps Ich wünsche mir von einer neuen Regierung, dass sie mal innehält und sagt, was wollen wir eigentlich politisch längerfristig erreichen. Man nennt das neudeutsch ‚Ordnungspolitik‘. Ich bin von Hause aus Jurist. Da müsste man meinen, dass Juristen das kleinteilige Gesetze-machen lieben. Ich halte aber diesen Weg für falsch. Ich glaube, wir brauchen weniger Regulierungsmenge und eine geringere Regulierungsdichte. Ich bin nahezu süchtig danach, Spielräume für Innovationen und Experimente zu bekommen, denn das altehrwürdige Gesundheitssystem ist in die Jahre gekommen und muss den Herausforderungen angepasst werden. Deshalb hat für mich absolute Priorität, integrative Leistungserbringung zu fordern und zu fördern und digitale Transformation zu beschleunigen und auch in den eigenen Reihen dafür zu werben, sich auf diese digitale Welt einzustellen.

ZUM BKK GESUNDHEITSREPORT 2021