Erhebliches Steigerungspotenzial

Gesundheitspolitik zur Halbzeit der Legislaturperiode

Von Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK-Dachverbands

Die Ampel-Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hat die Hälfte der Legislaturperiode überstanden. Der öffentliche Eindruck ist – trotz viel Eigenlob – verheerend. Unausgegorene Konzepte, desaströse Kommunikation und schlechtes Prozessmanagement prägen die Arbeit in vielen Ressorts und das Verhältnis von Exekutive und Legislative. Teamwork ist eher selten zu beobachten. Eine reibungslose Überbrückung von Meinungsverschiedenheiten kommt nahezu nie vor. Immer ist eine Regierungspartei zugleich Opposition in der Regierung. Vollmundige Ankündigungen ersetzen solide Gesetzgebungsarbeit. Dieser Befund trifft weitgehend auch auf die Gesundheitspolitik zu. Der folgende Beitrag untermauert diese Diagnose und gibt einen kurzen Ausblick, was bis zur Bundestagswahl im Herbst 2025 noch passieren könnte.

Sanduhr die zur Hälfte abgelaufen ist

Ambitionierte Ziele hatten sich die Spitzen von Sozialdemokraten, Bündnis-Grünen und Freidemokraten nach dem überraschenden Wahlausgang bei der letzten Bundestagswahl und der schnellen Einigung zum Koalitionsvertrag vom 7. Dezember 2021 gesetzt. Sie wollten „Mehr Fortschritt wagen“ und ein Bündnis für „Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ eingehen. Ausdrucksstarke Bilder sollten ein neues Klima zwischen gleichrangigen Partnern schaffen und mutige Schritte in eine positive Zukunft ermöglichen. Die Einigkeit bei der Beschreibung des Zukunftsbilds mündete allerdings schnell in kleinteilige Auseinandersetzungen um die richtigen Wege und Instrumente. Exemplarisch steht dafür die Klimapolitik. Aber auch auf vielen anderen Politikfeldern konnten die gedrechselten und kleinteiligen Formulierungen im Koalitionsvertrag die großen ideologischen und ordnungspolitischen Unterschiede zwischen den Koalitionspartnern nicht verschleiern.

Im Zentrum der Kritik steht die Weigerung, über eine im Koalitions­vertrag zum wiederholten Mal 
verankerte Anhebung der Beitragshöhe für Grundsiche­rungsempfänger auch nur zu reden.

Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbandes

Die Geschäftsgrundlage dieses Vertrags wurde am 24. Februar 2022 nachhaltig erschüttert. Der russische Überfall auf die Ukraine veränderte Gewissheiten, Handlungsmuster und Prioritäten. Der Bundeskanzler sprach in der Sondersitzung des Deutschen Bundestags am 27. Februar 2022 von einer „Zeitenwende“, die Deutschland, Europa und die Welt vor bisher nicht gekannte und erwartete Herausforderungen stellt. Dies gilt nicht nur für die Verteidigungspolitik, die lange Zeit kaum beachtet wurde. Infolge der starken Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energielieferungen geriet die deutsche Wirtschaft in Turbulenzen und Klimaziele in die Diskussion. Steigende Energiepreise nährten die Inflation und verteuerten sowohl die (industrielle) Produktion als auch die private Lebensführung. Den Todesstoß für die zunehmend intransparente Fiskalpolitik setzte das Bundesverfassungsgericht, als es mit Urteil vom 15. November 2023 nachträgliche Korrekturen an beschlossenen Haushaltsgesetzen untersagte und sog. Nebenhaushalte und Sondervermögen in Frage stellte.

All diese kaum vorhersehbaren Einschläge verändern auch die Gesundheitspolitik, zumal diese sich noch nicht von den Irrungen und Wirrungen der Covid-19-Pandemie erholt hat.

Selbst wenn es niemand aus dem Kreis der Regierungspolitikerinnen und -politiker direkt ausspricht, ist es klar, dass es nichts mehr zu verteilen und keine zusätzlichen Finanzierungsquellen für die gesundheitliche Versorgung gibt. Auch der Weg über höhere Zusatzbeiträge dürfte für die Verantwortlichen mehr als steinig werden. Von der langjährigen mystifizierten 40%-Grenze für die Sozialversicherungsbeiträge ist in der laufenden Legislaturperiode zwar nicht mehr die Rede, aber die Sozialpartner sind alarmiert ob der doch beträchtlich ausfallenden Erhöhungen der Zusatzbeiträge bei vielen Krankenkassen. Aus Sicht der Betriebskrankenkassen ist hervorzuheben, dass ohne die doppelte Vermögensabschöpfung die meisten Anhebungen vermeidbar gewesen wären. Zudem erschweren die rigiden Rahmenbedingungen für die GKV-Finanzverfassung die Verfolgung einer mittel- bis langfristigen Beitragssatzpolitik. Es grenzt schon an Absurdität, dass die Bundesaufsicht einzelne Kassen zu Beitragssatzabsenkungen zwingt, obwohl die Finanzprognosen eine baldige Wiederanhebung des Zusatzbeitragssatzes erwarten lassen. Solche Beitragssatzjojos destabilisieren das Vertrauen in die Stabilität der sozialen Krankenversicherung. 

Ganz generell fällt die Bilanz der Koalition auf dem Gebiet der Einnahmesicherung durchweg negativ aus. Im Zentrum der Kritik steht die Weigerung, über eine im Koalitionsvertrag zum wiederholten Mal verankerte Anhebung der Beitragshöhe für Grundsicherungsempfänger auch nur zu reden. Hier steht eine stabile Verweigerungskoalition von Sozial- und Finanzpolitikern, die – auch das hat eine lange Tradition – gesamtgesellschaftliche Aufgaben nicht länger durch die Beitragszahlenden finanzieren zu lassen. Auch die versprochene Dynamisierung des Bundeszuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung lässt auf sich warten. Im Gegenteil werden Zuschüsse nach Kassenlage gewährt oder gar in Darlehen verwandelt. Das mag kurzfristig verständlich sein, birgt aber auf eine mittelfristige Sicht bis zur nächsten Bundestagswahl erhebliche Risiken. Zwar überdecken Tarifsteigerungen im Kontext der Inflation und die anhaltend hohe Beschäftigung die strukturellen Schwächen der GKV-Finanzierung, doch werden sich mit Verzögerung die Wachstumsschwächen der deutschen Wirtschaft in den GKV-Bilanzen niederschlagen. Eine seriöse Finanzpolitik sieht anders aus. Und wenn der Minister von „Entökonomisierung des Gesundheitswesens“ redet, darf einem angst und bange werden.

Denn auch auf der Versorgungsseite – vulgo bei den Ausgaben der Krankenkassen – gibt die trockene Bilanz bisher wenig her. Zwar hat der Minister viele „Revolutionen“ angekündigt, doch wenige durchgreifende Veränderungen tatsächlich in das Bundesgesetzblatt gebracht. Dies gilt sowohl für die mit großem Pomp angekündigte ultimative Krankenhausreform als auch für gleich zwei Versorgungsgesetze, deren Entwürfe seit mehr als 15 Monaten in der sog. Frühkoordinierung zwischen Bundeskanzleramt und den beteiligten Ministerien festgefahren sind oder noch gar nicht als konkrete Gesetzentwürfe existieren. Ein ähnliches Schicksal könnte auch der kurz nach Neujahr angekündigten Reform der ambulanten ärztlichen Versorgung blühen. Hier behauptet der Minister, schon seit Monaten an einer konkreten Reform der Vergütung ambulanter haus- und fachärztlicher Versorgung zu arbeiten. Davon war selbst Insidern bis vor kurzem nichts bekannt. Zumindest Eckpunkte versprechen eine Entlastung für die Ärzte in der Grundversorgung, eine Entbudgetierung, den Abbau von Bürokratie und die Nutzung digitaler Instrumente. Die Reform der ärztlichen Vergütung ist eine Herkulesaufgabe. Wer je einen Blick in die §§ 85 ff. SGB V geworfen hat, weiß, welche Herausforderungen ihn erwarten. Ehe dieser Ankündigung Taten – also konkrete, in der Koalition und gegebenenfalls mit den Bundesländern abgestimmte Gesetzentwürfe – folgen, sollte die Halbzeitbilanz einen Blick auf konkrete Reformen bei Versorgungsstrukturen und Versorgungsprozessen werfen.

Unser Gesundheitssystem organisiert aus systemischem Überfluss einen nahezu flächendeckenden Mangel.

Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbandes

Da ist in erster Linie die “Große Krankenhausreform“ zu nennen. Hier liegt Mitte Januar der seit Monaten angekündigte Referentenentwurf noch immer nicht vor. Der Minister begründet die Verzögerung damit, dass eine Mehrheit der Bundesländer das als Vorschaltgesetz zu dieser Reform ausgestaltete Krankenhaustransparenzgesetz im Bundesrat durch Anrufung des Vermittlungsausschusses verzögert oder gar blockiert. Unverständlich ist, dass die Führung des Ministeriums die Möglichkeiten des Vermittlungsausschusses nicht von vornherein einkalkuliert hat. Offenbar ist die Verstimmung der Bundesländer über das Taktieren der Bundesebene in der Krankenhauspolitik so groß, dass angebotene Zuckerstücke wie die kurzfristige Erhöhung der Landesbasisfallwerte bisher nicht ausreichen, die harte Haltung der unionsgeführten Bundesländer aufzuweichen. Müßig zu sagen, dass solche Erhöhungen durch die Krankenkassen zu finanzieren wären, was wiederum zur weiteren Erhöhung der Zusatzbeitragssätze führen müsste. Dabei sind Ziele und (grobe) Richtung der angedachten Krankenhausreform durchaus sinnvoll und werden von der Gesetzlichen Krankenversicherung unterstützt. Viele Überlegungen in der vom Minister eingesetzten Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung treffen die Vorstellungen der Krankenkassen und ihrer Verbände. Allerdings stellt diese Kommission kaum Beziehungen zur ambulanten Versorgung her, sondern ist sehr stark auf die Universitätsmedizin fokussiert. Der Widerstand der Bundesländer ist aber nicht damit begründet, sondern er richtet sich gegen (vermeintliche) Eingriffe in ihre Planungshoheit durch die bundesweit vorgegebene Einteilung der Häuser in Level (mittlerweile wohl aufgegeben) und Leistungsgruppen. Man darf sehr gespannt sein, ob und wie sich die Differenzen auflösen lassen. In jedem Fall entscheidet sich an deren Lösung die Frage, ob spürbare Veränderungen bei der gesundheitlichen Versorgung zu erwarten sind.

Weitere Prüfsteine hierzu sind die ebenfalls seit langem angekündigten Versorgungsgesetze I und II. Mitte Januar wurde zum 1. Teil ein Referentenentwurf in der Öffentlichkeit bekannt, der jedoch nicht amtlich autorisiert wurde. Er enthält eine Vielzahl von Instrumenten, die bereits im Koalitionsvertrag verabredet wurden. Exemplarisch seien Gesundheitskioske, Gesundheitsregionen oder Primärversorgungszentren genannt. Allen ist gemeinsam, dass sie wiederum zu höheren Belastungen der Beitragszahlenden führen. Ob angesichts der oben beschriebenen Ausgangslage jetzt der richtige Zeitpunkt für Kostenausweitungen ist, darf ernsthaft bezweifelt werden. Internationale Vergleiche legen vielmehr den Schluss nah, dass Deutschland sehr viel Geld für Gesundheit nominal und pro Kopf ausgibt, hierfür aber ein unzureichendes Outcome erhält. Das gilt auch für die Frage, ob wir wirklich zu wenige Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte im System haben. Die offiziellen Statistiken geben für diese Behauptung wenig her. Jahr für Jahr kompensieren neue Berufstätige den Abgang älterer Kolleginnen und Kollegen. Die jungen Fachkräfte stellen allerdings deutlich höhere Anforderungen an die persönliche Autonomie bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen und an die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf. Nicht nur deshalb besteht vor Ort häufig ein Mangel an Fachkräften. Dieser beruht jedoch ganz oder teilweise auf Fehlsteuerungen wie Überkapazitäten in Ballungsgebieten und falschen Anreizen zur Mengenausweitung in den sektoralen Silos. Salopp gesagt: Unser Gesundheitssystem organisiert aus systemischem Überfluss einen nahezu flächendeckenden Mangel. Daran wird auch die Vielzahl weiterer geplanter Gesetzesvorhaben, wie zum Bespiel die Reform der Notfallversorgung und der Rettungsdienste, wenig ändern. Hier gibt es wenigstens ein Eckpunktepapier, das aus Sicht der Krankenkassen wichtige und richtige Punkte enthält. Mit Sicherheit wird das Thema auf den Widerstand von Vertragsärzten und Krankenhäusern stoßen. Zusätzlich dürfte hier wieder der organisierte Föderalismus Sand ins Getriebe streuen.

Für alle Themen gilt: So lange sektorenorientierte Binnenlogiken und betriebswirtschaftliche Optimierungen der Akteure die Effektivität der gesundheitlichen Versorgung und die Effizienz der Ressourcenallokation untergraben, wird sich wenig am defizitären Outcome des deutschen Gesundheitswesens ändern. Daher ist Vorsicht bei faulen Kompromissen geboten, die nicht selten die anvisierten Ziele in Frage stellen und Scheinlösungen darstellen. Berüchtigt hierfür sind der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat, wo alles mit allem verknüpft wird, und die sog. Elefantenrunde aus Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Das Wegdelegieren von Problemen nach oben ist in aller Regel keine brauchbare politische Option und sollte deshalb aus dem Arsenal der Fachpolitik gestrichen werden.

Auf der Habenseite der Halbzeitbilanz stehen vor allem die beiden im Herbst 2023 mit großen Mehrheiten verabschiedeten Digitalgesetze. Diese sehen endlich konkrete Anwendungsfelder für den Einsatz digitaler Instrumente vor, die für Versicherte erlebbar werden. Seit Jahreswechsel ist das elektronische Rezept verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung. Ab 2025 soll es die elektronische Patientenakte für alle Versicherten geben. Begrenzungen für den Einsatz von Videosprechstunden werden aufgehoben. Das gilt auch für die Psychotherapie. Digitale Gesundheitsanwendungen sollen besser in die Versorgung integriert werden. Dazu soll das Zulassungsverfahren vereinfacht werden, ohne auf einen Nachweis für den Nutzen zu verzichten. Gleichzeitig wird dem Thema Cybersicherheit mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Kritischer schauen Krankenkassen auf das Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Das gilt weniger für die Grundausrichtung dieses Vorhabens. Bessere Rahmenbedingungen für die Forschung mit Gesundheitsdaten unter Wahrung hoher Standards beim Datenschutz und dezentrale Datenhaltung sind unzweifelhaft im Interesse von Versicherten und Patienten. Das gilt ebenso für neue Kompetenzen für die Datenanalyse durch Krankenkassen. Die neu geschaffenen Möglichkeiten, bei zu erwartenden schweren Krankheitsverläufen, Arzneimittelkomplikationen oder zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit die Versicherten direkt zu informieren, müssen mit besonderer medizinischer Sachkenntnis und großem Fingerspitzengefühl genutzt werden. Kritischer Punkt bei der Nutzung von Gesundheitsdaten ist der einfache Zugang der in der Regel global aufgestellten Industrie. Hier müssen Datenschützer besonderes Augenmerk auf die Sicherung des europäischen Datenraums legen und Gesundheitspolitiker sicherstellen, dass nicht mit aus öffentlicher Finanzierung gewonnenen Daten überzogene private Profite erzielt werden. Wo bleibt hier die mehrfach vom Minister beschworene „Entökonomisierung des Gesundheitswesens“?

Ganz generell zeigt sich die Gesundheitspolitik generös gegenüber den Herstellern und Vertreibern von pharmazeutischen und medizintechnischen Produkten, was diese aber nicht daran hindert, immer mehr Geld zu fordern. Ob die Lockerung von Preisregeln (insbesondere durch Einschränkungen bei der Festbetragsfestsetzung oder beim Abschluss von Rabattverträgen) zur Verbesserung der Liefersicherheit – etwa von Kinderarzneimitteln – beitragen, darf doch bezweifelt werden. Hier sind bestenfalls längerfristig die Diversifizierung von Lieferketten und die Stärkung von Produktionsstandorten in der Europäischen Union zu erwarten. Kurz- und mittelfristig dürften wohl eher unerwünschte Mitnahmeeffekte dominieren.

Positiv, aber längst nicht ausreichend dürften die Verbesserungen in der Pflege wirken. Begrenzte Ausweitungen der Leistungen bringt das Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz. Das Pflegestudiumstärkungsgesetz erhöht die Attraktivität des Pflegeberufs und strebt die erweiterte Gewinnung von ausländischen Fachkräften an. Außerdem wird der herausragend wichtige 1. Schritt zur Schaffung einer arztunabhängigen Kompetenz in der Pflege und bei anderen Gesundheitsberufen getan. Weitere sollen in einem besonderen Pflegekompetenzgesetz folgen.

Abschließend zeigt ein kurzer Ausblick auf die zweite Hälfte der Legislaturperiode, dass die Ankündigungsmaschine weiter auf Hochtouren läuft. Ein 2. Versorgungsgesetz soll die ambulante psychotherapeutische Versorgung verbessern und den Direktzugang zu Heilmittelerbringern ermöglichen. Abenteuerlich erscheinen Pläne, investorengesteuerten Medizinischen Versorgungszentren das Leben schwer zu machen. Grund hierfür sind nicht etwa Eingriffe der Eigentümerinnen in die medizinische Unabhängigkeit des Praxispersonals (Solche sind nach einem Bericht der Fachleute des BMG nicht belegt.), sondern die erwünschte „Entökonomisierung“ des Gesundheitswesens. Ein solches Argument ist ein trauriges Armutszeugnis für einen Gesundheitsökonomen auf dem Ministersessel.

Angekündigt sind zudem ein Entbürokratiesierungsgesetz, ein von den Apotheker bereits im Vorstadium bekämpftes Apothekenreformgesetz, ein Patientenrechtegesetz und die begrenzte Legalisierung von Cannabis. Chancen für die bessere Einbindung von Werksärztinnen und -ärzten könnte ein Gesetz zur Verbesserung der Früherkennung und Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bieten. Schließlich sind erhebliche institutionelle Änderungen zu erwarten. Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) ist bereits in eine Stiftung überführt worden. Ein Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) soll neben dem Robert Koch-Institut (RKI), das sich künftig auf übertragbare Krankheiten fokussiert, als selbständige Bundesoberbehörde errichtet werden und die öffentliche Gesundheit stärken. Einmütig stöhnen alle Public-Health-Fachleute auf, da es gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisstand ist, Prävention nicht in der (kurativen) Medizin zu verorten. Die gematik GmbH soll unter Einbindung der Stakeholder in eine digitale Gesundheitsagentur – offenbar als direkte staatliche Behörde – umgewandelt werden, um schlanke und schnelle Transformationsprozesse zu erreichen. Ein frommer Wunsch angesichts der organisatorischen und technischen Schwierigkeiten sowie des lobbyistischen Widerstands vieler Leistungserbringer.

Die Halbzeitbilanz der Ampelkoalition ist also nicht nur inhaltlich problematisch, sondern auch prozessual verfahren. Eine strategische Steuerung mit Einbindung wichtiger Stakeholder und eine professionelle Kommunikation, die weit über den Horizont der sozialen Medien hinausreicht, scheitern an permanenten Alleingängen und disharmonischen Wortmeldungen in der Koalition. Der Egoismus von Ländern und Kommunen war zu erwarten, wurde aber nicht durch kluge Schachzüge des Bundes herausgefordert. Das angekündigte Verbot von Homöopathie als (freiwilliger) Kassenleistung taugt dabei noch nicht einmal als Ablenkungsmanöver. Wie auf anderen Politikfeldern fällt also die Bilanz tatsächlich erfolgreich abgeschlossener Reformen eher mager aus. Sieht man als Rheinländer das Glas stets halb voll, bleibt immerhin das Steigerungspotenzial bis zur Bundestagswahl im September 2025 erheblich.