Projekt Virtuell Betreutes Wohnen

Länger und sicher zuhause leben

Innovationsfondsprojekt der BKK VBU erforscht Akzeptanz digitaler Helfer im Alltag

Selbstbestimmt leben, aber im Notfall sicher betreut sein – das ist der Wunsch der meisten älteren Menschen. Das Innovationsfondsprojekt „Virtuell betreutes Wohnen“ (VBW) der Betriebskrankenkassen und mehrerer Partner, verbindet digitale Technik mit sozialer Fürsorge. So soll erforscht werden, wie die Akzeptanz für digitale Helfer im Alltag erhöht und die Pflegebedürftigkeit durch sicheres, altersgerechtes Wohnen in eine spätere Lebensphase verschoben werden kann.

Das Bild zeigt eine alte Dame auf einen Gehstock gebeugt.

Die Gruppe der über 75-Jährigen ist hierzulande die am stärksten wachsende Bevölkerungsgruppe. In der Konsequenz steigt die Nachfrage an Betreuungs- und Pflegeleistungen, gleichzeitig wächst die Erwartung an die Versorgung. Dem gegenüber stehen jedoch ein enormer Mangel an pflegerischen und medizinischen Fachkräften sowie eine steigende Belastung für pflegende Angehörige.

Der Wunsch, in der eigenen Häuslichkeit alt zu werden, kommt überein mit dem Ansatz „ambulant vor stationär” gemäß § 43 Abs. 1 SGB XI. Doch wie kann das unter Bedingungen des Pflegenotstands umgesetzt werden, wenn zudem die einzelnen Versorgungssektoren in Deutschland bisher nicht ausreichend verzahnt sind, um älteren Menschen in ihrem Wohnumfeld eine bedarfsgerechte Versorgung zu gewährleisten?

Bündelung bestehender Ressourcen im interdisziplinären Team

Hier setzt das Konzept von „Virtuell betreutem Wohnen“ an: Die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Projektpartner soll neue Ressourcen nutzbar machen und Betreuungsleistungen effizienter und weitreichender gestalten. Dies erfordert Engagement und Zeit, kann aber auf lange Sicht einen Mehrwert für alle Beteiligten bedeuten und vor allem auch die Angehörigen entlasten.

Federführend bei dem Innovationsfonds-Projekt ist die Betriebskrankenkasse BKK VBU. VBW schafft mit den Konsortialpartnern DAK-Gesundheit und BAHN-BKK, dem Gesundheitsunternehmen Philips GmbH Market Dach, der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE, dem sozialen Dienstleister SOPHIA Berlin GmbH und der Charité – Universitätsmedizin Berlin ein sektorenübergreifendes Netzwerk, bei dem die Akteure Hand in Hand arbeiten.

Antizipieren von Risiken dank unterstützender Technik

Quartiersassistenten sind im Projekt bei den Themen rund ums Alter feste Ansprechpartner für die teilnehmenden Senioren sowie deren Angehörige und schaffen damit eine neue zeitgemäße Form von Quartiersarbeit. Neben der persönlichen Fürsorge steht die technologische Ausstattung der Wohnung im Fokus des Projekts, die das frühzeitige Erkennen von Gesundheitsrisiken ermöglicht.

Innovative Technologien wie sogenannte AAL-Sensoren (Ambient Assisted Living = Altersgerechte Assistenzsysteme) sowie ein Hausnotruf mit automatischer Sturzerkennung unterstützen den Alltag der Senioren in ihren eigenen vier Wänden. Montiert werden sie an neuralgischen Punkten wie etwa dem Kühlschrank oder an Zimmertüren. Auch sie registrieren kritische Veränderungen im alltäglichen Bewegungsmuster der Senioren, die als Warnzeichen digital an die Quartiersassistenten weitergeleitet werden. Diese können die Daten auslesen und bewerten sowie den möglichen Ursachen im persönlichen Kontakt mit den Projektteilnehmenden auf den Grund gehen. So können frühzeitig pflegerische oder medizinische Leistungen bedarfsgerecht koordiniert werden.

Zusätzlich zu den AAL-Sensoren erhalten die Haushalte ein Hausnotrufsystem (HomeSafe) mit einer automatischen Sturzerkennung. Es besteht aus einer Basisstation und einem um den Hals getragenen Funksender. Die sogenannte CareSage-Risikoerkennung nutzt Predictive Analytics. Dieses Modell verwendet historische Daten, um zukünftige Ereignisse vorherzusagen. Auf Grundlage der Hausnotrufdaten kann somit das Risiko für eine Krankenhauseinweisung innerhalb der nächsten 30 Tage vorhergesagt werden. Fortschrittliche Algorithmen analysieren also nicht nur den Ist-Zustand der Teilnehmer, sondern leiten aus der Datenhistorie zusätzlich die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten künftiger Gesundheitsprobleme ab. So können bei einer ungünstigen Prognose früh genug Maßnahmen ergriffen werden, um einen stationären Krankenhausaufenthalt zu vermeiden. Für einen allein lebenden älteren Menschen bedeutet dies einen großen Zugewinn an Sicherheit und damit auch an Lebensqualität.
Kommt es doch einmal zu einem Sturz, erkennen dies die im Funksender integrierten Sensoren und lösen einen automatischen Notruf aus. Einen zusätzlichen Knopf müssen die Senioren dafür nicht betätigen.  

Drei Säulen für mehr Gesundheit

So stärkt das Projekt auf drei Ebenen das sichere und eigenständige Leben der Generation 75+ in den eigenen vier Wänden: Über das Monitoring von Aktivitätswerten können die Beteiligten (präventiv) Hinweise auf den Gesundheitszustand der Projektteilnehmenden erhalten. Durch den Hausnotruf mit automatischer Sturzerkennung können Stürze frühzeitig (reaktiv) erkannt und behandelt werden. Die soziale Betreuung wirkt zudem der Isolation von alleinstehenden älteren Menschen entgegen und hat positiven Einfluss auf ihre psychische Gesundheit. Gemeinsame Spaziergänge, Begleitung zum Arzt oder Telefonpatenschaften tragen außerdem dazu bei, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und Einsamkeit vorzubeugen. Hier greift der soziale Dienstleister SOPHIA unter anderem auf ein Netzwerk von engagierten Ehrenamtlichen zurück, die eine bedeutende Stütze in der sozialen Betreuung darstellen.

Wissenschaftlich begleitet die Charité – Universitätsmedizin Berlin das Innovationsfondsprojekt. Kernfragen, die sich das Konsortium im Rahmen der Studie stellt, sind unter anderem, wie hoch die Akzeptanz der Technologie ist oder ob Pflegebedürftigkeit länger hinausgezögert werden kann, wovon das Gesundheitssystem profitieren soll.

Ausblick

Verlaufen das Modellprojekt und die wissenschaftliche Evaluation erfolgreich, könnte „Virtuell betreutes Wohnen“ künftig als Leistung für alle gesetzlich Versicherten dazu beitragen, Notfälle zu reduzieren, die eigene Häuslichkeit von Senioren länger aufrechtzuerhalten und die Pflegekassen zu entlasten. Auch eine Ausweitung des Angebots in die häusliche Krankenpflege hätte das Potential, das Pflegepersonal in der täglichen Arbeit zu unterstützen. Idealerweise finden künftig über das Konzept der Verknüpfung von sozialer Betreuung und digitaler Technik zwischenmenschliche Aspekte mehr Raum und monetäre Anerkennung in der Regelversorgung von älteren Menschen stärker Berücksichtigung.

Andrea Galle, Vorständin der BKK VBU:

Aktuell ist das Thema Pflegenotstand in aller Munde und das Projekt Virtuell betreutes Wohnen kann dazu beitragen, Pflegepersonal dort einzusetzen, wo es tatsächlich gebraucht wird. Das ist gute Digitalisierung und wir sind stolz darauf, in diesem Projekt mitwirken zu können.

  • Innovationsfondsprojekt „Virtuell betreutes Wohnen“ – VBW
  • Konsortialpartner: BKK VBU (Konsortialführung), DAK-Gesundheit, BAHN-BKK sowie das Gesundheitsunternehmen Philips GmbH Market Dach, die kommunale Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE, der soziale Dienstleister SOPHIA Berlin GmbH und die Charité – Universitätsmedizin Berlin
  • Rechtsgrundlage: IV-Vertrag gem. § 140a SGB V
  • Projektdauer: 3,5 Jahre; 01.10.2019 bis 31.03.2023
  • Projektteilnehmer und Ort/Region: 207 Senioren ab 75 Jahren aus dem Osten Berlins
  • Ziele: Es soll erforscht werden, ob diese Form von Wohnen im Alter dazu beitragen kann, dass Senioren länger selbstbestimmt und sicher in den eigenen Wohnungen leben können. Die wissenschaftliche Evaluation geht der Frage nach, ob Pflegebedürftigkeit hinausgezögert oder verhindert und Versorgungsanlässe reduziert werden können. Erweist sich das Modell als erfolgreich, könnte es in die Regelversorgung der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden.
  • Aktueller Stand (Juli 2020): Bislang wurden vier Wohnungen mit Sensoren und Hausnotrufgeräten inklusive automatischer Sturzerkennung ausgestattet. Sind diese erfolgreich, erfolgt die Akquise von weiteren 203 Versicherten der beteiligten Krankenkassen. Die Senioren nehmen zwölf Monate an der Intervention teil. Die wissenschaftliche Evaluation ist für Ende 2022 bis März 2023 angesetzt.
  • Digitale Elemente:
    • Hausnotrufsystem mit Sturzsensor und CareSage-Risikovorhersage
    • AAL-System mit Tür- und Bewegungssensoren