Gesundheit und Politik

Neue Leitstellen - Reform der Notfallversorgung

von Christian Busch und Team Versorgungsmanagement

Patientinnen und Patienten in Deutschland sollen im Notfall künftig durch neue Leitstellen und Notfallzentren versorgt werden. Vorschläge der Expertenkommission der Bundesregierung liegen seit Februar auf dem Tisch. Wir brauchen neue Strukturen: Denn bei den Rettungsdiensten in Deutschland gehen zu viele Notrufe ein, gleichzeitig gibt es zu wenig Notfallsanitäter für alle Einsätze. Im Notfall geraten Patienten oft an gestresstes medizinisches Personal. In der Hauptstadt muss fast jeden Tag der Ausnahmezustand ausgerufen werden. Auch in der Nachbarstadt Potsdam ist jeden Tag Stresstest. Wir sehen keine Momentaufnahme, sondern eine anhaltende Krise – in ganz Deutschland. Um die Versorgungssituation zu bewerten und unsere Reformvorschläge zu überprüfen, haben unsere Fachreferenten im BKK Dachverband bereits im Herbst 2022 die Rettungsleitstelle in Potsdam besucht.

Notfallsanitäter rennen durchs Krankenhaus mit einem Patienten im Krankenbett

Notfälle werden bei den Bürgerinnen und Bürgern assoziiert mit dem Einsatz eines Rettungswagens. Mit Blaulicht wird das Krankenhaus angefahren. Alles geht  wahnsinnig  schnell, denn Eile tut Not. In der Realität sieht es jedoch ganz anders aus. Viele der Notfälle, die bei der Leitstelle unter der Rufnummer 112 gemeldet werden, sind im engeren Sinne gar keine. Mehr als die Hälfte aller Fälle sind nicht lebensbedrohlich und damit auch nicht dringend behandlungsbedürftig. Die Rufnummer 112 ist  der  erste  Anlaufpunkt  bei der Bevölkerung, wenn der Verdacht auf einen Notfall besteht. Die Leitstelle hält die Fäden zusammen und hilft den Menschen schnell. In der Leitstelle wird vorsortiert und versucht, die wirklich dringenden Fälle zu identifizieren. Untersuchungen zeigen, dass nur 40 Prozent der Anrufenden in wirklich akut lebensbedrohlichen Situationen um Hilfe rufen. Die restlichen 60 Prozent der Patienten werden nach der Akutbehandlung wieder nach Hause geschickt.

Die Ursachen, dass Leitstellen und Rettungsdienst Sammelbecken für alle möglichen Versorgungsbedarfe sind, sind vielfältig und spiegeln zum Teil grundsätzliche Probleme des demografischen Wandels wider. Alleinstehende Menschen haben niemanden, der ihnen helfen und sie ins Krankenhaus bringen würde. In ländlichen Regionen stehen für Fahrten kaum Taxis zur Verfügung oder der Weg wäre viel zu weit und teuer.  Selbst in Potsdam, einer Stadt mit 186.000 Einwohnern, werden in den Abendstunden nur noch sehr wenige Taxifahrten angeboten. So behelfen sich alleinstehende Menschen zunehmend damit, den Notruf zu wählen, um über den Rettungsdienst versorgt zu werden. Auch fehlende Pflegefachkräfte in den Pflegeheimen führen letztendlich dazu, Versorgung über den Rettungsdienst abzusichern. So alltägliche Maßnahmen wie ein Katheterwechsel  können ohne ausreichend Pflegepersonal nicht mehr regelmäßig erfolgen. Zur Unterstützung werden durch die Pflegeheime Rettungswagen angefordert. Die Kapazitäten des Rettungsdienstes und der Notfallversorgung müssen so verschiedenste Defizite in der Versorgung der Bevölkerung auffangen und erreichen zunehmend selbst die Grenzen des Leistbaren.

Gleichzeitig ist es medizinisch oft ein schmaler Grat, die Angaben der anrufenden Menschen korrekt einzuschätzen. Dringend gebotene Hilfe darf nicht verweigert werden. Im Zweifelsfall wird daher eine Notfallversorgung eingeleitet. Doch warum ist es für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Leitstelle manchmal schwierig, eine Unterscheidung zwischen lebensbedrohlichen und eher einfachen medizinischen Fällen zu treffen? Bestimmte Symptome weisen auf schwerwiegende Probleme hin, die schnell zum Tod führen könnten: Schmerzen im Arm, Brustschmerzen und Atemnot können ein Hinweis auf einen Herzinfarkt sein. Eine zeitnahe diagnostische Abklärung ist zwingend erforderlich, auch wenn die Symptome ebenso auf andere nicht lebensbedrohliche Erkrankungen hinweisen können. In diesen Fällen wird ein Rettungswagen aktiviert. In ländlichen Regionen sind die Strecken und damit die benötigte Zeit zum Teil sehr lang. Andere Einsätze sind für dieses Rettungsmittel während dieser Zeit dann nicht möglich. Um diesem Problem zu begegnen, setzen die Leitstellen auf Unterstützungssoftware, die ihnen dabei helfen soll, in wenigen Minuten, so weit wie möglich, eine Entscheidung über die Behandlungsbedürftigkeit der Patientinnen und Patienten zu treffen. So können sie die nicht lebensbedrohlichen Fälle direkt an den ärztlichen Bereitschaftsdienst vermitteln. Der Patient wird kontaktiert und braucht sich nicht selbst um seine Versorgung kümmern.

Der ärztliche Bereitschaftsdienst soll außerhalb der ärztlichen Sprechstundenzeiten bei Erkrankungen helfen, mit denen Patienten sonst in die Praxis gehen würden und deren Behandlung nicht bis zum nächsten Tag warten kann. Allerdings scheint der ärztliche Bereitschaftsdienst derzeit eher dünn besetzt. Viele Betroffene berichten von langen Wartezeiten. In Berlin gibt es laut Medienberichten täglich rund 1.800 Anrufversuche. Es werden aber nur 770 Gespräche geführt und 220 Hausbesuche durchgeführt. Gut 1.000 Menschen warten also vergebens auf ein medizinisches Hilfsangebot. Bei anderen dauert es vereinzelt mehrere Stunden bis zu einem Besuch des Bereitschaftsarztes. In der Zwischenzeit suchen sie dann lieber ein Krankenhaus auf oder kontaktieren die 112, die dann unter Umständen die Behandlung über den Rettungsdienst organisiert, obwohl diese an sich gegebenenfalls auch in der Arztpraxis oder vom ärztlichen Bereitschaftsdienst hätte erfolgen können. Hier gilt es also, die Strukturen und Kapazitäten des ärztlichen Bereitschaftsdienstes auszubauen. Ein guter und wichtiger erster Schritt zur Optimierung ist mit der Ermöglichung von Videosprechstunden im ärztlichen Bereitschaftsdienst geschaffen worden. So kann mittlerweile die ärztliche Versorgung im Bereitschaftsdienst auch als Videosprechstunde erfolgen. Dies schafft Kapazitäten – auch für Fälle in denen ein Arztbesuch wirklich erforderlich ist – und sollte im Sinne eines telemedizinischen Bereitschaftsdienstes weiter ausgebaut werden.

Eine wesentliche Herausforderung bleibt es also, niederschwellige Angebote für all diejenigen Fälle abzusichern, die nicht lebensbedrohlich sind und ambulant gut versorgt werden können. Grundsätzlich ist dies der Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), der Interessenvertretung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Die KVen müssen eine flächendeckende ambulante ärztliche und psychotherapeutische Versorgung organisieren und haben den sogenannten Sicherstellungsauftrag. Derzeit gibt es jedoch keine ausreichende Transparenz über die Sprechzeiten niedergelassener Vertragsärzte oder deren Vertretungen. Außerdem besteht keine Verpflichtung zur gleichmäßigen Verteilung der Praxis-Sprechzeiten. Die Ärzte sind in ihrer Planung frei. Ein klassisches Beispiel ist der Mittwoch- und Freitag-Nachmittag, an dem traditionell nur sehr wenige Ärzte Sprechzeiten anbieten. Diese fehlende Abdeckung auch in den Abendstunden begünstigen das Aufsuchen von Notaufnahmen. Die vertragsärztliche Versorgung zu Randzeiten könnte insbesondere durch Kooperationen niedergelassener Vertragsärzte optimiert werden. In besonderer Verantwortung stehen hier die Hausärzte. Sie können in dringenden Fällen einen Facharzttermin vermitteln, der innerhalb eines Zeitraums von vier Kalendertagen stattfinden soll. Da sie für diese Vermittlung entsprechend vergütet werden, sollte eine Verpflichtung für die Vermittlung eingeführt werden. Ideal wäre die Etablierung eines allgemeinen elektronischen Terminbuchungssystems, das von allen Praxen verpflichtend  zu nutzen ist. Würden freie ambulante Behandlungskapazitäten transparent dargestellt, stehen diese für Patienten in der Versorgung auch schneller zur Verfügung.

Ein wesentlicher Baustein der Vorschläge des BKK Dachverbands zur Verbesserung der Notfallversorgung ist die Etablierung von Integrierten Notfallzentren (INZ). Sie sollen eine niedrigschwellige zentrale Anlaufstelle an ausgewählten Krankenhäusern sein, die an der Notfallversorgung teilnehmen und damit eine stationäre Notfallstufe erhalten. Die INZ sollen von den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenhäusern gemeinsam betrieben werden. Am sogenannten „gemeinsamen Tresen“ sollte dann mithilfe eines standardisierten Ersteinschätzungsverfahren entschieden werden, ob die Patienten ent- weder direkt versorgt oder in eine adäquate ambulante Versorgung vermittelt werden können. Anzahl, Standort und Versorgungsumfang der INZ sollte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) durch bundeseinheitliche Festlegungen bestimmen. Dabei ist der regionale Bedarf zu berücksichtigen. Wichtig ist zusätzlich eine Verknüpfung der INZ mit telemedizinischen Leistungen sowie dem aufsuchenden Bereitschaftsdienst. Über die bestehenden Notrufnummer 112 und die Nummer des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes 116117 würden Anrufende zukünftig je nach Dringlichkeit entweder in die Vertragsarztpraxis, an den Rettungsdienst oder in ein INZ vermittelt. Beide Rufnummern sollten weiterhin erhalten bleiben. Anderenfalls könnte sich die Erreichbarkeit der Notrufnummer 112 in dringenden Notfällen verschlechtern. Die Überlastung der Notrufzentralen in Großstädten ist bereits ein öffentlich viel diskutiertes Thema. Um unnötige Inanspruchnahmen der Rettungsleitstellen und Notaufnahmen zu vermeiden, sollten maximale Warte- und Bearbeitungszeiten für die 116117 der Kassenärztlichen Vereinigung bestimmt werden. Wichtig ist auch, dass bei einem getrennten Betrieb der beiden Rufnummern keine wertvolle Zeit bis zur Versorgung verloren geht. Bei Anrufen unter der Nummer 116117 ist sicher zu stellen, dass in lebensbedrohlichen Fällen direkt der Notarzteinsatz organisiert wird. Alle Akteure müssen daher vernetzt kommunizieren und agieren. Die Digitalisierung kann hier einen wichtigen Beitrag leisten.

Die Notfallversorgung ist selber Patient. Ein Interview mit Ralf Krawinkel, Fachbereichsleiter Feuerwehr Potsdam, Leitendender Branddirektor.

Zum Interview

Um weitere Reibungsverluste zu vermeiden ist eine Leitstellenreform erforderlich. In  den Bundesländern existiert zum Teil eine Vielzahl an regionalen Leitstellen. Diese sind Dreh- und Angelpunkt für die Aufnahme von Notrufen, die Einteilung und Organisation der Einsatzfahrzeuge des Rettungsdienstes und der Feuerwehr. Wichtig sind zielgerichtete Zusammenschlüsse von Regionalleitstellen. Erfahrungen einzelner  Bundesländer wie Brandenburg zeigen, dass so die operative und strategische Arbeit verbessert und die Interaktion zwischen den Leitstellen und externen Institutionen, wie dem ärztlichen Bereitschaftsdienst, optimiert werden kann. Effizienzreserven werden gehoben. Ebenso können Digitalisierungsprozesse beschleunigt und vereinheitlicht werden. Wesentlich ist eine verbindliche Schnittstellenbeschreibung, um eine Vernetzung der Leitstellen untereinander und auch mit anderen Akteuren, wie z. B. mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst, der Polizei oder der Feuerwehr, zu gewährleisten. Im Land Brandenburg (alle 5 Regionalleitstellen) ist diese digitale Verknüpfung zwischen Polizei, Feuerwehr und der Kassenärztlichenvereinigung bereits technisch umgesetzt und im Tagesgeschäft laufend. Die softwareseitige Vernetzung der Leitstellen ermöglicht eine Vertretung und Unterstützung untereinander, um die Disposition von Feuerwehr und Rettungsdienst auch bei Katastrophen und Großschadensereignissen sicherzustellen.

Zur Feststellung, ob ein medizinischer Notfall vorliegt, soll ein standardisiertes und soft- waregestütztes Ersteinschätzungsverfahren als Unterscheidungsinstrument eingeführt werden. Ein solch digitales Assistenzsystem soll alle in der Akut- und Notfallversorgung auftretenden Behandlungsanlässe abbilden, Behandlungsdringlichkeiten priorisieren und Empfehlungen für die geeignete Versorgung abgeben. Dabei muss im Sinne der Patientensicherheit das Verfahren über eine hohe Treffsicherheit bei der Entdeckung und Feststellung medizinischer Notfälle verfügen. So kann erreicht werden, dass Patienten direkt in das passende Krankenhaus, etwa in eine Klinik mit Stroke Unit („Schlaganfall-Einheit“), gebracht werden. Auch gilt es, die verbindliche digitale Datenweitergabe an den Rettungsdienst und an das angefahrene INZ einzuführen. Zusätzlich sollen telemedizinische Möglichkeiten flächendeckend genutzt werden. Sie führen z. B. aus dem Rettungswagen heraus eine telemedizinische Kontaktaufnahme mit dem Zielkrankenhaus durch. 

Ergänzend erhält das Krankenhaus bereits vor der Aufnahme die medizinischen Angaben der Patienten, die im Rettungswagen erfasst werden.

Gleichzeitig sollte die Vorhaltung eines Telenotarztes verpflichtend sein. Dieser kann dabei auch leitstellenbereichsübergreifend organisiert werden. Er soll schnell und räumlich unabhängig den Rettungsdienst qualifiziert unterstützen und regionale Notarztkapazitäten entlasten. So kann eine notarztbegleitete Rettungsfahrt z.B. unter Einbindung eines Telenotarztes erfolgen.

Zudem müssen Notfallsanitäter rechtlich mehr Kompetenzen erhalten, um Abläufe zu beschleunigen und unnötige Notarzteinsätze oder Krankenhauseinweisungen zu vermeiden, indem sie mehr medizinische Maßnahmen übernehmen dürfen. Es können auch neue Arten von Rettungsmitteln geschaffen werden. Notfalltransportwagen für nicht-zeitkritische Notfälle wären zum Beispiel eine sinnvolle Ergänzung. Das begrenzte hochqualifizierte Personal steht so den dringenden Notfällen zur Verfügung und die vorhandenen Kapazitäten der Rettungswagen werden gezielter eingesetzt.

Ebenfalls sollte die Verschiebung der Zuständigkeiten des Rettungsdienstes von kommunaler Ebene auf Regierungsbezirks- oder Länderebene geprüft werden. Dadurch kann die Finanzierung und Abrechnung des Rettungsdienstes für das jeweilige Bundesland einheitlich und durch eine zentrale Stelle erfolgen. Über die Grenzen einzelner Landkreise hinweg können beispielsweise die Standorte der Rettungswagen besser abgestimmt und auf die Fläche verteilt werden. Außerdem sind die Krankenhausplanung und die Bedarfs- und Kapazitätsplanung des Rettungsdienstes zwingend aufeinander abzustimmen, denn krankenhausplanerische Veränderungen haben unmittelbare Auswirkungen auf den Bedarf und die Fahrzeiten des Rettungsdienstes.

Ordnungspolitische Voraussetzung der Reform ist, den Rettungsdienst als eigenständigen Leistungsbereich im Sozialgesetzbuch zu verankern. So wird dann auch eine Abrechnung von Notfallbehandlungen vor Ort auch ohne den direkten Transport in das nächstgelegene Krankenhaus ermöglicht, wodurch das Patientenaufkommen in den Notaufnahmen der Krankenhäuser verringert werden kann. Fehlfahrten, die nicht zur Aufnahme in ein Krankenhaus führen, verursachen aktuell immer wieder Finanzierungs- und Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Trägern des Rettungsdienstes und den Kostenträgern.

Ergänzend gilt es noch einen Blick auf die Arzneimittelversorgung zu lenken. Auch diese hat in der Notfallversorgung Optimierungspotential. Patienten, die in Notfällen ein Krankenhaus aufsuchen, erhalten zur ambulanten Weiterversorgung Arzneimittelrezepte. Versorgungslücken können insbesondere im ländlichen Raum außerhalb der üblichen Öffnungszeiten einer Apotheke entstehen. Patienten können ihr Rezept nicht unmittelbar einlösen oder müssen weite Wege zurücklegen, um ihr dringend erforderliches Arzneimittel zu erhalten. Entsprechend ist in den INZ oder in deren unmittelbarer Nähe eine Apotheke vorzusehen. Diese Apotheke könnte auch eine Apotheke „light“ sein, die nicht alle Anforderungen an Apotheken hinsichtlich der räumlichen und organisatorischen Anforderungen und Ausstattung (z. B. Laborvorhaltung) erfüllen muss. Ergänzend sollten Krankenhausapotheken enger in die Versorgung eingebunden werden. Wird ein INZ an einem Krankenhaus betrieben, das auch eine Krankenhausapotheke hat, sollte diese die erforderlichen Arzneimittel an Patienten direkt abgeben dürfen, um somit eine kontinuierliche Versorgung zu gewährleisten. Das gilt auch für  Patienten  mit Entlassverordnungen. Nach jetziger Rechtslage dürfen die Krankenhausapotheken  diese  Arzneimittelrezepte nicht beliefern. Zulässig ist allenfalls eine (optionale) Mitgabe einzelner Tabletten zur Überbrückung an Wochenenden oder Feiertagen, die den Bedarf meist jedoch nicht ausreichend deckt. Ein weiterer wichtiger Schritt wäre die nachhaltige und verbindliche Koordination der Notdienste der Ärzte und Apotheken: Die Akteure sollten sich so abstimmen, dass jene Apotheken einen Nacht- und Notdienst leisten, die in der Nähe von Bereitschaftspraxen des ärztlichen Notdienstes liegen. Die Umsetzung der  vorgeschlagenen Maßnahmen gewährleistet eine unmittelbare Arzneimittelversorgung in  Notfällen und damit eine umfassende, stringente Notfallversorgung im Allgemeinen.

Zuletzt ist die Bevölkerung selbst ein wichtiger Faktor für die Reorganisation und  Entlastung der Notfallversorgung. Durch ein gutes Verständnis der Versorgungsstrukturen wissen Patienten, welche Anlaufstellen mit welchem  medizinischen Behandlungsbedarf sie aufsuchen sollten. Es gilt daher, in breiten Aufklärungskampagnen die beiden Rufnummern 112 und 116117 zu erklären. Würden die ambulanten Versorgungsmöglichkeiten gestärkt, könnte dies das Vertrauen in die 116117  stärken. Fühlten sich die Patienten dort  gut betreut, würde dies die Strukturen entlasten. Die freiwerdenden Kapazitäten können zielgerichtet für die lebensbedrohlichen Notfälle eingesetzt werden. Zusätzlich kann die Bevölkerung in einer Aufklärungskampagne lernen, wie sie selbst in Notfällen Hilfe leisten und somit Teil der Notfallversorgung werden kann. Nach Zahlen des Deutschen Reanimationsregisters erlitten in Deutschland im Jahr 2020 mindestens 60.000  Menschen einen Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb eines Krankenhauses. Nur etwa 10 Prozent der Betroffenen überlebten. Bei nur gut 40 Prozent aller Herz-Kreislauf-Stillstände wurde eine Reanimation durch Laien begonnen. In den skandinavischen Ländern, in denen Wiederbelebung ein Bestandteil im Schulunterricht ist, liegt die Quote hingegen bei 80 Prozent. Aufklärung und Ausbildung der Bevölkerung in elementaren Gesundheitsfragen ist demnach ebenfalls ein wichtiger Bestandteil einer Notfallreform.

Forderungen der Betriebskrankenkassen an eine Reform der Notfallversorgung

  • Leitstellen reformieren inkl. bundeseinheitliche Vorgaben zur digitalen Ausstattung der Leitstellen
  • Zuständigkeiten und Trägerschaft des Rettungsdienstes neu strukturieren
  • Rettungsdienst als eigenständigen Leistungsbereich im SGB V verankern
  • Ein standardisiertes Ersteinschätzungsverfahren für Notfälle schnellstmöglich einführen
  • Integrierte Notfallzentren (INZ) an ausgewählten Krankenhäusern mit stationärer Notfallstufe errichten
  • Vernetztes Notleitsystem unter Erhalt der beiden Nummern 112 und 116117 sicherstellen
  • Unterschiedlich personell ausgestattete Rettungsmittel (zum Beispiel Notfall-Transportwagen) entlasten die begrenzt vorhandenen Kapazitäten der Rettungswagen
  • Flächendeckender Einsatz von Telenotärzten
  • Eigenverantwortliches Handeln von Notfallsanitätern stärken, um Abläufe zu beschleunigen und unnötige Notarzteinsätze oder Krankenhauseinweisungen zu vermeiden
  • Gleichmäßige Verteilung der ärztlichen Praxis-Sprechzeiten auf alle Wochentage zur Sicherung einer konstanten Versorgung außerhalb der Notfallambulanzen
  • Verbindliches elektronisches Terminbuchungssystem über die Terminservicestellen für die niedergelassenen Ärzte einführen
  • Apotheken in den INZ oder in deren unmittelbarer Nähe für die direkte Arzneimittelversorgung vorsehen sowie
  • Kampagnen zur Aufklärung der Bevölkerung durchführen

Kontakt

Christian Busch
Teamleiter Krankenhaus, Ambulante ärztliche Versorgung, Zahnärzte

  • +49 30 2700 406 - 417
  • Nachricht schreiben
  • Visitenkarte herunterladen