Die Kosten für Arzneimittel in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nehmen seit Jahren kräftig zu. Verantwortlich dafür sind die neuen patentgeschützten Medikamente und deren freie Preisbildung bei Markteintritt. Eine weitere Ursache ist die vermehrte Gabe verschiedener Präparate bei einer Erkrankung. Im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKVFinStG) hat der Gesetzgeber nun Leitplanken für die Preisbildung eingeführt. Ein Schritt in die richtige Richtung, aber aus Sicht der Betriebskrankenkassen nicht genug. Dieser Artikel beschreibt die neuen gesetzlichen Änderungen, macht auf viele Ausnahmen aufmerksam und unterstreicht, dass das grundlegende Problem der freien Preisbildung aus der Perspektive der Betriebskrankenkassen weiterhin besteht.
Neue Leitplanken für die Preisverhandlung
In der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln sind zwei Stellschrauben für die Realisierung eines hohen Preises besonders relevant. Zum einen ist es der Zusatznutzen an sich. Zum anderen kommt dem Vergleich, der sogenannten zweckmäßigen Vergleichstherapie, eine enorme Bedeutung zu. Denn ist der Preis der Vergleichstherapie hoch, bekommt auch das neue Arzneimittel einen Preis auf dem gleichen Niveau. und das unabhängig von seinem zusätzlichen Nutzen.
Regeln gelten nur für neue Medikamente mit patentgeschützer Vergleichstherapie
Die neuen gesetzlichen Regelungen gelten daher nur für neue Arzneimittel mit einer patentgeschützten Vergleichstherapie! Deren Ausgestaltung hängt vom erreichten Zusatznutzen ab. Denn der Preis muss zum klinischen Nutzen für die Betroffenen passen. Kein nachgewiesener Zusatznutzen führt zu einem Abschlag von mindestens zehn Prozent. Bei einem geringen oder nicht quantifizierbaren Zusatznutzen darf das neue Arzneimittel nicht teuer werden als die Vergleichstherapie.
Patentgeschützte Arzneimittel, die vor Januar 2011 zugelassen wurden, wurden nie einer Nutzenbewertung unterzogen. Ein nutzenadjustierter Preis wurde nie verhandelt. Diese Arzneimittel sind jedoch oft Teil der Vergleichsarzneimittel und treiben den Preis künstlich hoch. Hierauf hat der Gesetzgeber reagiert. Künftig ist ein weiterer Abschlag von 15 Prozent auf die Preise eines neuen Arzneimittels mit einer solchen patentgeschützten Vergleichstherapie aus dem alten Bestandsmarkt fällig.
Alle drei neuen gesetzlichen Vorgaben zielen darauf ab, die Preisreferenzierung auf unbewertete und absolut frei bepreiste Produkte zu unterbrechen. Sie gleichen die fehlende Bestandsmarktbewertung alter und noch patentgeschützter Arzneimittel teilweise aus.
Abschlag auf Kombinationen
Der Gesetzgeber hat das Problem des nicht gerechtfertigten Preisaufschlags bei Kombinationstherapien erkannt und mit dem aktuellen Gesetz das erste Mal konkret adressiert. Er schreibt für alle neuen Arzneimittelkombinationen die scheinbar einfache Lösung eines Abschlags von 20 Prozent vor. Allerdings sind mit Blick auf die Umsetzung noch viele Punkte ungeklärt. Beispielsweise ist nicht bestimmt, ob eine bestimmte Kombination unter die neue Regelung fällt und wie die Ausnahme von der Regel umgesetzt werden kann. Diese und noch weitere Voraussetzungen müssen die Krankenkassen, die pharmazeutische Industrie und der Gemeinsame Bundesausschuss zukünftig schaffen.
Das muss die Politik angehen
- Der Preis muss zur Evidenz passen – Der Gesetzgeber verkürzt die Zeit ohne nutzenadjustierten Preis von neuen Arzneimitteln. Das Problem der Preisbildung von Arzneimittel, die beschleunigt zugelassen sind, bleibt außen vor.
- Ende des Orphan Drug Privilegs – Die Regelung zu den Orphan Drugs hat der Gesetzgeber angepasst. Ein Ende des Orphan Drug Privilegs ist derzeit nicht in Sicht.
- Neuer Preismechanismus bei Einmaltherapien – Das Thema findet sich nicht im GKVFinStG. Die Herausforderungen gerade bei neuen Gentherapien bleiben bestehen.
- Rabatte für Kombinationstherapien – Dieses Problem hat der Gesetzgeber erstmals adressiert. Der praktische Nutzen wird von der konkreten zukünftigen Ausgestaltung abhängen.
- Marktzugang vor Zulassung nur im Härtefall-Programm – Das Thema findet sich nicht im GKVFinStG.
Mehr zum Thema lesen Sie in unserem Positionspapier zu hochpreisigen Arzneimitteln.
Verkürzung der freien Preisbildung
Die Dauer der freien Preisbildung verkürzt der Gesetzgeber von zwölf auf sechs Monate. Damit kommt er einer alten GKV-Forderung entgegen und setzt einen Kompromiss aus dem Koalitionsvertrag um. Die Regelung gilt für neue Arzneimittel in der ambulanten Versorgung und im Krankenhaus. Die praktische Umsetzung im stationären Bereich wird aller Voraussicht nach künftig noch zu Herausforderungen führen. Die freie Preisbildung bei Markteintritt bleibt unberührt. Mit der Wahl eines Preises legt allein der Hersteller die Ausgangsbasis für eine spätere Verhandlung fest und beeinflusst damit auch teilweise das Ergebnis.
Mengenbezogene Aspekte müssen in Verhandlung einfließen
Die verkaufte Stückzahl eines Arzneimittels hat Einfluss auf den Umsatz und somit oft auf den Preis. Auch vor dem neuen GKVFinStG konnten die Vertragspartner die umgesetzte Menge in den Verhandlungen berücksichtigen. Das erfolgt beispielsweise als Staffelrabatt. Hier verringert sich der Preis bei bestimmten erreichten Stückzahlen. Der Gesetzgeber macht mengenbezogene Aspekte in einer Preisverhandlung jetzt zur Pflicht.
Alte und neue Ausnahmen
Die frühe Nutzenbewertung und Bepreisung eines neuen Arzneimittels unterliegt vielen Regeln. Ausnahmen zugunsten von Herstellern bestimmter neuer Arzneimittel bleiben auch zukünftig bestehen und werden im aktuellen Gesetz erweitert.
Sonderbehandlung in der frühen Nutzenbewertung
Neue Arzneimittel in bestimmten Therapiegebieten oder –situationen sind in der frühen Nutzenbewertung auch weiterhin privilegiert. Konkret heißt das für die Hersteller solcher Arzneimittel, dass sie kein vollständiges Verfahren durchlaufen müssen. Diese Ausnahmen gelten für Reserveantibiotika und Arzneimittel für seltene Erkrankungen (Orphan Drugs). Beiden ist gemeinsam, dass der Gesetzgeber diese Bereiche mit Versorgungsproblemen behaftet sieht. Daher schafft er Erleichterung. Die Regelung zu den Orphan Drugs hat er im GKVFinStG angepasst. Diese müssen ab Erreichen einer abgesenkten Umsatzschwelle von 30 Millionen Euro im Jahr eine vollständige Bewertung durchlaufen und verlieren ihr Privileg. Sinnvoller wäre hier aus Sicht der Betriebskrankenkassen nur für das erste im Markt verfügbare Orphan Drug einer bestimmten seltenen Erkrankung eine Bevorzugung. Das Festsetzen einer Umsatzschwelle ist ein politischer und fachlich nicht nachvollziehbarer Kompromiss.
Aufgeweichter Preisdeckel blebt bestehen
Die neuen gesetzlichen Regelungen gelten nur für neue Arzneimittel mit einer patengeschützten Vergleichstherapie. Für neue Arzneimittel ohne belegten zusätzlichen Nutzen und einem generischen Vergleich bleibt die alte Regelung bestehen: Ihr neuer Preis soll nicht zu höheren Kosten als denen der Vergleichstherapie führen. Vor 2017 war die Preisobergrenze fest, und der Gesetzgeber schwächte die Regelung für die Folgejahre auf Anregung der pharmazeutischen Industrie ab.
Neue Ausnahmen vom Preismoratorium
Der Gesetzgeber verlängert das Preismoratorium bis Ende 2026. Die Preise der Arzneimittel werden eingefroren und dürfen sich maximal entsprechend der allgemeinen Teuerungsrate anpassen. Auch hier hat der Gesetzgeber bestimmte neue Ausnahmen vorgesehen.
Recycelte Wirkstoffe- neue Indikation für etablierte Arzneistoffe
In der Welt vor dem GKVFinStG galt das Preismoratorium auch für bekannte Arzneimittel, die in einem neuen Anwendungsgebiet zugelassen wurden. Das führte in der Vergangenheit zu Problemen. Teilweise waren die Abschläge unverhältnismäßig hoch. Aktuell können die Hersteller solcher wiederverwendeten Arzneimittel einen Antrag auf eine Befreiung beim GKV-Spitzenverband (GKV-SV) stellen. Wird dem Antrag stattgegeben, verhandeln der Hersteller und der GKV-SV einen Preis.
Immunglobuline aus menschlichem Blut
Die Versorgung von Erkrankten mit Immunglobulinen aus menschlichen Blut ist schwierig. Der Ausgangsstoff Blut war und ist nicht ausreichend vorhanden. Daher führte der Gesetzgeber in einem weiteren Gesetz, dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetzt – KHPflEG, eine zusätzliche Ausnahme ein. Bestimmte Immunglobuline menschlicher Herkunft unterliegen nicht mehr dem Preismoratorium.
Probleme erkannt! Probleme gebannt?
Viele Ausnahmen zugunsten der Hersteller bleiben bestehen, und der Gesetzgeber fügt auch neue hinzu. Mit den neuen Rahmenbedingungen greift der Gesetzgeber alte Probleme der Arzneimittelpreisbildung auf. Die Zukunft wird zeigen, ob die Player des Gesundheitswesens die neuen Vorgaben ausreichend in die Praxis umsetzen können. Ein grundlegendes Problem bleibt bestehen: Hersteller können noch immer den Einstiegspreis ihres neuen Arzneimittels frei wählen.
Kontakt
Dr. Christina Diessel
Referentin Arzneimittel
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Dr. Christina Diessel ist Ansprechpartnerin für alle leistungsrechtlichen und gesundheitspolitischen Fragen zu neuen Arzneimitteln. Die promovierte Fachapothekerin für Arzneimittelinformation und AMNOG-Expertin vertritt die Interessen der Betriebskrankenkassen in der frühen Nutzenbewertung neuer Arzneimittel auf Bundesebene.