Gesundheit und Politik

Klimawandel macht krank

Von Dr. Dirk Janssen, Vorstand, und Karin Hendrysiak, Pressesprecherin BKK Landesverband NORDWEST

Unser Klima verändert sich. Die Gefahren, die der Klimawandel mit sich bringt, lassen sich nicht mehr leugnen. Wohl keiner kann mehr sagen: Klimawandel – betrifft mich nicht. Zumal noch etwas anderes feststeht: Der Klimawandel beeinflusst die Gesundheit.
Unter dem Motto “Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“ hat der BKK Landesverband NORDWEST erstmalig in einer Auswertung die Zusammenhänge und die Entwicklung klimasensibler Erkrankungen von mehr als 10 Mio. BKK Versicherten (entspricht einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 13,4 % im Jahr 2019) untersucht.
Die Analysen des BKK Landesverbandes NORDWEST zeigen, dass klimasensible Erkrankungen in den letzten zehn Jahren in Deutschland teilweise drastisch angestiegen sind.

Graphik: Hände umarmen einen Baum

Sogenannte „Hitzeschäden“ von Unwohlsein über Hitzekrämpfe bis zum Kollaps und Hitzschlag sind am deutlichsten dem Temperaturanstieg zuzuordnen: Im Rekordhitzejahr 2018 sowie in den ebenfalls sehr heißen Sommern 2013, 2015 und 2019 stiegen diese Symptome stark an. Von April bis September 2019 kamen allein in NRW 91 Fälle auf 100.000 Versicherte – dreimal so viele wie 2011.

Im Rekordhitzejahr 2018 wurden bundesweit rund 20.000 Todesfälle direkt auf Hitze zurückgeführt. Krankenhauseinweisungen gab es vor allem bei Säuglingen, Kleinkindern sowie Menschen ab 75 Jahren.

Hitze führt aber auch bei den Berufstätigen zu Erkrankungen und damit zu Arbeitsunfähigkeit. Besonders betroffene Berufsgruppen sind Menschen, die im Freien arbeiten, wie z.B. Spargelstecher. Aber auch Verkäufers- und Pflegekräfte sind überdurchschnittlich oft betroffen.

Dr. Dirk Janssen, Vorstand des BKK Landesverbandes NORDWEST führt das für die letztere Personengruppe auch auf den Zustand der Gebäude zurück. „Für Hitzewellen sind Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser oft nicht gut gewappnet. Selbst in Neubauten fehlt oft der Schutz vor Hitze, z. B. durch hitzeabweisende Fenster oder Klimaanlagen“, so Dirk Janssen.

Auch Kitas und Schulen brauchen, so Janssen weiter, Investitionen in die Gebäude. Der Bund hat dafür einen 150 Millionen Euro-Fonds aufgelegt, doch das ist, so Janssen, „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“.

Dehydrierung

Ab Temperaturen über 30 Grad Celsius verliert der Körper überdurchschnittlich viel Flüssigkeit. Wird dieser Verlust nicht ausgeglichen, steigt das Risiko für Thrombosen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Nierenversagen. So stiegen die Krankenhauseinweisungen in den letzten 10 Jahren – allein bedingt durch Flüssigkeitsmangel – in den Monaten April bis September kontinuierlich an, um knapp 32 % auf 782 Fälle je 100.000 BKK Versicherte. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung ergeben sich 633.000 jährliche Krankenhauseinweisungen. Besonders betroffene Altersgruppen sind in diesem Fall Säuglinge und Kleinkinder sowie Menschen ab 75 Jahren.

Graphik Hitzeschäden

Heuschnupfen

Auch die Zahl der Heuschnupfen-Patienten stieg in den letzten 10 Jahren an. Allein in NRW um 36 %. Gründe liegen u. a. in der Ausweitung der Pollensaison. Es fliegen mehr Pollen und sie fliegen länger. In Ballungsgebieten mit einer hohen Belastung an Luftschadstoffen verstärken diese Substanzen offenbar die allergene Wirkung der Pollen. So binden Fein- staubpartikel, die mit Pollen interagieren, Substanzen an sich, die Allergien auslösen können (allergene Schwebeteilchen). Diese gesellen sich in der Atmosphäre zu den Pollen und bewirken dann zusätzlich zu den ohnehin vorkommenden Pollen allergische Reaktionen. Es gibt neue Quellen für Pollen. Im Zuge des Klimawandels fühlen sich in Deutschland zunehmend allergene Pflanzen wohl, die ursprünglich in wärmeren Regionen der Erde beheimatet sind und mit dem globalen Handels- und Reiseverkehr auch nach Europa gekommen sind. Dazu zählen u. a. Ambrosia artemisifolia, das Beifußblättrige Traubenkraut, dessen Samen vermutlich im Vogelfutter nach Europa gelangten. Die hoch allergenen Pollen lösen ab August/September den sogenannten Spätsommerheuschnupfen aus.

Lyme-Borreliose

Mit dem Temperaturanstieg geht auch die Zunahme an Borreliose Erkrankungen einher. Vor allem die milden Winter ließen die Zecken sich besser und immer nördlicher ausbreiten. Besonders in früher weniger betroffenen Bundesländern macht sich das bemerkbar. In NRW stieg die Zahl der Infektionen im vergangenen Jahrzehnt um 50 %, in Thüringen sogar um 53 %. Geringe Werte verzeichneten die Stadtstaaten Berlin und Hamburg.

Weiter steigende Temperaturen können den Zecken neue Lebensräume eröffnen und milde Winter ihre Vermehrung begünstigen. Sind die Winter mild, überlebt eine größere Anzahl von Kleinsäugern wie Mäuse oder Vögel, die Wirts- oder Reservoirtiere der Erreger. Die Folgen: mehr Überträger (Zecken), mehr Erreger (Viren, Bakterien), ein größeres Verbreitungsgebiet und ein längerer Übertragungszeitraum für Lyme-Borreliose.

Hautkrebs

Die Ursachen einer bösartigen Hautveränderung liegen meist viele Jahre zurück, sie lassen sich nicht direkt einer Hitzewelle zuordnen. Jedoch bleibt die steigende UV-Belastung gerade bei hohen Temperaturen nicht ohne Folgen. Es gibt immer mehr Sonnentage und die Menschen verbringen mehr Zeit leicht bekleidet im Freien. Sonnenbrände erhöhen das Risiko, an einem schwarzen oder weißen Hautkrebs zu erkranken. Schwere kindliche Son- nenbrände steigern es sogar um das zwei- bis dreifache.

So verzeichnete der BKK Landesverband im Beobachtungszeitraum einen kontinuierlichen Anstieg in der ambulanten Behandlung um 78 % und einen ebenfalls deutlichen Anstieg der Krankenhauseinweisungen aufgrund bösartiger Neubildungen der Haut.

Fazit

Um die weitere Ausbreitung klimasensibler Krankheiten zu verhindern, fordert der BKK Landesverband NORDWEST gemeinsam mit Medizinern und Klimaforschern mehr Investitionen in die Klimafolgenanpassung – vor allem durch besseren Hitzeschutz der Kitas, Schulen, Kliniken und Pflegeeinrichtungen. Der erst mit der Flutkatastrophe im Mai 2021 populär gewordene Begriff der Klimaanpassung sei, so Janssen, „das Gebot der Stunde“. Neben dem Kampf gegen die Erderwärmung muss viel mehr Geld in die bereits akuten Folgen investiert werden, um die Menschen zu schützen. Klimaforscher haben darüber hinaus auch die Stadtplanungen im Blick; insbesondere in Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet mit wenig Grün und viel Asphalt. Sie haben sich als „Hitzefallen“ erwiesen: Es fehlen dringend Grünanlagen, Windschneisen und Gründächer.

Darüber hinaus müssen flexible Arbeits- und Arbeitszeitmodelle entwickelt werden, um Hitzestress zu reduzieren.

Prävention muss aber auch bei klimasensiblen Krankheiten deutlich verstärkt werden. Da ältere Menschen oft nicht ans „Trinken“ denken, muss die Kontrolle der Getränkeaufnahme in Pflegeheimen ein standardisierter Prozess werden. Bei alleinstehenden Personen können digitale Hilfsmittel mit Erinnerungsfunktion helfen.

Darüber hinaus sollte man sich allgemein besser vor Zecken und UV-Strahlen schützen. Apps zur Warnung vor regionalen Wetterextremen und Pollenflug können Betroffenen ebenfalls helfen.

Die Prognosen sagen für Deutschland mittelfristig neun zusätzliche Hitzetage pro Jahr voraus, wenn weiter hin zu viel Treibhausgas in die Atmosphäre gelangt. Das klingt wenig, ist aber bei durchschnittlich 4,4 Hitzetagen im gesamten Jahr 2000 enorm viel. Den bisherigen Rekord mit 20 Hitzetagen gab es 2018.

Unter dem Motto „Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“ beteiligte sich der BKK Landesverband NORDWEST mit zehn Betriebskrankenkassen als „BKK Interessengemeinschaft“ auf der Green World Tour 2021 im Rahmen der 13. Hamburger Klimawoche im September 2021. Die Besucherinnen und Besucher profitierten von einem vielfältigen Informations- und Mitmachangebot sowie Vorträgen von Ökotrophologen zu den Themen Ernährung, Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Die Hamburger Klimawoche ist die größte Klimaveranstaltung in Europa! Die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur zeichnete die Hamburger Klimawoche für ihr Engagement unter anderem als UNESCO-Dekaden-Projekt für nachhaltige Bildung aus.

Auch der Herbstempfang des BKK Landesverbandes NORDWEST auf dem historischen Frachtschiff Cap San Diego im Hamburger Hafen stand ganz im Zeichen des Klimaschutzes. Dr. Eckart von Hirschhausen, Schirmherr der 13. Hamburger Klimawoche und Gründer der Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen führte gemeinsam mit Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann (Direktorin der Hochschulambulanz und Lehrstuhl für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg, Universität Augsburg), durch das Abendprogramm. Hirschhausen: „Wir haben lange die Klimathemen viel zu abstrakt verhandelt, so als wäre es eine Frage von Atmosphärenchemie, Eisbären und Meeresspiegel. Gesunde Menschen gibt es aber nur auf einer gesunden Erde.“

Auf der „Klima-Sprechstunde“ kamen auch geladene Gäste zu Wort. So zum Beispiel Betroffene wie Sylvia Ihns, Altenpflegerin in Hamburg, Laura Schwieren, Medizinstudentin und aktiv bei „Health for Future Hamburg“ und Maik Braudorn, Rettungssanitäter, Feuerwehr Hamburg.

Kurz und knapp stellten Dr. Dirk Janssen (Vorstand des BKK Landesverbandes NORD- WEST) und Gaby Erdmann (stellv. Vorständin des BKK Landesverbandes NORDWEST) in einem Quiz mit Fragen an die geladenen Gäste die BKK Auswertung vor.

Klimaschutz ist Gesundheitsschutz

Der Weltklimarat (IPCC) hat in seinem 6. Sachstandsbericht, der im August 2021 vorgestellt wurde, das Ausmaß und die Folgen des Klimawandels zusammengefasst und wichtige Informationen hinsichtlich der damit verbundenen Risiken für Mensch und Natur formuliert. Zahlreiche weitere verlässliche Institutionen kommen zum gleichen Ergebnis: Der Klimawandel macht krank – nur durch Klimaschutzmaßnahmen können wir dem Klimawan- del entgegentreten. Gemeinsam handeln für Klima und Gesundheit.