Hochpreisige Arzneimittel

Zwischen Finanzierbarkeit und schnellem Zugang

In nur wenigen Jahren hat sich das Preisniveau der hochpreisigen Arzneimitteltherapien deutlich verschoben. Noch im Jahr 2014 galt das Hepatitis-Mittel Sovaldi als die „1.000-Dollar-Pille“. Seine Jahrestherapiekosten schlugen nach Zulassung durchschnittlich mit rund 85.000 Euro zu Buche. Aktuell stehen insbesondere neuartige Gentherapien im Fokus, deren Jahrestherapiekosten die von Sovaldi längst überflügelt haben. Das in der EU-zugelassene Zolgensma bietet der Arzneimittelhersteller Novartis/ Avexis seit Markteintritt am 1. Juli 2020 zu einem Preis von 2,26 Millionen Euro (inkl. Mehrwertsteuer) an – das sind die Kosten für einen einzigen Patienten.

bunte Tablettenmischung

Mit jedem neuen, noch teureren Präparat stellt sich die Frage, wie diese Arzneimittel möglichst bezahlbar bleiben und weiterhin schnell den Weg in die Versorgung finden. Denn: Nur, wenn neue Arzneimittel mit therapeutischem Zusatznutzen finanzierbar bleiben, werden die Patienten auch in Zukunft einen schnellen Zugang zu diesen Arzneimittelinnovationen haben.

Grundsätzlich stehen in Deutschland Arzneimittel ab dem Zeitpunkt der Zulassung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) zur Verfügung. Die Anwendung erfolgt sowohl ambulant, im Fall neuer Gentherapien auch vielfach stationär.

Diese neuen hochpreisigen Arzneimitteltherapien sind für die Krankenkassen eine finanzielle Herausforderung. Die Behandlung von Versicherten mit einem hochpreisigen Arzneimittel bringt insbesondere kleinere Krankenkassen zum Teil in existentielle Bedrängnis. Ein sehr guter erster Schritt ist die für 2021 vorgesehene Einführung eines Risikopools, der diese Belastungen abmildern könnte.

Darüber hinaus diskutieren die Krankenkassen mit den Arzneimittelherstellern aktuell verstärkt über sogenannte Pay-For-Performance-Modelle, die den erzielten Behandlungserfolg messen und Rückerstattungen beinhalten, wenn sich das gewünschte Therapieziel nicht einstellt. Auch Betriebskrankenkassen haben solche Vertrags-Modelle über ihre Dienstleister bereits geschlossen.

Diese Modelle können sicherlich Anreize für eine angemessenere Preisgestaltung setzen. Die Messbarkeit des Behandlungserfolges und eine daraus resultierende Monetarisierung müssen allerdings gegeben sein. Grundsätzlich sollten solche Modelle perspektivisch eher gemeinsam und einheitlich für die GKV im Rahmen der Erstattungsbetragsverhandlungen geschlossen werden. Das Problem erhöhter Preise im ersten Jahr nach Zulassung würden aber auch Pay-For-Performance-Modelle nicht lösen.

Die folgende Abbildung veranschaulicht die beschriebene Entwicklung:

Jahrestherapiekosten von Gentherapeutika und Sovalid im Vergleich

Preisfindung anpassen

Im Rahmen des sogenannten AMNOG-Verfahrens gilt der Grundsatz, dass Arzneimittelhersteller im ersten Jahr nach Marktzugang in der Preissetzung für ihr Produkt frei sind. Sechs Monate nach der Marktzulassung legt der Gemeinsame Bundesausschuss fest, welchen Zusatznutzen ein Arzneimittel hat. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen verhandelt auf Basis dieses Beschlusses einen Erstattungsbetrag, der aber erst nach einem Jahr greift. Die gesetzlichen Krankenkassen stellen diesen Grundsatz in Frage. Es ist aus ihrer Sicht nicht nachvollziehbar, warum ein Arzneimittelhersteller im ersten Jahr erhöhte Preise gegenüber dem eigentlichen Erstattungsbetrag fordern können soll. Eventuelle Preisabschläge, die nach dem ersten Jahr der freien Preisbildung anfallen, können zu Beginn eingepreist werden. Entsprechend sollte der Erstattungsbetrag rückwirkend auch für das erste Jahr nach Marktzugang gelten. Aufgrund der Rückwirkung bliebe im ersten Jahr die Funktion Deutschlands als Referenzpreisland für die Preisfindung in anderen Ländern – eine wesentliche Forderung der pharmazeutischen Industrie – erhalten. Deutschland ist Referenzland für die Preise in anderen (europäischen) Ländern. Diese bilden einen Warenkorb, aus dem sie den Preis für ihr Land bestimmen. Sind die Preise in Deutschland aus Sicht des Arzneimittelherstellers zu niedrig, werden Auswirkungen in anderen Ländern befürchtet. Das wird mit der Rückwirkung geheilt. Da der Preis erst später abgesenkt wird.



Absicherung von teuren Behandlungen - Die Krankenkassen erhalten Ausgleichszahlungen für besonders kostenintensive Therapien.

Risikopool

Problem: Marktzugang vor Zulassung

Das Verfahren der frühen Nutzenbewertung hat sich bewährt. Es zeigt auf, welche neuen Präparate echte Therapieverbesserungen bieten und welche nicht. Bei der Strategie der Hersteller, Arzneimittel schon vor der europäischen Zulassung in den Markt zu drücken, funktioniert die frühe Nutzenbewertung jedoch nicht, denn das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis wird erst über die Zulassung bescheinigt. Das bekannteste Beispiel ist hier Zolgensma. Das Arzneimittel war zunächst nur in den USA zugelassen. Eine Versorgung von deutschen Patienten hätte lediglich im Rahmen eines sogenannten Härtefall-Programms stattfinden können. In dessen Verlauf wären dann Daten erhoben und Haftungsfragen gelöst worden. Forderungen der Krankenkassen nach diesem Härtefall-Programm lehnte der Arzneimittelhersteller aber ab. Stattdessen wurde das Präparat in einer weltweit einmaligen Aktion verlost, was erhebliche Kritik hervorrief.

Ein Vorgehen wie bei Zolgensma führt dazu, dass die Frist der freien Preisbildung zugunsten des Arzneimittelherstellers um einen Zeitraum noch vor dem eigentlichen Marktzugang verlängert wird. Daher sollte für alle neuen Arzneimittel gelten: Wird das Arzneimittel bereits vor der europäischen Zulassung eingesetzt, sollte der Erstattungsbetrag nicht wie von den Krankenkassen gefordert ab dem ersten Tag nach der Zulassung gelten, sondern bereits rückwirkend ab dem Zeitpunkt der ersten Behandlung eines Patienten in Deutschland. Legt der Arzneimittelhersteller dagegen ein Härtefallprogramm auf, bleibt es bei der Forderung nach Geltung des Erstattungsbetrages zum Zeitpunkt des Marktzugangs.

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Referentin Politik
GKV-Finanzierung, Digitalisierung, ambulante Versorgung, Leistungs- und Beziehungsrecht, Mitgliedschafts- und Beitragsrecht, Qualitätstransparenz

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