Innovationsforum KI im Gesundheitswesen

Einfach machen, es geht!

Von Stefan B. Lummer

Für das deutsche Gesundheitswesen ist jetzt der wichtigste Zeitpunkt, für einen echten Schub in der Digitalisierung. Rechenleistung, der Blick in die menschlichen Gene und einige hochinteressante Cluster von Medizinern der internationalen Spitzenklasse in deutschen Unikliniken und den vernetzten Forschungseinrichtungen treiben die personalisierte Medizin in der Gen- und Zelltherapie voran. Das geht nur mit dem klugen Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Auch in der Gesundheitsversorgung in Arztpraxen sind innovative KI-Lösungen die zentrale Voraussetzung, um die Herausforderungen des nächsten Jahrzehnts zu bestehen. Prof. Dr. Jochen A. Werner und Prof. Dr. David Matusiewicz haben im März eine beeindruckende Runde von Menschen mit Expertise zu KI und Generativer AI am Tegernsee versammelt: ein inspirierendes intersektorales-Netzwerk-Format.

Ein Referent vor einer Präsentation
Nikolay Kolev, Doctolib, Member of the Global Executive Committee

Wir werden unruhig, wenn es langsam wird. Mit diesem Satz hat Professor David Matusiewicz, Gründer von 10xD, nicht nur das Mindset seines Ökosystems für das digitale Gesundheitswesen vorgestellt, sondern auch eine außergewöhnliche Runde auf einen Tag mit einem Feuerwerk von Keynotes und einen Abend mit KI-Brainsnacks eigestimmt. Künstliche Intelligenz ist der Schlüssel für Deutschlands digitale Aufholjagd und sie kann sogar das von unserem digitalen Alltag abgehängte Gesundheitswesen beschleunigen – wenn die Daten richtig genutzt werden und die Entscheider Investitionen in die richtigen Bahnen lenken. 2023 haben wir alle mit generativer KI experimentiert, gespielt und zugleich gestaunt, wie schnell Nutzerzahlen durch die Decke gingen. In den Medien hat gefühlt jeder etwas zu generativer KI gesagt. Wir haben über die grotesken Bilder des Google Chatbots Gemini gespottet, weil der Tech-Konzern es mit diversen Darstellungen historischer Personen arg übertrieben hatte.

Ein Mann referiert vor einer Präsentation.
Dr. Siegfried Marquardt, Gründer des MVZ Zahngesundheit am Tegernsee

„Sure, here is an image of a 1943 German Soldier“ versicherte der Chatbot und hat uns Frauen und Personen verschiedener Ethnien in Wehrmachtsuniformen untergejubelt, was, vorsichtig gesagt, verstörend wirkte. Google verzichtet nun vorerst darauf, KI-generierte Bilder von Menschen zu zeigen und arbeitet an einer verbesserten Version des Chatbots.

Derweil haben wir etwas über die Begriffe Bias, also Vorurteil, und Halluzination gelernt. Eine KI-Halluzination entsteht, wenn ein Large Language Model, (LLM) falsche Kontexte erzeugt. Oder haben wir „einfach eine lausige Software“ gesehen, wie der Neurowissenschaftler Gary Marcus, von der New York University gespottet hat?

Nun, der Grund, weshalb Googles LLM Bilder in historisch falschen Kontexten generiert hat, ist ein fehlgeschlagener Versuch, den KI-Modellen Vorurteile auszutreiben. Gemini darauf zu trainieren, auf Diversität zu achten, hat uns den Königsberger Philosophen Immanuel Kant als Person of Colour beschert.

Wir werden unruhig, wenn es langsam wird.

Prof. Dr. David Matusiewicz Gründer 10xD

Lassen wir also besser die Finger von KI und LLM? Gar nicht. Das Jahr 2023 ist vorbei, 2024 wird angepackt: Jetzt geht es darum, echte Werte zu schaffen. Der Nash Squared Digital Leadership Report, die international größte Umfrage unter Tech-Entscheidern aus 86 Ländern zeigt: Jedes dritte Unternehmen hat generative KI schon implementiert. Ein weiteres Drittel zieht den Einsatz generativer KI in Erwägung. Lösungen wie Interaktionen mit Kunden per Chatbot oder interne Interaktionen mit Helpdesks sorgen für Dynamik.

Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen nutzen bereits generative KI oder haben dies als zentrale strategische Initiative für die kommenden Jahre identifiziert. Wir sehen also rasch wachsende Investitionen und Landschaften der Nutzung „Wir werden das Personal nicht mehr haben.“ Aus diesem Fazit der Entwicklung einer alternden Industriegesellschaft an der Schwelle ihrer Transformation zur digitalen Wissensgesellschaft hat Nikolay Kolev, Europachef von Doctolib, die strategischen Überlegungen seiner herausragenden Keynote abgeleitet. Im unerschütterlichen Glauben an die user experience bietet das deutsch-französische Unternehmen, das wir in Deutschland noch als Plattform zur Vereinbarung von Arztterminen wahrnehmen, Zeit sparen und Entlastung als zentrale Produkte an.

Nikolay Kolev will mehr: die Digitalisierung im Gesundheitswesen endlich antreiben. Wie die Erfolgsgeschichte weitergeschrieben wird und mit welchen Tools „ein KI Premium Erlebnis“ in der Gesundheitsversorgung geschaffen wird, das hat Nikolay Kolev in Tegernsee off-the-records erzählt und wir respektieren das, aber einen strategischen Gedanken nehmen wir noch mit in diese Magazin-Ausgabe: Health is hyperlocal. 

Ein KI-generiertes Bild eines menschlichen Kopfes
KI-generiert mit Adobe Firefly

Schlüsselelemente erfolgreicher KI

Generative KI allein wird weder Unternehmen, Krankenhäuser noch Arztpraxen retten. Unternehmen, die eine Abkürzung nehmen und bei der digitalen Transformation den Wandel der Organisation auslassen wollen, werden scheitern.

Um über KI Piotprojekte hinaus zu skalieren und einen dauerhaften Wert zu schaffen, bedarf es eines umfassenderen Wandels. Die neue McKinsey Analyse umreißt die Schlüsselelemente:

  • Klare Geschäftsstrategie: Ist das Unternehmen ein „Taker“ (mit vorgefertigten GenAI-Diensten zur Erschließung von Effizienzsteigerungen), ein „Shaper“ (Integration von LLMs mit proprietären Daten, um Wettbewerbsvorteile zu schaffen) oder ein „Maker“ (Entwickler eigener LLM)?
  • Breites Training, KI-Skilling und zentralisierte Teams zur Skalierung von Best Practices, Tests, wiederverwendbare Komponenten werden der Schlüssel sein.
  • Starke Datengrundlagen: KI ist nur so gut wie die Daten, über die sie nachdenkt.
  • Vertrauen aufbauen, um Akzeptanz zu gewährleisten.

Dr. Siegfried Marquardt, Chef des MVZ Zahngesundheit am Tegernsee, in dessen Räumen das Innovationsforum KI stattfinden konnte, hat einen großartigen Einblick gegeben, wie dramatisch weit sich moderne Zahnmedizin mit Hilfe von KI bereits vom alten Geschäftsmodell drill-fill-bill entfernt hat. Längst geht es in den Praxen beim Zahnersatz nicht mehr nur um ein perfektes Lächeln, sondern um Zusammenhänge im Bewegungssystem, die ausgehend von der Funktion der Kieferknochen und der Muskulatur Wirkungen weit abwärts vom Kopf zeigen. Unsere Kauorgane wirken auf den gesamten Körper und Stoffwechsel.

Jede Parodontitis beeinflusst direkt den Säure-Basen-Haushalt. Siegfried Marquardt, der Spitzensportler für den Deutschen Skiverband und dessen Nationalmannschaften sowie den deutschen Eishockeybund betreut, denkt von Zahnschmerzen oder einem Zahntrauma ausgehend an Fehlbelastungen im Nacken, Rücken oder im Hüftbereich. Zahnbeschwerden, die unsere Balance stören. Siegfried Marquardt spricht von einer Perlenkette vom Kopf abwärts bis zum Fersenknochen.

KI ist im Einsatz, wenn der Kieferbereich gescannt wird, das Zusammenspiel von Knochen und Muskulatur im virtuellen Modell berechnet und simuliert wird, wenn für 3D-Drucker Vorlagen für Zahnimplantate errechnet werden. Selbstverständlich investiert das MVZ Zahngesundheit am Tegernsee auch in KI für Praxissysteme mit eRezept, Terminvereinbarung, Patientenmonitoring und Telemedizin.

Von der Faszination über die digitale Arztpraxis und die Möglichkeiten von High-Tech im Gesundheitsraum stürzte der erfolgreiche Autor des Campus Verlags, Professor Thomas R. Koehler, die KI-Experten am Tegernsee in ein Wechselbad der Gefühle. KI kann Unmengen von Daten in Sekunden analysieren und Muster erkennen. Aber sie braucht Menschen, die richtige Fragen stellen und menschliche Aufsicht, um eine genaue und verantwortungsvolle Nutzung der Ergebnisse zu gewährleisten.

Nicht von ungefähr nutzen Entscheider KI bevorzugt als ihre persönlichen Ko-Piloten. Der KI-Forscher und Experte für Cybersicherheit, Thomas Koehler, hat in seinem Input zu KI Chancen und Andeutungen über the good, the bad and the ugly unsere ganze Aufmerksamkeit gefordert.

Nach dem Blick auf die Minenfelder der internationalen Tech-Konzerne konnte Jacqueline Lauk von den Berliner AiSpezialisten mit eigenen LLM-Lösungen auf deutschen Servern, europäischen Sicherheitsprotokollen und klimasensiblen Lösungen zur Energieversorgung der Stromfresser glänzen, vor allem aber mit ihrem Fazit: „Wir haben in Deutschland alles, was wir brauchen, also: Einfach machen, es geht!“

Zwei Männer unterhalten sich an einem Tisch im Restaurant
Adam Gründer, CEO 10xD GmbH und Prof. Dr. Jochen Werner, Vorstandvorsitzender und Ärztlicher Direktor der Universitätsmedizin Essen

Der Zahnarzt Dr. Jörn Thiemer hat als Schiedsrichter Fußball bis hinein in die Champions League gepfiffen. Am Tegernsee trat der Sport-Zahnmediziner mit einer „Inspirational Storytelling“-Keynote an und gab auf einer Reise from Silicon Valley to Singapore interessante Hinweise, welche KI-Lösungen besonders vielversprechend sind.

Was zeigt der Aktienkurs von AMD der Gesundheitspolitik? CPU Hersteller Advanced Micro Devices (AMD) hat seine gesamte Produktion zu Taiwan Semiconductor ausgelagert, was unseren Blick auf die Konfliktlinien der Geopolitik richtet. Die Rekordjagd der AMD-Aktie macht eine Pause, doch der entthronte Chip-Riese Intel kopiert Rezepte von AMD, um dem Erzrivalen im wichtigen Notebookgeschäft wieder Marktanteile abzujagen. KI wird über die nächsten Jahre an der Börse das Boom- und Trendthema Nummer 1, davon sind Marktanalysten überzeugt.

Noch verharrt das Gesundheitswesen in einer Art Schockstarre und staunt darüber, dass niemand auf uns gewartet hat. „Angesichts der mannigfaltigen Herausforderungen in Deutschland und der Welt sind Verzagtheit und Passivität kein Zukunftsmodell“, schreibt Prof. Dr. Jochen A. Werner in seinem aktuellen Newsletter auf LinkedIN. „Wir haben es uns in den vergangenen Jahren in unseren Nischen bequem eingerichtet und wollten vor lauter Behaglichkeit nicht sehen, wie sich um uns herum die Welt verändert hat.“

Die großartige Chance zu einer besseren, passgenauen individuellen Gesundheitsversorgung mit Hilfe von KI fordert Menschen mit Lust auf Innovation heraus. Dies ist die Botschaft von Jochen Werner an das Innovationsforum KI: “Der smarte Patient ist weniger ein netter Begriff – er ist vor allem eine selbstgewählte Lebenseinstellung. Und die damit untrennbar verbundene Eigenverantwortung ist auch ein zunehmend unverzichtbarer Baustein für eine belastbare, zukunftsfeste Medizin.“

Es geht bei der Digitalisierung unserer Welt wie unseres Gesundheitssystems immer um die Autarkie des Menschen. Werden wir also mutiger, neugieriger und auch bestimmter, wenn es um die Gestaltung unseres Lebens geht.