Lesen Sie hier das komplette BKK Magazin 4/2024 "GKV FINANZEN" online.


Editorial
Wer eine Notaufnahme zu Fuß verlässt, hatte dort nie etwas zu suchen, sagen erfahrene Notärzte. Menschen kommen längst nicht mehr in Rettungsstellen von Krankenhäusern nur wegen akuter medizinischer Notfälle. Abgesehen von Patienten, die von chronisch überlasteten Rettungsteams mit Blaulicht dort abgeliefert werden, sind nur ein Bruchteil der Fälle tatsächlich echte Notfälle, die eine stationäre Aufnahme rechtfertigen. Die Emergeny Rooms der Kliniken sind Anlaufstellen für ein anderweitig ausgedünntes und dysfunktionales Gesundheitssystem geworden. Man kann daraus einen Vorwurf zimmern und wie der Präsident der Bundesärztekammer, vor dem Patienten warnen, der reguläre Angebote umgeht und seine gesundheitlichen Anliegen grundsätzlich als Notfall begreift. Oder man beginnt eine Reform, die den Direktzugang zum gesamten Leistungsspektrum der medizinischen Versorgung, der vor allem außerhalb der regelmäßigen Sprechzeiten der Vertragsärzte genutzt wird, vernünftig und entschlossen reguliert. Eine Neugestaltung der Notfallversorgung, die gerade das Bundeskabinett passiert hat, ist nur durch eine enge digitale Vernetzung aller Beteiligten in der Rettungskette möglich. Nicht jeder Rettungseinsatz benötigt einen Notarzt vor Ort. Deshalb ist die digitale Verzahnung der Akutleitstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Rettungsstellen Kernstück dieser Reform. Anrufe von Patienten bei der 112 oder der weitgehend unbekannten 116 117 landen dann nicht mehr in verschiedenen Welten. Die Reform der Notfallversorgung muss immer auch die Erstversorgung im Blick haben, um die schnelle und wirksame Versorgung bereits am Einsatzort zu gewährleisten. Dazu gehört ein gezielter flächendeckender Reanimationsunterricht, um die Bevölkerung in die Rettungskette einzubinden, ebenso wie die Sicherstellung einer 24/7-telemedizinischen Versorgung Im Marienkrankenhaus in Hamburg wird seit Juni 2022 die Zukunft der künftigen Notfallversorgung erprobt: Im ersten Integrierten Notfallzentrum (INZ) Deutschlands. Hier sehen wir den Lackmustest für die Überwindung der Sektorengrenzen im Gesundheitswesen. Stationäre Versorgung ist Ländersache, ambulante Versorgung verwalten die KVen. Über die INZ-Standorte bestimmt der erweiterte Landesausschus. Das INZ Team in Hamburg will langfristig einen Gesundheitscampus anbieten, mit dem INZ als Teil des Leistungsangebots. Ob Husten oder Herzinfarkt: Eine Anlaufstelle für alle Formen von akuten Beschwerden und Notfällen soll entstehen. Eine bessere Verzahnung und Vereinheitlichung soll mit den Bundesländern vereinbart werden. Der Rettungsdienst soll Leistungssegment des SGB V werden. Kooperation als Leitgedanke der Reform soll in Verhandlungen hinter verschlossenen Türen gefördert werden – wohl vor allem Schutz vor Revolutions-Ankündigungen und öffentlicher Schlaumeierei des Bundesministers. Es kann etwas Brauchbares entstehen, kein verlogenes „Gesundes-Herz-Gesetz“, das Primärprävention brutal wegkegelt, um Herzen möglichst früh als krank zu beschreiben und schon Kleinkinder mit Statinen zu versorgen, die lebenslang eingenommen werden müssen.
Ihr Franz Knieps