Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat Anfang Februar 2024 seine Pläne für die Umsetzung des Maßnahmenpakets zur Stärkung des Pharma-Standorts Deutschland vorgelegt. Mit seinem Medizin-Forschungs-Gesetz (MFG) will er bürokratische Hindernisse im Bereich der klinischen Forschung abschaffen. Der Gesetzgeber möchte unter anderem die bisher geltenden Regelungen zum Datenschutz, zur Durchführung von klinischer Forschung und zum Strahlenschutz ändern. Neben bürokratiemindernden Maßnahmen planen das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, in ihrem aktuellen Referenten-Entwurf des MFG eine Vertraulichkeit des Preises von neuen patentgeschützten Arzneimitteln einzuführen.
Europäische Gesundheitsexperten loben die bisherige Preistransparenz in Deutschland
Derzeit sind Arzneimittelpreise transparent in einem sogenannten Preis- und Produktverzeichnis gelistet. Die angedachte Intransparenz des Arzneimittelpreises ist der zentrale Punkt im aktuellen Gesetzesentwurf, der die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) hart trifft. Laut Begründung des BMG soll damit der Absatzmarkt für patentgeschützte Arzneimittel in Deutschland attraktiver gestaltet werden. Ob der vertrauliche Erstattungsbetrag auch nur ein einziges pharmazeutisches Unternehmen dazu bewegen kann, in Deutschland zu bleiben, ist allerdings zu bezweifeln. In diesem Fall ginge eine Ära der Transparenz im deutschen Gesundheitswesen zu Ende. Europäische Arzneimittelexperten bewerten gerade die Preistransparenz bei Medikamenten in Deutschland als vorbildlich. Auch betrachten sie sie als grundlegenden Schritt gegen die Hochpreispolitik der pharmazeutischen Industrie. Wenn es keine Preistransparenz im Arzneimittelbereich gibt, macht dies eine neutrale Bewertung der Medikamentenpreise unmöglich. Das gesamte deutsche Gesundheitswesen baut auf dem Fundament der Preistransparenz auf. Es ist anzunehmen, dass der Wegfall der Preistransparenz sowohl negativen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit bei der Verordnung von Arzneimitteln als auch auf die Höhe der GKV-Ausgaben nehmen wird.
GKV-Spitzenverband und Arzneimittelhersteller verhandeln Erstattungsbetrag
Aktuell verhandelt die zentrale Interessenvertretung der Gesetzlichen Krankenversicherung, der GKV-Spitzenverband, mit dem pharmazeutischen Unternehmer, welcher ein neues Arzneimittel auf den deutschen Markt gebracht hat, einen Erstattungsbetrag. Dabei orientieren sich die Verhandlungsparteien vor allem am medizinischen zusätzlichen Nutzen der Innovation und den Kosten der Vergleichstherapie. Der Arzneimittelhersteller meldet das Ergebnis, und der aktuelle Erstattungsbetrag wird im Preis-und Produktverzeichnis gelistet. Dieser Preis ist die Grundlage für sehr viele Entscheidungen im deutschen Gesundheitswesen.
Warum Preistransparenz bei Arzneimitteln nötig ist
Ärztinnen und Ärzte müssen eine wirtschaftliche Therapie für ihre Patienten wählen. Wie können sie das tun, wenn der Preis von Arzneimitteln nicht offengelegt wird? Die Verhandlung eines vertraulichen Preises auf Bundesebene kann nicht alle individuellen Voraussetzungen der täglichen Versorgung einpreisen. Daher müssen die einzelnen Entscheidungsträger wie beispielsweise Ärzte den tatsächlichen Preis kennen. Dieses Problem thematisiert das BMG im aktuellen Entwurf überhaupt nicht.
Wirtschaftlichkeit ist im Gesundheitswesen oberstes Gebot
Das deutsche Gesundheitswesen ist über die gemeinsame Selbstverwaltung organisiert. In dieser sind alle Player des Gesundheitswesens über ihre Interessenvertretung beteiligt. Hierzu zählen die Vertretungen der Ärzteschaft (Kassenärztliche Vereinigungen) wie auch die Landesverbände der Krankenkassen. Zum Beispiel vergleichen sie verschiedene Arzneimitteltherapien und geben der Ärzteschaft Tipps zur wirtschaftlichen Behandlung. Aussagekräftige Empfehlungen können sie jedoch auf der Grundlage von falschen oder zu hohen Preisen nicht abgeben! Apothekerinnen und Apotheker müssen sich ebenfalls wirtschaftlich bei der Abgabe von Arzneimitteln verhalten. Zum Beispiel müssen sie eine bestimmte Quote an günstigen Importarzneimitteln abgegeben. Diese sind vom Inhalt her identisch mit ihrem Originalprodukt. Nur die Verpackung sieht anders aus. Diese Regelung will das BMG kurzer Hand für Arzneimittel mit einem vertraulichen Preis aussetzen. Zusätzlich wird es Herstellern von Importarzneimitteln nicht mehr möglich sein, eine preisgünstige Alternative im deutschen Markt zu platzieren. Für die GKV und das Solidarsystem bedeutet das, dass hier bei gleicher Qualität der Versorgung viel Geld für alle Versicherten verloren geht. Gerade in Zeiten der knappen Kassen ist dies ein fatales Signal.
Pläne des BMG schaffen neue Bürokratie
Die gesamte Abrechnung der Arzneimittel basiert aktuell auf einem transparenten Preis. Die Vertraulichkeit des Preises erfordert neue, hoch komplizierte Abrechnungswege. Krankenkassen müssten zukünftig alle Medikamente mit vertraulichem Preis rückabwickeln, und das gilt für jede einzelne Verordnung dieses Arzneimittels. Alle Beteiligten müssen parallele umständliche Strukturen aufbauen und dafür neue Kapazitäten bereitstellen. Möchte eine Krankenkasse oder auch eine betroffene Privatperson ihren berechtigten finanziellen Anspruch realisieren, kostet das Zeit und damit Geld. Und zwar nicht nur den Anspruchsberechtigten, sondern auch den betroffenen pharmazeutischen Unternehmer. Denn zukünftig soll jede Krankenkasse einzeln in die Rückabwicklung mit dem Arzneimittelhersteller gehen.
Die geplante Preisvertraulichkeit ist nicht zielführend. Sollte sie kommen, würden Arzneimittelhersteller mit Einzelrechnungen überschüttet werden. Für die Bearbeitung hätten sie laut Gesetzentwurf zehn Tage Zeit. Der Weg, wie der Anspruch umgesetzt werden soll, ist bisher ungeklärt. Eine Möglichkeit zur Vereinfachung – wie beispielsweise durch die Digitalisierung des Prozesses – ist aktuell nicht angedacht. Im Zeitalter von eRezept und co werden neue Strukturen von Einzelfallbearbeitung geschaffen. Das ist schwer nachvollziehbar.
Neue Kosten kommen. Wo sind die Einsparungen?
Das BMG begründet die Einführung des vertraulichen Preises mit einem zukünftig günstigeren geheimen Preis. Theoretisch sollte die GKV also damit Geld sparen. Das Ministerium plant, einen vertraulichen Preis einzuführen, der voraussichtlich niedriger sein wird als der bisherige Preis. Dadurch sollen die gesetzlichen Krankenkassen theoretisch Geld sparen, so die Begründung. Allerdings ist es ungewöhnlich, dass im entsprechenden Gesetzentwurf keine finanziellen Auswirkungen angegeben sind. Auch ist die Aussage des BMG, mit der Vertraulichkeit des Preises Ausgaben zu verringern, grundsätzlich anzuzweifeln.
Preistransparenz ist Grundlage für faire Verordnung von Arzneimitteln
Die Transparenz des Preises von Arzneimitteln ist die Grundlage zur fairen Verordnung von Medikamenten und deren Abrechnung in der GKV. Eine Vertraulichkeit des Preises wirkt sich auf verschiedenartige Regelungen in der GKV negativ aus. An einigen Stellen des aktuellen Referentenentwurfs hat das BMG versucht, diese Löcher mit weiteren neuen Regelungen zu stopfen. Auch wenn das BMG demnach versucht hat, einige Hindernisse aus dem Weg zu räumen, ist die praktische Umsetzung der Pläne aus Sicht der Betriebskrankenkassen noch unausgegoren.
Kontakt
Dr. Christina Diessel
Referentin Arzneimittel
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Dr. Christina Diessel ist Ansprechpartnerin für alle leistungsrechtlichen und gesundheitspolitischen Fragen zu neuen Arzneimitteln. Die promovierte Fachapothekerin für Arzneimittelinformation und AMNOG-Expertin vertritt die Interessen der Betriebskrankenkassen in der frühen Nutzenbewertung neuer Arzneimittel auf Bundesebene.