Gesundheit und Politik

Nachhaltige Reformen. Jetzt!

von Thomas Schepp, Abteilungsleiter Strategisches Controlling

Die gesetzlichen Krankenkassen erwarten für 2023 eine Finanzierungslücke von mindestens 17 Mrd. Euro. Was ist aus der Forderung an die Politik geworden, nicht mehr nach Übergangslösungen zu suchen, sondern wesentliche Inhalte des Koalitionsvertrags umzusetzen, um die finanzielle Basis der GKV langfristig zu sichern? Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist ein Spargesetz geworden, das rasch Löcher stopfen soll. Erhebliche Beitragssteigerung für Versicherte und Arbeitgeber, kaum kostendämpfende Maßnahmen durch Regelungen für Leistungserbringer, ein erneuter Zugriff auf die Rücklagen, die schon in diesem Jahr auf die Liquidität der Kassen wirkt. Da braut sich was zusammen. Ukrainekrieg, dramatisch steigende Energiepreise, die Industriebetriebe bedrohen und Familieneinkommen aufzehren. Dazu überschießende Ausgaben für Arzneimittel, Unmengen von Beitragsgeldern der Versicherten, die in veralteten Strukturen der Krankenhauslandschaft versenkt werden und durch Verzicht auf sektorenübergreifende medizinische Versorgung. Halten die Dämme? Oder gehen Kassen unter in der kommenden politischen Sturmflut? Wie wirkt das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz auf das System und den Wettbewerb? Unsere Abteilung Strategisches Controlling hat genau hingesehen.

Überschwemmung

Ausgangslage

Ab März 2020, als sich das Corona-Virus in Deutschland auszubreiten begann, startete zugleich eine Debatte rund um die Finanzierung der GKV. Auf der einen Seite wurde die Auffassung vertreten, dass man in Anbetracht der bevorstehenden Entwicklung und der damit verbundenen Unsicherheiten „auf Sicht fahren müsse“, um der neuen Lage gerecht zu werden. Andererseits wurden Forderungen nach grundlegenden systematischen Weichenstellungen immer deutlicher hörbar, um der absehbaren Finanzierungslücke und den Unwägbarkeiten für die GKV zu begegnen. Die angemahnten nachhaltigen Lösungen sollten nicht nur den pandemiebedingten Effekten begegnen, sondern waren auch eine Reaktion auf die kostenintensive Gesetzgebung der letzten Jahre, die das Gesundheitswesen betraf. 

Zu Beginn des Jahres der Pandemie bestand innerhalb der GKV sehr schnell Einigkeit darin, dass es nunmehr an der Zeit sei, mit Blick auf das Jahr 2023 nicht mehr nach Übergangslösungen zu suchen, sondern die Politik aufzufordern, wesentliche Inhalte des Koalitionsvertrags umzusetzen, um damit die finanzielle Basis der Krankenkassen mittel- bis langfristig zu sichern. Um die Dimension des Problems zu verdeutlichen, sollten frühzeitig die wesentlichen Faktoren benannt werden, ohne dabei schon zu versuchen, das Ergebnis des GKV-Schätzerkreises im Oktober 2022 vorwegzunehmen. Die aktuell weiterhin diskutierte Finanzierungslücke von 17 Mrd. Euro war in der Folge Ergebnis einer GKV-internen Bewertung vom Februar dieses Jahres. Das heißt, es wurden Entwicklungen bis zur vorläufigen Jahresrechnung 2021 bei den Krankenkassen mit einbezogen. Dabei fand keine detaillierte Einschätzung zu einzelnen Leistungsbereichen statt. Aktuelle Effekte aus 2022 konnten noch nicht berücksichtigt werden, weil diese sich erst im weiteren Verlauf des Jahres verfestigen. Damit ist diese Bewertung auch nicht als „Update“ zur Sitzung des GKV-Schätzerkreises vom Oktober 2021 zu verstehen

Der Ukraine-Krieg wird das GKV-Ergebnis wegen der Flüchtlingswelle bereits ab 2022 ausgabenseitig beeinflussen. Daneben wird sich die wirtschaftliche Entwicklung auf die Beitragseinnahmen ab dem Jahr 2023 auswirken. Auch die Pandemie wird sich mit möglichen Nach- und Aufholeffekten sowie einer möglichen neuen Infektionswelle im Herbst in irgendeiner Form noch in 2022 bemerkbar machen. Mit dem kommenden Haushaltsjahr 2023 sind zudem Leistungen im Zusammenhang mit Corona zu bewerten, die bisher vom Bund getragen wurden und deren weitere Finanzierung noch nicht geklärt ist. So drohen bspw. Mehrbelastungen für die GKV, wenn diese künftig für Corona-Impfungen und -Testungen aufkommen muss. Schließlich sind noch eine Reihe von Sondereffekten aus der Gesetzgebung der vorangegangenen Legislaturperiode zu beachten: Insbesondere die Ausgliederung des Krankenhauspflegebudgets mit der auf die verzögerten Verhandlungen zurückzuführenden Unsicherheit wird auch in 2023 noch außerordentliche Finanzwirkungen entfalten. Dabei steht die Frage im Vordergrund, ob die von den Krankenkassen bis dahin gebildeten Schätzverpflichtungen zu hoch oder zu niedrig waren. Möglicherweise könnten also auch entlastende Effekte eintreten.

Kassenspezifische Sachverhalte finden hierbei noch gar keine Berücksichtigung. Insgesamt besteht derzeit kein Anlass „Horrorszenarien“ für die Haushaltsjahre 2022 und 2023 aufzustellen. Die Finanzierungslücke könnte, muss aber nicht höher ausfallen, als die für 2023 avisierten 17 Mrd. Euro. Allerdings steht den Krankenkassen eine durch hohe Un- sicherheiten geprägte Haushaltsplanung für 2023 bevor. Genau in dieser Phase möchte der Gesetzgeber die Krankenkassen nun zu einem massiven Vermögensabbau zwingen.

Die Auswirkungen des Gesetzentwurfs eines Finanzstabilisierungsgesetzes auf die GKV insgesamt

  • Die kostendämpfenden Maßnahmen durch Regelungen für die Leistungserbringer bewegen sich auf einem relativ niedrigen Niveau. Immerhin waren es in dem „Nichtentwurf“ eines Gesetzes zur Stabilisierung der GKV-Finanzen 2023 von dem März dieses Jahres noch gut 5,3 Mrd. Euro. Nunmehr erhofft man sich Einsparungen von rund 2,6 Mrd. Euro. Mit Ausnahme der Erhöhung des Herstellerabschlags für Patentgeschützte Arzneimittel, der zumindest 1,0 Mrd. Euro „bringen“ soll, handelt es sich um eine Reihe kleinteiliger Maßnahmen, die zudem nur schwer quantifizierbar sind. Zumal der Effekt aus der Anhebung des Herstellerabschlags in 2024 wieder wegfallen soll, lässt sich an Hand der kleinteiligen Herangehensweise bei den übrigen Maßnahmen keine Struktur einer nachhaltigen Entlastung der GKV-Ausgaben erkennen.
  • Das Ausschüttungsvolumen des Gesundheitsfonds wird – wie bereits im Jahr 2021 – noch einmal über die Auflösung weiter Teile der übrig gebliebenen Rücklagen bei Krankenkassen und Gesundheitsfonds erhöht. Schon bei der Einführung der ersten Vermögensabgabe über das Gesetz zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege (Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz – GPVG) hat die GKV einhellig und sehr deutlich darauf hingewiesen, dass vorhandenes Vermögen nur einmal abgebaut werden kann. Nun mag der Eindruck entstehen, dass dies nichtzutreffend gewesen wäre und scheinbar immer wieder auf vorhandene Reserven zurückgegriffen werden könne.
  • Der erneute Zugriff auf die Rücklagen ist aber nur möglich, wenn die Anforderungen zur Vermögensausstattung immer weiter reduziert werden. Beim Gesundheitsfonds würde nach den Vorgaben des vorliegenden Gesetzentwurfs die Obergrenze der vorzuhaltenden Liquiditätsreserve (25 % einer durchschnittlichen Monatsausgabe) exakt dem Niveau entsprechen, das der Fonds seit seiner Einführung 10 Jahre lang als Mindestreserve vorhalten musste. Betriebsmittel und Rücklagen von Krankenkassen sollen ab dem nächsten Jahr nicht mehr als die Hälfte einer durchschnittlichen Monatsausgabe betragen. Erreicht das Vermögen einer Krankenkasse derzeit diese künftige Obergrenze, würde dies in dem Rating des GKV-Spitzenverbands zur Einschätzung der finanziellen Lage allenfalls zu einer mittelmäßigen Bewertung führen. Bis zum Jahr 2019 war noch das Fünffache dieses Wertes als Vermögensobergrenze zulässig.
  • Wenn man davon ausgeht, dass die ursprünglichen Vorgaben zur Finanzausstattung nicht aus der Luft gegriffen waren, ist es wenig vertrauenerweckend, dass die wesentliche Antwort der Politik auf die Stabilisierung der GKV-Finanzen in der Aufweichung dieser Anforderungen liegt.
  • Mit dem Abbau des Vermögens der Krankenkassen sowie der Reserve des Gesundheitsfonds geht eine Verschlechterung der Liquidität zur laufenden Finanzierung der Leistungsausgaben einher. Die Ära des Gesundheitsfonds war bis in das Jahr 2021 geprägt von einem stetigen wirtschaftlichen Aufschwung verbunden mit immer weiter fallenden Zinsen und überbordender Liquidität. Ab 2023 droht eine Umkehr dieser Entwicklung, die das Mittel der Kreditaufnahme in der GKV wieder in den Vordergrund rücken könnte. Den Krankenkassen selber ist diese Möglichkeit (noch) gesetzlich untersagt. Der Gesundheitsfonds würde allerdings automatisch von Bundesdarlehen Gebrauch machen, sobald die garantierte monatliche Ausschüttung an die Krankenkassen bis zum Ende einer monatlichen Ausschüttungsperiode nicht über eigene Mittel erreicht werden kann. Zudem sieht der Gesetzentwurf sowieso schon ein Bundesdarlehen in Höhe von 1,0 Mrd. Euro, das bis Ende 2026 getilgt werden soll, zur Finanzierung von Ausgaben im Jahr 2023 vor.
  • Isoliert betrachtet kann die Absenkung der Obergrenze für die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds noch als die Maßnahme mit dem größten nachhaltigen Effekt für die Finanzlage der Krankenkassen betrachtet werden. Sofern die gesamtwirtschaft- liche Entwicklung und in der Folge auch die Beitragseinnahmen der GKV besser ausfal- len, als dies vor Beginn eines Geschäftsjahres erwartet wird, kommen die zusätzlichen Einnahmen schneller bei den Kassen an. Aus heutiger Sicht ist allerdings schwer vorstellbar, dass diese Entwicklung bereits im Haushaltsjahr 2024 greifen könnte.
  • Der Versuch, im Bereich der Verwaltungsausgaben der Krankenkassen Einsparungen zu erzielen, indem der Anstieg der sächlichen Verwaltungskosten gedeckelt werden soll, erscheint bei all dem mehr als fragwürdig. So ist das Volumen dieser Maßnahme im Gesamtkonzept eindeutig zu vernachlässigen. Zudem stellt sich die Frage, warum gerade der Bereich der sächlichen Verwaltungskosten in den Vordergrund gestellt wird. Hiervon betroffen sind nämlich gerade auch Geschäftsprozesse, die von Krankenkassen in der Vergangenheit aus Gründen der Effizienz und Qualität nach außen verlagert wurden, also nicht mehr von eigenen Mitarbeitern ausgeführt werden. Dies nun durch eine Beschränkung des zulässigen Kostenanstiegs zu bestrafen, während die eigenen Personalkosten der Krankenkassen keinen entsprechenden Regelungen unterworfen sind, erscheint widersinnig. Nicht vergessen werden darf dabei außerdem, dass Maßnahmen des Gesetzgebers zur Begrenzung der ohnehin nicht ausufernden Verwaltungskosten aus den vergangenen 20 Jahren erkennbar wirkungslos blieben.

  • Mit dem erwarteten Defizit für 2023 und den avisierten Maßnahmen im Gesetzentwurf ist klar, dass die Sozialgarantie, die bei der GKV-Finanzierung in den Jahren 2021 und 2022 die maßgebliche Rolle zur Bemessung eines besonderen Bundeszuschusses gespielt hat, nicht mehr gehalten werden kann. Ein Gesamtsozialversicherungsbeitrag von über 40 % wäre bereits mit den voraussichtlichen Anstiegen in der Pflege- (+0,15 Prozentpunkte) sowie in der Arbeitslosenversicherung (+0,2 Prozentpunkte) gegeben. Der aktuell erwartete Anstieg um 0,3 Beitragssatzpunkte in der GKV kommt hier noch hinzu. Dabei sollte aber betont werden, dass letztlich der GKV-Schätzerkreis im Oktober dieses Jahres erstmals eine Prognose zur Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben der GKV in 2023 erstellen wird, die als Basis für die Festlegung des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes dient. Es bleibt abzuwarten, welche Erkenntnisse bis dahin zur Entwicklung der Vergütung von Leistungserbringern vorliegen und ob sich dann Ausgaberisiken aus dem Zustrom von Flüchtlingen und der weiteren Entwicklung der Pandemie quantifizieren lassen. Im Vergleich zu den beiden Vorjahren fehlt mit dem Wegfall des Bekenntnisses zur Sozialgarantie auch eine klare Vorgabe zum Zusatzbeitragssatz. Dieser könnte also auch höher ausfallen. Als die derzeit diskutierten 1,6 %.
BKK Dachverband e.V.

Auswirkungen auf die Wettbewerbslage in der GKV sowie auf Ebenen der einzelnen BKK

Nach der im Verlauf des Jahres 2020 beschlossenen Vermögensabgabe über das GPVG haben sich die Vermögensreserven im Verlauf des Geschäftsjahres 2021, die bis dato sehr ungleich zwischen den Krankenkassen verteilt waren, sehr aneinander angenähert. Dabei wurden die pro Krankenkasse an den Gesundheitsfonds abzuführenden Beträge in monatlichen Raten bis zum Ende des Geschäftsjahres durch den Gesundheitsfonds einbehalten. Verstärkend kam hinzu, dass das Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung (Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz – GKV-FKG) ab dem 01. Januar 2021 wesentlicher-finanzrelevante Änderungen im Krankenkassenwettbewerb mit sich brachte. Die Änderungen im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich konnten teilweise die bestehenden Über- und Unterdeckungen bei den Zuweisungen des Gesundheitsfonds nivellieren. 

Auch wenn sich auf Einzelkassenebene aktuell nach wie vor Unterschiede in der Höhe der finanziellen Reserven zeigen, sind die wettbewerblichen Auswirkungen bei der zweiten Vermögensabgabe in Folge des Entwurfs eines Gesetzes zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz – GKV-FinStG)) deutlich geringer als bei der ersten Vermögensabgabe.

Gänzlich unbeachtet bleibt im Gesetzentwurf mit Blick auf die Vermögensabgabe der komplette Geschäftsverlauf des Jahres 2022. Dies ist aus den folgenden Gründen problematisch:

  • Naturgemäß enthält die Jahresrechnung 2021 Schätzverpflichtungen. Erst in der Folgezeit stellt sich heraus, ob diese ggf. zu niedrig oder zu hoch bemessen sind. Hieraus können sich entsprechend Effekte auf die Vermögenslage einer Krankenkasse ergeben, die eigentlich ursächlich noch dem Geschäftsjahr 2021 zuzuordnen wären.
  • Mit der Jahresrechnung 2022 wird erstmals die im SGB V geregelte Vermögensabschmelzung wirksam, sofern die Finanzreserven einer Krankenkasse im dritten Jahr hintereinander das 0,8fache einer durchschnittlichen Monatsausgabe überschreiten. Diese Regelung ist verbunden mit einem Verbot von Beitragssatzanhebungen, solange diese Obergrenze nicht unterschritten wird. Aus diesem Grund waren einzelne Kran- kenkassen gezwungen, dass Geschäftsjahr 2022 mit einer Unterdeckung zu planen und auf eine eigentlich notwendige Beitragssatzanpassung zum 01. Januar 2022 zu verzichten.
  • Naturgemäß stellt sich der finanzielle Verlauf bei den einzelnen Krankenkassen in jedem Geschäftsjahr aus vielerlei Gründen sehr unterschiedlich dar.

Deshalb kann mit Blick auf das nächste Haushaltsjahr bei Umsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfs bereits jetzt hinreichend sicher erwartet werden, dass Krankenkassen, die auf Grund hoher Vermögensreserven in der Jahresrechnung 2021 relativ stark durch die Vermögensabgabe, die ihre Wirkung erst in 2023 entfalten würde, belastet werden. Genau diese Kassen werden zum 31.12.2023 finanziell voraussichtlich schlechter abschneiden, als Krankenkassen, deren Finanzreserven zum Jahresende 2021 vergleichsweise niedrig waren und deshalb kaum Vermögen abgeben müssen. Letztere weden ihre Wettbewerber durch zwei erfolgreiche Jahre 2022 und 2023 finanziell überholen.

Innerhalb des BKK Systems spiegeln sich die genannten Probleme der Krankenkassen mit der beabsichtigten Vermögensabgabe in allen Facetten wieder. Dadurch, dass in dieser Kassenart auch die kleinsten Krankenkassen zu finden sind, stellen sich die Risiken, die aus weiter reduzierten Finanzreserven resultieren, hier überproportional dar. Auch wenn der Gesetzgeber sinnvollerweise beabsichtigt, wieder eine absolute Komponente in den geschützten Vermögensbestand einzurechnen, trifft die Vermögensabgabe kleine BKK oftmals besonders hart. Diese sind weiterhin darauf bedacht, zur Risikovorsorge Rücklagen deutlich oberhalb einer Monatsausgabe aufzubauen. Hierbei nutzen sie eine Aus- nahmeregelung im SGB V, die es zulässt, dass Kassen mit weniger als 50.000 Mitglie- dern mehr Vermögen vorhalten, als es der noch gültigen Obergrenze des 0,8fachen einer durchschnittlichen Monatsausgabe entspricht. Dabei handelt es sich auch um eine sinnvolle Regelung, weil diese Obergrenze bei diesen kleinen Krankenkassen oft nicht ausreichen würde, um einzelne teure Leistungsfälle mit Kosten von mehreren Mio. Euro abzudecken. Auch der seit dem 01. Januar 2021 wieder eingeführte Risikopool hilft hier nicht unmittelbar, da die resultierende anteilige Erstattung erst mit erheblicher Verzögerung (frühestens im November des auf das jeweilige Geschäftsjahr folgenden Kalenderjahres) ausbezahlt wird. Damit droht die Illiquidität, wenn die vorhandenen Rücklagen einer Kasse nicht zur Zwischenfinanzierung ausreichen.

In besonderem Maße sind dabei die traditionellen BKK betroffen, die nur  für  Mitarbeitende der jeweiligen Trägerunternehmen zugänglich sind. Hierbei handelt es sich in den meisten Fällen gerade um Kassen mit weniger als 50.000 Mitgliedern. Wegen der besonderen Haftungssituation besteht hier eine spezifische Interessenlage der Arbeitgeberseite im Verwaltungsrat der Kasse. Um Risiken vom Trägerunternehmen fern zu  halten, ist ein Vermögensaufbau bei der jeweiligen BKK zu befürworten, auch wenn dieser mit höheren Kosten über die paritätisch finanzierten Beiträge der Mitglieder verbunden ist. Durch einen erneuten Eingriff in die Kassenreserven würde die Bundesregierung die betroffenen Trägerunternehmen dazu zwingen, entweder unmittelbar  einen  Wiederaufbau der Finanzreserven über höhere Beitragssätze der betriebsbezogenen Krankenkassen einzuleiten oder selber ein zusätzliches Risiko einzugehen, für den Fall, dass die eigene BKK in eine finanzielle Schieflage gerät.

Auch solange sich entsprechende Risiken noch nicht realisieren, kann kurzfristig mit Konsequenzen aus einer erneuten Vermögensabgabe gerechnet werden. Alleine die Unsicherheit, bei ungünstigen Ausgabeentwicklungen nur noch bedingt durch eigene Reserven gewappnet zu sein, erhöht den Fusionsdruck bei vielen Krankenkassen. Verstärkend kann dabei der Vertrauensverlust bei Trägerunternehmen geschlossener BKK gegenüber der Politik wirken: Die Motivation, die eigene Kasse zu unterstützen, könnte in Einzelfällen sinken und dazu führen, dass die betroffenen BKK geöffnet und fusioniert werden.

Durch die Finanzarchitektur des Gesundheitsfonds ist gesichert, dass Einbrüche bei den Beitragseinnahmen, die zum Beispiel durch wirtschaftliche Krisen hervorgerufen werden können, kurzfristig über den Gesundheitsfonds abgesichert sind. Getreu dem Motto „das Einnahmerisiko trägt der Fonds“, werden die Zuweisungen an die Krankenkassen vor Beginn jedes Haushaltsjahres festgeschrieben. Dennoch verbleiben auf der Einzelkassenebene Risiken, dass die Mittelzuflüsse die -abflüsse nicht ausgleichen. Neben dem nachgelagerten Ausgleich aufwendiger Leistungsfälle über den Risikopool bestehen andere Unwägbarkeiten und zeitliche Verzögerungen im Finanzausgleichssystem der GKV, dem Risikostrukturausgleich. So können Situationen für Krankenkassen eintreten, in denen zumindest Zeiträume knapper oder unzureichende Liquidität überbrückt werden müssen, bevor Ausgleichsberechnungen in der Systematik wirksam werden können. Hierbei ist es von wesentlicher Bedeutung, dass schnell reagiert werden kann.

BKK Dachverband e.V.

Im Frühjahr 2020 wurde beobachtet, welche Auswirkungen eine Verzögerung bei den Ausschüttungen des Gesundheitsfonds haben kann. Seinerzeit wurde die Liquidität eingeschränkt, weil der Fonds für verschiedene Pandemiebedingte Maßnahmen in Vorleistung getreten ist, die Kompensation durch den Bund zu Beginn dagegen schleppend anlief. Die oben dargestellte Abbildung verdeutlicht den Zeitverlauf, bis zu dem die vollständige Auszahlung der monatlichen Zuweisung jeweils im April der Jahre 2019 bis 2022 erfolgte. Die Verzögerung um ca. 10 Werktage in 2020 mag geringfügig erscheinen. Dennoch waren die Alarmsignale der Kassen, die auf akute Zahlungsschwierigkeiten hinwiesen, deutlich vernehmbar. 

Die Situation im Jahr 2020 normalisierte sich recht schnell wieder, weil die Kompensation durch den Bund kurzfristig sichergestellt wurde. Das Problem der Krankenkassen wurde wiederum dadurch verstärkt, dass im gleichen Zeitraum das Zahlungsziel für Krankenhausrechnungen deutlich verkürzt wurde. Zudem hatten die Kassen zeitlich keine Chance, auf das Problem mit der Auflösung von gebundenen Geldanlagen zu reagieren. Mit Blick auf 2023 können sich die Krankenkassen auf eine knappere Liquidität einstellen. Aller- dings muss dabei auch berücksichtigt werden, dass spätestens zum Jahresende 2023 ein Großteil der im April 2020 noch bestehenden Geldanlagen gar nicht mehr existieren wird, weil bis dahin zwei Vermögensabgaben der GKV wirksam geworden sind.

Die Risiken, die sich für die Krankenkassen mit Blick auf eine drohende Überschuldung wie auch eine mögliche Illiquidität ergeben, erfordern frühzeitige Gegensteuerungsmaßnahmen, um Haftungsfälle (also Insolvenzen und Kassenschließungen) zu vermeiden. Über die Finanzhilfeordnung des GKV-Spitzenverbands erscheinen Darlehen zur Über- brückung von Liquiditätsengpässen grundsätzlich möglich, wenn auch bezweifelt wer- den darf, ob diese sehr kurzfristig gewährt werden können. Eine nachhaltige finanzielle Unterstützung von sinnvoll und frühzeitig einzuleitenden Sanierungsprozessen bis hin zu freiwilligen Vereinigungen von Krankenkassen ist über dieses Instrument angesichts der Wettbewerbslage in der GKV undenkbar. Insofern wäre es unter den absehbaren Rah- menbedingen sinnvoll, wieder freiwillige finanzielle Hilfen zwischen Krankenkassen innerhalb einer Kassenart zu ermöglichen.

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