Arzneimittel

Schlechte Noten für Zolgensma

Gemeinsamer Bundesausschuss kann keinen Beweis für Zusatznutzen finden

Anfang November war es endlich so weit. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bewertete das Zwei-Millionen-Medikament Zolgensma vom Hersteller Novartis. Als höchste Instanz der Selbstverwaltung beurteilt der G-BA von allen neuen Arzneimitteln den zusätzlichen Nutzen gegenüber einer Vergleichstherapie. Das Ergebnis ist ernüchternd und reiht sich in die unrühmliche Markteinführung des extremen Hochpreisers ein. Konkret findet der G-BA aktuell gar keine Daten, die einen zusätzlichen Nutzen rechtfertigen könnten. Darauf musste die Öffentlichkeit lange warten. Denn ursprünglich sollte das Ergebnis schon Anfang Dezember 2020 da sein.

Medikament und Spritze

Was war passiert? Als Orphan Drug genießt Zolgensma in der AMNOG-Bewertung ein besonderes Privileg. Der zusätzliche Nutzen gilt per Gesetz als belegt. Orphan Drugs werden zur Therapie von seltenen Erkrankungen eingesetzt. Das Privileg wird jedoch hinfällig, wenn das Arzneimittel eine Umsatzschwelle von 50 Millionen Euro erreicht.  Dann wird vom G-BA eine vollständige Bewertung durchgeführt. In weniger als sechs Monaten erreichte Zolgensma diese Umsatzschwelle. Neben dem Titel teuerstes Arzneimittel weltweit, setzte Zolgensma damit einen weiteren zweifelhaften Rekord. Das gab es zuvor noch nie.

Ein Sonderweg ohne europäische Zulassung

Schon die ersten Behandlungen mit Zolgensma in Deutschland standen unter einem ungünstigen Stern. Das Gentherapeutikum war zu dieser Zeit in Europa und damit auch in Deutschland noch gar nicht zugelassen. Lediglich die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA hatte schon eine Zulassung erteilt. Ohne eine europäische Zulassung kann ein Arzneimittel (eigentlich) in Deutschland nicht in die Versorgung gelangen. Das dient dem berechtigten Schutz der Betroffenen.

Druck durch die Medien

Mit Zolgensma werden sehr kranke und junge Kinder behandelt. Das wusste Novartis medial zu nutzen.  So erreichte der pharmazeutische Unternehmer schon vor der Zulassung de facto eine Markteinführung über die Boulevard-Presse. Diese Medienpräsenz setzte viele Akteure des Gesundheitswesens unter Druck, nicht zuletzt auch die Eltern der betroffenen Kinder. Dass es für den Großteil der betroffenen jungen Erkrankten eine andere therapeutische Alternative seit Juli 2017 gibt, wurde öffentlich kaum kommuniziert. Dabei bewertete der G-BA diese therapeutische Alternative Spinraza als sehr gut.

Härtefallprogramm und Gewinnspiel

Sicher gibt es Einzelfälle, die nicht mit der therapeutischen Alternative versorgt werden konnten. Allerdings gibt es auch für diese Kinder einen therapeutischen Weg und dieser heißt Härtefallprogramm. Patientinnen und Patienten, die in einem Härtefallprogramm aufgenommen werden, sind sehr krank und haben keine Aussicht mit einer zugelassenen Therapie ausreichend versorgt zu werden. Die Kosten für das nicht zugelassene Arzneimittel trägt hier der Hersteller. Der Kostenaspekt motivierte Novartis wahrscheinlich ein etwas anderes Härtefallprogramm aufzuziehen. Aus einem Härtefallprogramm für notleidene Kinder wurde ein Gewinnspiel. Denn Novartis verloste Therapien mit Zolgensma. Begründet wurde das offiziell mit der geringen Verfügbarkeit des neuen Arzneimittels. Auch wenn Ressourcen knapp sind, rechtfertigt das jedoch keine Lotterie. Ärzteschaft, Krankenkassen, Ethiker und Vertreter der Politik kritisierten Novartis dafür stark. Gerade bei knappen Ressourcen muss die medizinische Notwendigkeit entscheiden, wer das Arzneimittel erhält und nicht das Losglück.

Vorwürfe wegen Datenmanipulation

Kurz nach der Zulassung von Zolgensma in den USA kamen Vorwürfe wegen Datenmanipulation ans Licht. Die FDA warf Novartis vor, davon schon vor der Zulassung gewusst zu haben. Zwar schloss die FDA Ende März 2020 das Verfahren ohne regulatorische Folgen für Zolgensma ab, trotzdem bleibt der schale Geschmack eines bewussten Zurückhaltens an Informationen erhalten. Gerade bei neuen Arzneimitteltherapien ist das hinter dem Berg halten mit Informationen als sehr kritisch zu bewerten. Denn auch alle verfügbaren Information reichen für eine umfassende Bewertung der Patientenrelevanz oft nicht aus. Das ist auch der Grund, warum der G-BA Novartis zur anwendungsbegleitenden Datenerhebung verpflichtet hat. Hier werden Daten während der echten Anwendung im Versorgungsalltag des Arzneimittels zusammengeführt. Mit den gesammelten Daten erhofft sich der G-BA im Jahr 2027, ganze sieben Jahre nach Markteintritt, doch noch eine Aussage zum Zusatznutzen von Zolgensma treffen zu können.

Das nicht alles Gold ist, was glänzt, zeigt der partielle Stopp einer weiteren klinischen Studie. In dieser sollte die Gabe von Zolgensma in den Wirbelkanal getestet werden. In Tierversuchen traten Neben­wirkungen auf, so dass aus Sicherheitsgründen ein Arm der Studie gestoppt wurde. Zu Beginn einer neuen therapeutischen Intervention sind noch nicht alle Risiken bekannt. Gerade deshalb müssen alle bekannte Informationen zu Risiken transparent kommuniziert werden.

Überarbeitung der Preismechanismen erforderlich

Novartis hat mit Zolgensma eine neue Hochpreisliga bei Arzneimitteln etabliert. Mit strategisch zweifelhaftem Kalkül führte der Pharmariese seinen extremen Hochpreiser für 2,3 Millionen Euro verfrüht in den deutschen Markt ein und das mit relativ wenig Daten über den klinischen Nutzen. Das war zu diesem Preis nur möglich, weil in Deutschland die Preisfestsetzung für neue Arzneimittel allein dem Hersteller überlassen bleibt. Diesen Umstand gilt es zukünftig zu verbessern. Die Preismechanismen müssen geschärft werden, so dass wir den Zugang zu neuen Medikamenten für betroffene Menschen und deren Bezahlbarkeit miteinander vereinbaren können.