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Interview mit Prof. Dr. Pfaff zum BKK Gesundheitsreport 2021

Ein Interview mit Prof. Dr. Pfaff zum BKK Gesundheitsreport 2021

Cover BKK Gesundheitsreport 2021

Ich begrüße Prof. Holger Pfaff. Er ist Professor am Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft an der Universität zu Köln.

FRAGE 1 Herr Prof. Pfaff, welcher Fähigkeiten bedürfen Unternehmen, um sich in einer Krise wie der Coronavirus-Pandemie widerstandsfähig aufzustellen?

OT1 Die Unternehmen brauchen erst einmal einen Ausblick in die Zukunft. Sie müssen versuchen Dinge vorauszusagen, die noch eintreten werden. Dann müssen Sie genau identifizieren, welche Dinge auf sie zukommen, die wirklich relevant sind für sie. Dann müssen sie schnell reagieren können auf unvorhergesehene Ereignisse, das heißt, ihre Entscheidungsstrukturen und Prozesse müssen so sein, dass man wirklich schnell zum Punkt kommt. Und man muss auch überlegen, was man aus dem Vergangenen lernen kann, also man muss den Blick zurück machen, wo standen wir und was hätten wir besser machen müssen.

FRAGE 2 Unternehmen beschäftigen unterschiedliche Menschen mit teils sehr unterschiedlichen Interessen und Ansichten. Wie bringe ich – gerade in einer Krise – die Menschen dazu, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, um als Unternehmen handlungsfähig zu bleiben?

OT2 Das Unternehmen muss so eine Art Gemeinschaftsgefühl wieder erzeugen. Das geht jetzt verloren, weil wir sind in gewisser Weise atomisiert. Jeder macht sein Ding zuhause oder auch bei der Arbeit. Jetzt muss die Arbeit auch so organisiert werden, dass man möglichst wenig miteinander zu hat. Und das führt dazu, dass das Gemeinschaftserleben wegbricht. Und das ist ein großer Teil der Emotion und auch der Motivation für Leute zur Arbeit zu gehen. Es ist nicht so sehr die Arbeit selbst, sondern es ist auch dieses Unter-Leuten-sein, sich mit Leuten austauschen können, mal gemeinsam Lachen. All das geht verloren und kann fast nur durch Präsenz wieder hergeholt werden.

FRAGE 3 Also plädieren Sie dafür, zumindest auf längere Frist, zu einer Kultur der Präsenz in Unternehmen zurückzukehren?

OT3 Auf jeden Fall! Wir haben ja jetzt wieder eine hohe Inzidenzrate bei Corona, aber als Führungskraft kann ich Wert darauf legen, dass bestimmte Termine in Präsenz stattfinden und nicht als online oder digitale Veranstaltung. Solange es eben geht, von der Inzidenz her, muss die Wahl eher sein, dass man sagt, wieder Präsenz, zumindest bei zentralen Sitzungen, wo dann auch Entscheidungen getroffen werden müssen.

FRAGE 4 Sie sprachen gerade von Führungskräften. Welche Rolle kommt der Führung von Unternehmen konkret zu?

OT4 Der Punkt ist, Führungskräfte können gegensteuern und nur sie können eigentlich gegensteuern und ermutigen, dass die Leute sich wieder treffen, auch persönlich treffen, um eben auch diese Zwischen-Tür-und-Angel-Gespräche führen zu können. Also wir entdecken auch den Wert der Gespräche neben der eigentlichen Sache, also das Gespräch nach einer Sitzung, wo man sich noch kurz austauscht. Da werden auch die geheimen Informationen, wenn man so will, ausgetauscht, die man sonst nicht in einer offiziellen, digitalen Konferenz austauscht. Aus organisationswissenschaftlicher Sicht haben wir ja zurzeit eine Formalisierung der ganzen Arbeit. Und das Informelle, was die Arbeit auch ausmacht, das wird jetzt geringer, weil es gar nicht gelebt werden kann.

FRAGE 5 Das Arbeiten im Homeoffice ist inzwischen gang und gäbe, zumindest dort, wo es möglich ist. Laut diesjährigem Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen erlebt das etwa ein Viertel der Beschäftigten als Chance, ein anderes Viertel als Belastung …

OT5 … was man jetzt machen muss, ist so eine Regel finden wie – und das wollen viele – ich sag mal vielleicht von fünf Tagen zwei Tage im Homeoffice, drei Tage in Präsenz. Und die Tage in Präsenz, die müssen aber so sein, dass alle dann auch wirklich da sind. Das heißt, man braucht feste Tage, wo alle wieder sich treffen, wo dann auch die konkreten Entscheidungen und Einschätzungsgespräche stattfinden können.

FRAGE 6 Verstehe ich Sie recht, ist also nicht die Frage, ob wir im Falle des Endes der Coronavirus-Pandemie wieder arbeiten werden wie zuvor, in Präsenz, oder zunehmend im digitalen Raum, richtig?

OT6 Ja, in Zukunft werden wir eine Mischung haben von beidem. Und man wird genauer unterscheiden bei welchen Problemlagen im Team man die Präsenz braucht und bei welchen Problemlagen auch digitale Lösungen der Kommunikation möglich sind. Man wird also stärker differenzieren und gucken, wo brauche ich Präsenz und in die Augen schauen und wo nicht. Und wir werden es auch erleben, dass Sitzungen hybrid stattfinden. Das heißt, es wird Leute geben, die vor Ort sind, und andere Leute, die zugeschaltet sind. Und darauf muss man eingerichtet sein, auch technologisch.