BKK Kundenreport 2025

BKK Kundenreport 2025: Die Zeit für Kleinteilige Korrekturen ist vorbei

Florian Sado, Team Gesundheitsberichterstattung BKK Dachverband e.V.

Qualität sichtbarer machen, die Versorgung verbessern und die Zukunft des Gesundheitswesens gestalten: Die Ergebnisse des BKK Kundenreport 2025 sind ein Appell an Wandel und Kooperation. Die neue Ausgabe bekräftigt mit einem Fokus auf den Zugang zur Versorgung den klaren Handlungsauftrag an Krankenkassen, Leistungserbringer und Politik, die Weichen für ein patientenzentriertes und zukunftsfähiges Gesundheitssystem zu stellen. Die Perspektiven der 5.000 befragten Versicherten ergänzen Gastbeiträge von Expertinnen und Experten diverser Versorgungssektoren. Dieser Artikel beleuchtet die zentralen Erkenntnisse des BKK Kundenreports im Angesicht der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen und leitet daraus Implikationen und Handlungsoptionen für eine gemeinsame Gestaltung der Gesundheitszukunft ab.

Cover BKK Kundenreport 2025

Das deutsche Gesundheitssystem steht an einem Scheideweg: Einerseits beruft es sich auf Prinzipien wie Barrierefreiheit, Wirtschaftlichkeit und bedarfsgerechten Zugang zur Versorgung. Andererseits zeigen Erfahrungsberichte von Versicherten und die Ergebnisse des neuen BKK Kundenreports 2025, dass Anspruch und Wirklichkeit in vielen Bereichen auseinanderklaffen. Besonders bei komplexen oder chronischen Erkrankungen ist die Versorgung häufig fragmentiert und für Patientinnen und Patienten kaum durchschaubar. Die Menschen wünschen sich mehr als nur eine solide Absicherung im Krankheitsfall – sie wollen eine Gesundheitsversorgung, die sich an ihrem Alltag orientiert – wohnortnah, verständlich, digital erreichbar, qualitativ hochwertig und transparent.

Zwischen Lob und Frustration

Der diesjährige Report basiert auf der umfangreichen und repräsentativen Befragung von über 5.000 Versicherten der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung im August 2024 und zeigt: Trotz einer insgesamt hohen Zufriedenheit (Mittelwert 1,9 auf einer Skala von 1 bis 5) mit den Krankenkassen wächst das Bedürfnis nach aktiver Begleitung – insbesondere in einem System, das durch demografischen Wandel, Fachkräftemangel und zunehmenden Kostendruck immer stärker belastet wird. Außerdem gaben nur 4 von 10 Befragten an, dass es ihnen (voll und ganz oder eher) gut möglich ist, eine hohe Qualität bei den Krankenkassen zu erkennen.

Die Rolle der Krankenkassen muss sich daher weiterentwickeln – von den reinen Kostenträgern hin zu Kümmerern und Lotsen im komplexen Versorgungsalltag. Das zeigte sich bereits im ersten Kundenreport 2021, Veränderungen im wahrgenommenen Status quo gab es seitdem allerdings kaum. Noch immer sehen fast zwei Drittel der Befragten ihre Krankenasse als reinen Bezahler: Die nötigen Leistungen werden bezahlt, mehr Kontakt gibt es nicht. Für die Zukunft wünschen sich hingegen 73 Prozent eine Krankenkasse in der Rolle des Kümmerers oder Lotsen. Dies geht einher mit einer aktiveren Begleitung, passenden Angeboten und Leistungen zum richtigen Zeitpunkt und der Organisation und Vernetzung von Gesundheitsleistungen.

Die Rolle der Krankenversicherung (KV) aktuell und zukünftig

Datengestützte und personalisierte Präventions- und Versorgungsansätze sind dabei ein wichtiges Werkzeug. Die elektronische Patientenakte (ePA) ist hierfür ein elementarer Baustein, in der Versichertenbefragung zeigte sich jedoch, dass nur 17 Prozent diese zum Zeitpunkt der Erhebung nutzten. Dabei haben sich die rechtlichen Grundlagen für einen Ausbau der digitalen Möglichkeiten bereits in den letzten Jahren verbessert, vor allem durch § 68b SGB V („Förderung von Versorgungsinnovationen“, DVG, 2019) sowie § 25b SGB V („Datengestützte Erkennung individueller Gesundheitsrisiken durch die Kranken- und Pflegekassen“, GDNG, 2024). Nicht nur Experten wie der Sachverständigenrat Gesundheit (2021) sondern auch die Versicherten zeigen sich dafür offen, 61 Prozent würden einer intensiveren Nutzung der zu ihnen gespeicherten Informationen und Daten zustimmen, wenn sie im Anschluss auch individueller und bedarfsgerechter versorgt werden. Das Nutzungspotenzial ist hoch, aber auch viele bereits bestehende Angebote wie Digitale Gesundheitsanwendungen (DIGAs), digitale Medikamentenverwaltung oder Symptomchecker werden noch nicht in größerem Ausmaß genutzt oder sind sogar unbekannt.

Solche Entwicklungen sind nicht nur im Interesse der Versicherten. Die Herausforderungen des demografischen Wandels, der Fachkräftemangel, begrenzte Ressourcen und die zunehmende Krankheitslast durch chronische Erkrankungen treffen auf Strukturdefizite. Das erleben die Versicherten wie auch die Leistungserbringer bereits jetzt im Versorgungsalltag. Für die Mehrheit der Befragten ist die die Verfügbarkeit einer Gesundheitsversorgung vor Ort von großer Bedeutung, dies gilt insbesondere für Hausärzte. Besonders ältere Personen und chronisch Kranke bewerten die Verfügbarkeit lokaler Einrichtungen als wichtig. Die Zufriedenheit mit der Gesundheitsversorgung vor Ort hängt stark mit der Ortsgröße zusammen. Menschen aus kleineren Städten und Gemeinden, aber auch Personen mit schlechterem Gesundheitszustand sind tendenziell unzufriedener. Deutliche Unterschiede hinsichtlich der Zufriedenheit zeigen sich auch zwischen den verschiedenen Einrichtungen der Gesundheitsversorgung: Am zufriedensten sind die Versicherten mit Apotheken (Ø 1,7 auf einer Skala von 1 bis 5), gefolgt von Hausärzten (Ø 2,1) und Krankenhäusern (Ø 2,3). Deutlich schlechter schnitten die Fachärzte (Ø 2,6) und Selbsthilfeangebote (Ø 2,7) ab, letztere waren außerdem mehr als einem Drittel unbekannt. Ambulante (Ø 2,3) und stationäre Pflegeangebote (Ø 2,4) wurden gut bis mittelmäßig bewertet und waren knapp einem Viertel der Befragten unbekannt. Dies sind insgesamt betrachtet gute bis akzeptable Werte, es lohnt sich allerdings auch ein Blick auf die eher oder völlig unzufriedenen Versicherten: Bei Fachärzten waren dies 22 Prozent, bei Krankenhäusern 15 Prozent und auch bei Hausärzten noch 12 Prozent. Krankenkassen (5 Prozent) und Apotheken (4 Prozent) schnitten auch hier deutlich besser ab. Besonders Facharzttermine scheinen problematisch: 68 Prozent aller Befragten empfinden es als schwierig, einen Termin zu erhalten und 25 Prozent der GKV-Versicherten bewerteten die Wartezeit als nicht akzeptabel. Bei den PKV-Versicherten waren es nur 11 Prozent.

Ein besonderes Augenmerk muss auch dem Bereich Pflege gelten, der bereits jetzt von den zuvor genannten Herausforderungen besonders stark betroffen ist und das Gesundheitssystem in Form von Betroffenen und Beschäftigten an die Grenzen des Leistbaren bringt. Das gilt insbesondere für pflegende Angehörige: Ende 2023 wurden in Deutschland rund 5,7 Millionen pflegebedürftige Menschen gezählt. Davon wurde mit 3,1 Millionen die Mehrheit ausschließlich von ihren Angehörigen zu Hause betreut (DESTATIS 2024). Dies spiegelt sich auch in den Ergebnissen des BKK Kundenreport wider. Mit 16 Prozent war beinahe jeder Fünfte an der Pflege einer anderen Person beteiligt. Dabei zeigt sich auch eine Lücke im System der Pflegeversicherung. 6 Prozent der gepflegten Personen hatten keinen Pflegegrad, ein Sachverhalt der häufig unterschätzt wird und die bereits schwierige Situation für die Betroffenen weiter verkompliziert. Gemeinsam mit der Charité Universitätsmedizin, dem Medizinischen Dienst Bund und der Betriebskrankenkasse mkk hat der BKK Dachverband daher das Projekt PrävPfleg ins Leben gerufen, das im Laufe des Jahres 2025 starten wird. Gefördert durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses zielt die Initiative auf die Prävention von Pflegebedürftigkeit bei Menschen, deren Erstantrag auf Einstufung in einen Pflegegrad abgelehnt wurde. Dies geschieht durch den Einsatz von speziell geschulten Pflegekräften (sogenannte Prevention Nurses), die auf den individuellen Bedarf abgestimmte Interventionen unter Nutzung von bestehenden Präventionsinstrumenten und technischen Assistenzsystemen umsetzen. Durch die hohe Kompetenz kann außerdem einem weiteren Problem begegnet werden, und zwar dem Informationsdefizit seitens der Betroffenen. In der Versichertenbefragung gab nur gut die Hälfte der in die Pflege involvierten Befragten an, sich ausreichend zu den Leistungen der Pflegeversicherung informiert zu fühlen. 

Ein Kompass für die Versicherten

Angesichts dieser Erkenntnisse und der fundamentalen gesellschaftlichen Herausforderungen, die mit den bisherigen Steuerungsmechanismen – seien es Markt und Wettbewerb, Korporatismus oder staatliche Planung – nicht zu bewältigen sind, braucht es neue Denk- und Handlungsansätze – und einen Perspektivwechsel. Bisherige Reformen haben Kernprobleme wie Über-, Unter- und Fehlversorgung nicht nachhaltig gelöst. Es ist mehr als deutlich: Ein „Weiter so“ im Gesundheitssystem ist keine Option.

Einen solchen Kompass für die Neuausrichtung stellt das international viel rezipierte und teilweise bereits in der Regelversorgung eingesetzte Konzept der wertebasierten Gesundheitsversorgung (Value-based Healthcare) dar. Das Konzept stützt sich auf vier zentrale Wertedimensionen, die zusammen ein Bild von erfolgreicher Gesundheitsversorgung zeichnen:   

  1. Der gesellschaftliche Wert: Die Gesundheitsversorgung ist in den Grundwerten der Gesellschaft verankert. Sie respektiert Prinzipien wie Menschenwürde, Solidarität und Gleichheit. Für den Versicherten bedeutet dies eine grundlegende Sicherheit: Das System ist für ihn da, weil eine gute Gesundheitsversorgung ein gemeinschaftlicher Wert ist, nicht nur eine käufliche Dienstleistung.
  2. Der allokative Wert: Knappe Ressourcen wie Geld, Personal und Zeit werden bedarfsgerecht dort eingesetzt, wo sie den größten Nutzen für die richtigen Patientengruppen bringen. Für den Versicherten bedeutet dies, dass Investitionen in die Behandlungen und Strukturen fließen, die nachweislich helfen, und nicht primär in jene, die für Anbieter am profitabelsten sind. Es geht um die kluge Verteilung der Mittel zur Maximierung des Gesundheitsnutzens für alle.
  3. Der technische Wert: Das Richtige wird nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin auch richtig gemacht. Behandlungen und Therapien müssen auf wissenschaftlichen Belegen für ihre Wirksamkeit beruhen. Für den Versicherten bedeutet dies die Gewissheit, eine Behandlung zu erhalten, deren Nutzen und Sicherheit nach höchsten wissenschaftlichen Standards geprüft wurde.
  4. Der personalisierte Wert: Dies ist die revolutionärste Dimension des Konzepts. Hier werden individuelle Therapieziele gemeinsam mit dem Patienten aufgestellt und deren Erreichung konsequent kontrolliert. Entscheidend sind dabei nicht nur klinische Parameter, sondern vor allem die Perspektive des Patienten selbst. Gemessen wird dieser Wert durch zwei zentrale Instrumente:
    • Patient-Reported Outcomes (PROMs): Wissenschaftlich evaluierte Befragungen, die den Gesundheitszustand und die Lebensqualität direkt aus Sicht des Patienten erfassen. Es zählt nicht nur, ob ein Laborwert besser ist, sondern ob der Patient sich wirklich besser fühlt, weniger Schmerzen hat oder seinen Alltag wieder bewältigen kann.
    • Patient-Reported Experiences (PREMs): Erhebungen, die die subjektiven Erfahrungen des Patienten während des Behandlungsprozesses messen. Wurde ich verständlich aufgeklärt? Wurde ich in Entscheidungen einbezogen? Wie habe ich die Wartezeiten und die Koordination zwischen den Ärzten erlebt?

Die subjektiven Perspektiven der Versicherten bzw. Patienten sind demnach eine zentrale Messgröße für den Erfolg des Gesundheitssystems und wichtiges Element beim Ausbau der Qualitätstransparenz in der Versorgung, aber auch bei den Krankenkassen.

Der Weg von der Theorie zur Praxis ist oft kein leichter. Greifbarer wird das an manchen Stellen abstrakte, an manchen Stellen selbstverständlich erscheinende Konzept der wertebasierten Gesundheitsversorgung an den daraus abgeleiteten Behandlungspfaden (Patient Journeys). Dieser Begriff beschreibt die ganzheitliche Betrachtung, Gestaltung und Begleitung des gesamten Versorgungsweges, den ein Patient durchläuft – von der Gesunderhaltung, der ersten Wahrnehmung von Risikofaktoren oder Symptomen über die Phasen der Diagnostik und Behandlung bis hin zur Rehabilitation, dem Leben mit einer chronischen Erkrankung oder der Pflege. Insbesondere bei chronischen Erkrankungen und Multimorbidität bieten Patient Journeys neben den Disease-Management-Programmen neue Chancen, die Potenziale einer koordinierten integrierten Versorgung zu erschließen. Darüber hinaus bietet die Patient Journey eine strukturelle Antwort auf die wachsende soziale Isolation. Ein fragmentiertes System ist für alleinstehende, ältere oder multimorbide Menschen kaum zu bewältigen. Diese Begleitung kann das schwindende familiäre Netz ein Stück weit kompensieren und sicherstellen, dass auch vulnerable Personengruppen den Weg durch den Versorgungsdschungel finden. (vgl. Heinz & Knieps 2025). 

Patient journey

Dieser Ansatz kann auch die Nutzung von Gesundheitsdaten fundamental verändern. Anstatt nur als Abrechnungsinstrument zu dienen, werden Daten zu einem Frühwarnsystem. Sie ermöglichen es den Krankenkassen, nicht nur Rechnungen zu bezahlen, sondern aktiv Gesundheit zu fördern und zu erhalten. Dieser Wandel von reaktiver Administration zu proaktivem Gesundheitsmanagement ist das Herzstück der Transformation und entspricht genau dem Wunsch vieler Versicherter nach Orientierung, bedarfsgerechten Angeboten und vernetzten Gesundheitsleistungen und kann dabei helfen, die Rolle der Krankenkassen wie zuvor beschrieben neu zu definieren.

Fazit: Zeit zu handeln - Die Zukunft der Gesundheit gemeinsam gestalten

Die Analysen des BKK Kundenreports 2025 und die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den strukturellen Herausforderungen des Gesundheitssystems zeichnen ein klares Bild: Die Zeit des Abwartens und der kleinteiligen Korrekturen ist vorbei. Die Entwicklung und Implementierung von wertebasierten und sektorenübergreifenden Versorgungsmodellen wie der Patient Journey ist kein Nischenthema mehr, sondern ein zentraler und notwendiger Ansatz, um den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft wirksam zu begegnen. Wenn es gelingt, dass Krankenkassen sich konsequent darauf fokussieren, die Krankheitslast messbar zu reduzieren, kann dies einen substanziellen Beitrag zur Erneuerung und Stabilisierung des gesamten Gesundheitswesens leisten. 

Dieser Weg ist anspruchsvoll. Er erfordert einen erheblichen Aufbau von neuem Wissen und neuen Kompetenzen bei den Krankenkassen, insbesondere im Bereich Data Science und dem proaktiven Versorgungsmanagements. Es ist ein Weg, den die Kassen nicht alleine gehen können. Der Erfolg hängt entscheidend von der Akzeptanz und Kooperation aller Beteiligten ab: Es braucht Leistungserbringer – Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken, Therapeutinnen und Therapeuten, Pflegedienste –, die bereit sind, die Krankenkassen in ihrer neuen Lotsenfunktion als Partner auf Augenhöhe anzuerkennen und in vernetzten Strukturen zusammenzuarbeiten. Es braucht eine Politik, die den Mut hat, die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für diese innovativen Versorgungsformen konsequent zu verbessern und Anreize für Qualität zu setzen. Und es braucht informierte Versicherte, die die neuen Angebote annehmen, ihre Rolle als aktive Partner im Gesundheitsprozess verstehen und im Gegenzug auch von den Akteuren als solche verstanden werden. Die Zukunft einer patientenzentrierten, wertebasierten und nachhaltigen Gesundheitsversorgung muss gemeinsam gestaltet werden.

Die Ergebnisse des BKK Kundenreport 2025 sind nach wie vor ein klares Mandat der Versicherten für den Wandel. Sie zeigen, dass die Menschen bereit sind für ein Gesundheitssystem, das sie begleitet, stärkt und in den Mittelpunkt stellt. Speziell die Betriebskrankenkassen sind durch ihre traditionelle Nähe zu den Versicherten und den Betrieben, ihre regionalen Verankerungen und ihren Anspruch an innovative Lösungen hervorragend positioniert, um diesen Weg zu beschreiten und als Pioniere voranzugehen. Die Zeit zu handeln war in mancherlei Hinsicht vielleicht schon gestern, aber sie ist auch jetzt!  

Kontakt

Florian Sado
Referent BKK Kundenreport, Qualitätstransparenz

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