BKK Dachverband fürs Ohr

Interview mit Prof. Holger Pfaff zum BKK Gesundheitsreport 2020

Herr Prof. Pfaff, richten wir zunächst mal den Fokus aufs Pendeln. Welche gesundheitlichen Auswirkungen sehen Sie für die Beschäftigten?

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FRAGE 1: Herr Prof. Pfaff, richten wir zunächst mal den Fokus aufs Pendeln. Welche gesundheitlichen Auswirkungen sehen Sie für die Beschäftigten?

OT1 Prof. Holger Pfaff: Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass tägliches Pendeln auf jeden Fall gesundheitliche Probleme mit sich bringen kann. Das geht in Richtung psychosomatischer Beschwerden. Das kann ein geringes Wohlbefinden beinhalten, die Müdigkeit steigt, Kopfschmerzen steigen, Nackenschmerzen, Schlafschwierigkeiten, all das ist nachgewiesen. Insgesamt muss man jedoch die Gesamtsituation einer Person betrachten. Es kann also sein, dass diese Probleme entstehen, aber man das Ganze macht, damit ein anderes Problem nicht entsteht, zum Beispiel Trennung von der Familie.

FRAGE 2: Mal umgekehrt gefragt, wie lässt sich gesundes „mobiles Arbeiten“ beschreiben – welcher Voraussetzungen, Bedingungen bedarf es dazu?

OT2 Prof. Holger Pfaff: Gute Bedingungen sind einerseits, dass hauptsächlich meine Bedürfnisse befriedigt werden durch die konkrete Mobilität. Der zweite Punkt ist: Ich brauche natürlich, wenn ich jetzt so pendle, die technischen Voraussetzungen, ich brauche also gute Verkehrsverbindungen. Wenn ich Homeoffice mache, brauche ich eine entsprechende Infrastruktur zuhause, wo alles klappen muss, nicht dass der Rechner immer zusammenbricht. Und ich brauche auf der Seite des Arbeitgebers das prinzipielle Einverständnis, dass diese Mobilität wirklich auch vom Arbeitgeber gewollt ist. Wir brauchen also eigentlich eine win-win-Situation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

FRAGE 3: Wohin sehen Sie unsere Arbeitswelt künftig steuern – eher in eine Präsenz- und Pendelkultur der „Vor-Corona-Zeit“ oder in Richtung des Homeoffice?

OT3 Prof. Holger Pfaff: Ganz konkret gibt’s ja viele Mitarbeiter, die sagen, ich will soziale Kontakte haben, ich merke, ich arbeite auch nicht nur, um Geld zu verdienen, sondern eben um soziale Kontakte zu haben. Es gibt auch viele Dinge in Unternehmen, die setzen voraus, dass die Leute kooperieren und dass sie mal kurz sich austauschen. Die Sachen werden auf der Strecke bleiben, wenn man nur Homeoffice macht, weil bei Homeoffice meistens formal geredet wird. Das Informelle, was oft nach diesen Sitzungen stattfindet, wo man noch kurz was klären kann, wo man auch noch klären kann, wenn man den anderen gerade angefahren hat, wo man praktisch noch mal sagen kann, Du, es war nicht so gemeint, all das wird schwieriger über die Distanz zu machen. Ich befürchte, dass Homeoffice am Schluss das Sozialkapital, also das Vitamin B, was zwischen den Beziehungen liegt, das wird leiden auf Dauer, wenn wir nur Homeoffice machen, weil wir zur Vereinzelung kommen und es dann schwer ist noch Gemeinsamkeiten, Solidarität, Zusammenhalt zu demonstrieren und auch zu leben.

FRAGE 4: Also ein Plädoyer für die Präsenzkultur?

OT4 Prof. Holger Pfaff: Der Mittelweg zwischen Präsenzkultur und Homeoffice besteht darin, dass zumindest es einen oder zwei Tage in der Woche gibt, wo man sich trifft an so genannten jour-fix-Tagen, wo man fixe Termine hat, wo man klar weiß, der Dienstag und der Mittwoch, da bin ich im Büro, da kann man sich austauschen. An den Resttagen kann ich Homeoffice machen.