BKK INNOVATIV

Innovationsfondsprojekt STEP.De – Sporttherapie bei Depression

Jedes Jahr erkranken 1 bis 2 Prozent der Deutschen erstmals an einer Depression. Neben dem persönlichen seelischen Leid, das mit einer Depression einhergeht, ist sie auch für den Arbeitsmarkt eine hohe Belastung und somit eine der meist unterschätzten Erkrankungen überhaupt. Laut aktueller Datenauswertung des BKK Dachverbandes gehen 6,8 Prozent der Arbeitsunfähigkeitsdaten auf Depression zurück und belegen Platz sechs aller Arbeitsunfähigkeits-Indikationen. Ausschlaggebend dabei ist, dass die Dauer der Erkrankung sehr hoch ist. Hinzu kommt, dass die Betroffenen sehr lange auf einen Psychotherapie-Termin warten müssen. Bei leichter bis mittelschwerer Ausprägung kann eine Sporttherapie die Psychotherapie wirkungsvoll ergänzen und bei frühzeitigem Beginn sogar eine effiziente Alternative darstellen. Ziel des Innovationsfondsprojektes STEP.De – Sporttherapie bei Depression – ist es, Sporttherapie zu fördern und zu etablieren, um bestehende Versorgungsengpässe in der psychotherapeutischen Gesundheitsversorgung zu reduzieren.

Laufschuhe

Die 38-jährige Stefanie Waßmann, Dipl. Kauffrau, ist Beisitzerin im Vorstand der Deutschen Depressionsliga e. V. Sie ist verheiratet und Mutter eines 8-jährigen Sohnes. Frau Waßmann litt unter zum Teil schwerer Depression, die mit suizidalen Absichten einhergingen, bereits hinter sich. So stark, dass Aufenthalte in psychosomatischen Kliniken und einer ambulanten Tagesklinik nötig waren, um weiter, wie sie sagt, „leben zu können“. Auslöser waren hoher Alltagsstress, die Diplomarbeit oder auch schwierige Situationen bei der Arbeit.

„Ich hatte immer wieder das Gefühl, dass ich es nicht schaffe. Habe mir immer gesagt, ich darf mich nicht amüsieren, sondern muss durchhalten und weitermachen. Eine persönliche Auszeit oder einen Ausgleich zur Arbeit habe ich mir nicht genehmigt. Das Schlimmste aber waren die negativen Gedanken über mich und meine Umwelt“, erzählt sie.

Heute ist Stefanie Waßmann gesundheitlich stabil. Seit 2020 ist sie nicht mehr in therapeutischer Behandlung, aber noch immer von ihrer Psychiaterin in geringer Dosierung medikamentös eingestellt. Wichtig geworden in ihrem Leben ist Sport und die Teilnahme an dem Innovationsfondsprojekt step.de – Sporttherapie bei Depressionen.

„Die Anmeldung und die Wartezeit bei step.de ist mit viel weniger Bürokratie und kürzeren Wartezeiten verbunden. Sie kennt den bürokratischen Aufwand bei der Beantragung einer Psychotherapie und weiß, dass es bis zum tatsächlichen Behandlungsbeginn wesentlich länger dauert. . Der individuelle Trainingsplan und die Atmosphäre erinnern mich an eine kleine Selbsthilfegruppe. Hier habe ich Handwerkszeug gelernt, um bei einer Abwärtsspirale in meiner Depression handeln zu können. STEP.De hilft mir, mich in belastenden Situationen herunterzufahren, destruktive Gedanken aufzulösen“, so Frau Waßmann.

Auch Armin Rösl, Journalist und stellvertretender Vorsitzender in der Deutschen Depressionsliga e. V. leidet seit Jahren an Depression. Auch er hat einige Klinikerfahrungen hinter sich, weil er mit seinem Leben nicht mehr zurechtkam. Schlafprobleme, Angst und Panikattacken gehörten zu seinem Alltag.

„Ich fühlte mich wert- und nutzlos“, so Armin Rösl. Was ihm geholfen hat aus dem Teufelskreis der negativen Gedanken herauszukommen war Sport. Er ist überzeugt von der Sporttherapie und erklärt sich den Erfolg des Projekts vor allem durch den Sport in der Gemeinschaft.

„Man motiviert sich als Depressiver nicht allein“, weiß der Journalist, der bei einem Klinikaufenthalt vor elf Jahren die Sporttherapie anfangs, vor allem die Gymnastik früh am Morgen, nur als „Hölle“ empfand. Gelernt hat er daraus: „Man muss sich aufraffen. Hinlegen und Medikamente nehmen allein, das reicht nicht.“

Hören Sie sich auch die ganze Geschichte über den Krankheitsverlauf und den Therapieerfolg von Frau Waßmann und Herrn Rösl im Podcast an:

Im Augenblick liegt uns keine Transkription vor.

Das Programm STEP.De ehrgeizig: Insgesamt umfasst die Sporttherapie 32 Einheiten zu je 60 Minuten bei psychologisch geschulten Sporttherapeuten. Trainiert werden soll bestenfalls zweimal pro Woche über vier Monate. Ein Kurs beginnt mit 20 Minuten Ausdauersport, gefolgt von 20 Minuten Krafttraining und zum Abschluss 20 Minuten Entspannung. Außerdem begleiten Psychotherapeuten ihre Patientinnen und Patienten durch regelmäßige Telefonate.

Nach Abschluss der Sporttherapie folgt ein Abschlussgespräch beim Sporttherapeuten, um erlerntes Wissen der Übungen zu verstetigen. Ergänzend dazu erfolgt ein Nachsorgegespräch beim Psychotherapeuten, um auszuloten, welche Bedürfnisse die Patientinnen oder die Patienten noch haben und ob ggf. eine weiterführende Behandlung benötigt wird. Die Sport- oder Physiotherapeuten haben eine spezielle Schulung absolviert, zu Themen wie Erkennen von Notfällen, Symptomatik bei Depression und auch zu einem motivierenden Umfeld.

„Die Verknüpfung zwischen Psycho- und Sporttherapeuten ist ein wichtiger Faktor in dem Programm von STEP.De. Denn die Versorgungslandschaft für Psychotherapie ist schlecht, so dass nicht allen Menschen, die einen Bedarf an einer sofortigen Therapie haben, dieser auch angeboten werden kann. Einen Vorteil hat hier die Sporttherapie, denn sie kann schnell aufgebaut werden und Menschen helfen, die Zeit bis zum Therapieplatz zu überbrücken. Sporttherapie ist eine sinnvolle Ergänzung zur Psychotherapie bei einer Depression und keine Konkurrenz“, meint Univ.-Prof. Dr. Stephan Heinzel, Leiter AG Neurobiologische Mechanismen therapeutischer Interventionen an der Freien Universität Berlin.

Eckdaten: Innovationsfondsprojekt STEP.De – Sporttherapie bei Depression

An dem Innovationsfondsprojekt STEP.De – Sporttherapie bei Depression beteiligten sich die Betriebskrankenkassen BAHN-BKK, BMW BKK sowie die BKK VBU als Konsortialführerin. Begleitet und evaluiert wird es von der Universität Potsdam und der  Freien Universität Berlin. Die CONVEMA GmbH unterstützte im Rahmen des Dienstleistungs- und Abrechnungsmanagements und der Sport- und Gesundheitspark e. V. stellt die Infrastruktur zur Umsetzung der Sporttherapie zur Verfügung. Gefördert wurde das Projekt vier Jahre lang mit zwei Millionen Euro vom Innovationsausschuss des G-BA.

„Mit dem Innovationsfondsprojekt STEP.De wollten wir ein Angebot für Menschen mit leichter bis mittelschwerer Depression etablieren und ein Versorgungskonzept auf den Weg bringen, das auf der Theorie fußt, dass Bewegung nicht nur bei körperlichen Beschwerden empfohlen werden muss, sondern dass auch bei seelischer Belastung heilen hilft“, sagt Frau Marlen Du Bois, Projektleiterin und Referentin der BKK VBU.

Mit dem Projekt soll der zunehmende Versorgungsengpass bei der Psychotherapie aufgefangen werden.

„Die Wartezeiten bis zum tatsächlichen Behandlungsbeginn bei einer Psychotherapie wurden bereits vor der Corona-Pandemie auf drei bis sechs Monate beziffert. Wir gehen davon aus, dass sich diese Situation durch die Vielzahl der aktuellen Krisen weiter verschärfen wird“, so Frau Du Bois.

„Wir als BKK VBU wollen dem Anspruch gerecht werden, dass wir unseren Kundinnen und Kunden ganzheitliche Lösungen anbieten. Zu unserem Selbstverständnis gehört, dass wir aktiv im Gesundheitssystem der GKV mitgestalten möchten und dabei gern auch mal einen unkonventionellen Weg gehen, wie es uns im Projekt STEP.De ganz hervorragend geglückt ist“, erklärt Andrea Galle, Vorständin der BKK VBU und Konsortialführerin des Innovationsfondsprojektes.

Evaluationsergebnisse und Studiendesign

Im Projekt STEP.De wurde untersucht, wie Sporttherapie bei leichter bis mittelschwerer Depression die psychische Versorgung verbessern, eventuell sogar die Notwendigkeit einer Psychotherapie reduzieren oder sogar überflüssig machen kann. Dabei geht es auch darum, Eigeninitiative und Motivation zu stärken und eine Chronifizierung der Depression zu verhindern.

Insgesamt wurden 393 Patientinnen und Patienten randomisiert, davon haben 251 in der Gruppe der Sporttherapie und 142 in der Gruppe der Psychotherapie teilgenommen. Über das Fall- und Versorgungsmanagement der beteiligten Betriebskrankenkassen wurden betroffene Versicherte angesprochen. Zertifizierte Sporttherapeuten mit sportwissenschaftlichem Studiengang oder einer äquivalenten Ausbildung haben nach einem Erstgespräch durch approbierte Psychotherapeuten und einer Sporteingangstestung kleine Gruppen betreut, um mit gezielten Sporteinheiten der Depression zu begegnen.

Dr. Andreas Heißel, Sport- und Gesundheitswissenschaftler an der Universität Potsdam, hat zusammen mit seinem Team die Sporttherapie für STEP.De entwickelt. Die Universität Potsdam führte die Schulungen für die Sport- und Psychotherapeutinnen durch und begleitet auch die Evaluation. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Bereits nach vier Monaten hat sich der Gesundheitszustand der Betroffenen verbessert.

„Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beider Gruppen (Sporttherapie und Psychotherapie) sind im Durchschnitt bei einer mittelschweren Depression gestartet. Der gesundheitliche Zustand der Erkrankten hat sich nach nur vier Monaten erheblich verbessert. In den meisten Fällen wurde bei den Probanden danach nur noch eine leichte oder keine Depression gemessen“, so Dr. Andreas Heißel. „Fasst man die vorläufigen Ergebnisse zusammen, so können wir feststellen, dass die Sporttherapie im Vergleich zur Psychotherapie gleichwertige positive Effekte auf die Depressionssymptomatik aber auch auf die wahrgenommene soziale Anpassungs- und Arbeitsfähigkeit hat. Wichtig ist, dass die körperlichen Aktivitäten nach den jeweiligen Vorlieben auch nach der Sporttherapie in den Alltag eingebaut und fortgesetzt werden“, so der Gesundheitswissenschaftler.

Das Programm STEP.De ist auch online verfügbar und jeder kann sowohl virtuell als auch hybrid an der Sporttherapie teilnehmen. Recherchen haben gezeigt, dass es eine gute Infrastruktur an Sport- und Physiotherapeuten in ganz Deutschland gibt.

„Kraft meines Amtes bin ich ein großer Fan der Sporttherapie, da dadurch zahlreiche Erkrankungen verbessert werden können“, meint Prof. Dr. Bernd Wolfarth, Sportmediziner an der Charité und Leitender Olympiaarzt des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). „In den letzten Jahren hat die Wissenschaft gelernt, dass auch bei den psychiatrischen Erkrankungen, insbesondere bei der Depression, Sport eine große Rolle spielt. Noch sind die Wirkmechanismen nicht in der Tiefe bekannt. Man weiß aber, dass Sport die Resilienz fördert, gegen psychosoziale, aber natürlich auch insgesamt gegen gesundheitliche Belastungen. Wir sehen bei sportlich Trainierten tatsächlich in Vergleichsstudien größere Hippocampus-Volumina, und wir sehen auch erhöhte Werte für Wachstumsfaktoren für Nervenzellen. Man kann sich sicherlich nicht nur auf den Sport verlassen und auch nicht nur auf die Medikation, aber, wenn wir diese Wirkmechanismen durch unterschiedliche Ansätze versuchen zu bespielen, werden wir die richtigen Effekte erreichen“, erklärt Prof. Dr. Bernd Wolfarth.

Am Ende gehe es darum, dass für jeden und jede die bestmögliche Versorgung angeboten werden kann. Deshalb ist es auch wichtig, immer wieder Strukturen und Prozesse zu hinterfragen, die es in der heutigen Regelversorgung gibt. Hilfreich dabei ist, dass die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten in den Blick genommen werden.

„Das Projekt geht weiter. Nach Ablauf des Innovationsfondsprojektes STEP.De – Sporttherapie bei Depression im März 2022 haben wir mit allen Beteiligten einen Selektivvertrag nach § 140 a geschlossen. Ziel ist es, dass das Programm in die Regelversorgung überführt wird. Ich bin fest davon überzeugt, dass jede Investition nach dem Motto: ‚ambulant vor stationär‘´ gut ist. Wir brauchen mehr Mut und weniger Hürden. Wir müssen ausprobieren können und nicht in der Kultur leben "Alles, was nicht erlaubt ist, ist verboten", so Andrea Galle.

Fazit der Betroffenen: „STEP.De ist in meinen Augen einfach ein wichtiger Baustein einer ganzheitlichen Behandlung von Betroffenen“, bestätigt Stefanie Waßmann.

„Das körperliche Auspowern wurde zum Erfolgserlebnis, Anstrengung gehörte dazu. Ich habe wieder gelacht und mehr Selbstvertrauen gewonnen“, erklärt Armin Rösl. „Ich habe mein Gefühl für mich selbst wiedergefunden, was zuvor, trotz Unterstützung durch einen Psychologen, so nicht gelungen ist.“

Kontakt

Andrea Röder
Referentin Strategische Unternehmenspolitik Verbandsarbeit, Gremien, Netzwerkbüro

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