Steigende Zahlen an Einsätzen, zu wenig Personal und Datenvernetzung: Die Notfallversorgung gehört dringend auf den Prüfstand. Um die Versorgungssituation bewerten und Reformvorschläge zu entwickeln, hat eine Delegation des BKK Dachverbandes die Rettungsleitstelle in Potsdam besucht.
„Das System kränkelt!“, schickt der Fachbereichsleiter Feuerwehr der Landeshauptstadt Potsdam, Ralf Krawinkel, beim Besuch des BKK Dachverbandes voraus. Sein Situationsbericht macht deutlich, dass kleine Dinge in der Summe massiven Einfluss auf die Notfallversorgung haben und eine Art Kettenreaktion auslösen. Dadurch gerät das System auf Dauer massiv unter Druck.
Ständige Verfügbarkeit der Retter als Zugang zum System
Am Anfang der Kette stehen hier die Bürgerinnen und Bürger, die – so die Beobachtung der Kolleginnen und Kollegen aus den Rettungsstellen – immer hilfloser werden und in der Notfallrettung den Zugang ins Gesundheitssystem sehen. Also eine Art Dienstleister, der jederzeit verfügbar ist und dadurch zur Alternative zum Arztbesuch wird.
Dauerbelastung lässt Krankenstand steigen
Konkret bedeutet dies, dass die Einsatzzahlen und damit auch die Fehlfahrten – Fehlfahrten liegen vor, wenn keine Behandlung des Unfallopfers im Krankenhaus erfolgt – in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind. Allein die Posdamer Rettungsleitstelle musste im vergangenen Jahr 24.000 Notfalleinsätze stemmen. Die Folge: Rettungswagen sind voll ausgelastet und die Notaufnahmen in den Kliniken überlastet. Auf Dauer geht dies zulasten des Personals, denn die höheren Belastungen lassen die Krankenstände ansteigen. Verstärkt wird der Effekt aktuell zusätzlich durch Personalausfälle aufgrund der Corona-Pandemie. Temporäre Abmeldungen von Notaufnahmen bei der Rettungsleitstelle sind wiederum die Folge. Patientinnen und Patienten müssen dann teilweise in bis zu 60 Kilometer entfernte Kliniken gefahren werden. Ein erheblicher Zeitfaktor in der Notfallrettung.
Rettungsdienste übernehmen nicht originäre Aufgaben
Zu alledem gesellt sich ein Mangel an ambulanten Pflegekräften und eine gewisse Vereinsamung von Pflegebedürftigen. Dafürr, was pflegende Angehörige oder die Pflegekräfte in der Vergangenheit „auffangen“ konnten, springen nun teilweise die Rettungsdienste ein. Dadurch können Leistungen, wie beispielsweise das Wechseln eines Katheters, zum regelmäßigen Einsatz führen. Leistungen, für die sie originär nicht zuständig sind.
Wir haben die Informationen, die wir in der Rettungsleitstelle bekommen haben, in unser Positionspapier zu Notfallversorgung eingearbeitet und Forderungen daraus entwickelt. Hier im Überblick:
Forderungen der Betriebskrankenkassen an eine Reform der Notfallversorgung
- Leitstellen reformieren inkl. bundeseinheitliche Vorgaben zur digitalen Ausstattung der Leitstellen;
- Zuständigkeiten und Trägerschaft des Rettungsdienstes neu strukturieren;
- Rettungsdienst als eigenständigen Leistungsbereich im SGB V verankern;
- Ein standardisiertes Ersteinschätzungsverfahren für Notfälle schnellstmöglich einführen;
- Integrierte Notfallzentren (INZ) an ausgewählten Krankenhäusern mit stationärer Notfallstufe errichten;
- Vernetztes Notleitsystems unter Erhalt der beiden Nummern 112 und 116 117 sicherstellen;
- Unterschiedlich personell ausgestattete Rettungsmittel (zum Beispiel Notfall-Transportwagen) entlasten die begrenzt vorhandenen Kapazitäten der Rettungswagen;
- Flächendeckender Einsatz von Telenotärzten;
- Eigenverantwortliches Handeln von Notfallsanitätern stärken, um Abläufe zu beschleunigen und unnötige Notarzteinsätze oder Krankenhauseinweisungen zu vermeiden;
- Gleichmäßige Verteilung der ärztlichen Praxis-Sprechzeiten auf alle Wochentage zur Sicherung einer konstanten Versorgung außerhalb der Notfallambulanzen;
- Verbindliches elektronisches Terminbuchungssystems über die Terminservicestellen für die niedergelassenen Ärzte einführen;
- Apotheken in den INZ oder in deren unmittelbarer Nähe für die direkte Arzneimittelversorgung vorsehen sowie
- Kampagnen zur Aufklärung der Bevölkerung durchführen.
Bürger brauchen Klarheit über richtigen Ansprechpartner
Patienten sollten Klarheit darüber bekommen, wer für ihren medizinischen Bedarf der jeweils richtige Ansprechpartner ist, ein Krankenhaus, der niedergelassene (Fach-) Arzt oder auch ein neu geschaffenes, am Krankenhaus angesiedeltes Integriertes Notfallzentrum (INZ). Die Notaufnahmen der Krankenhäuser und das in ihnen arbeitende Personal sollten von Über- und Fehlinanspruchnahme entlastet werden.
Reform ist politischer Dauerbrenner
In dieser Zielsetzung bestand schon in der vergangenen Legislaturperiode große Einigkeit. An der Frage, wer in den neuen INZ den Hut aufhaben sollte, schieden sich jedoch die Geister – allen voran die Krankenhäuser, die organisierte Ärzteschaft und nicht zuletzt die Bundesländer. Letztlich kam aus diesen Gründen keine Reform zustande. Die Probleme in der Notfallversorgung bestehen jedoch weiterhin, wie der Besuch der Rettungsleitstelle in Potsdam gezeigt hat.
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Referentin Politik
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Ulrike Müller ist seit Mai 2023 politische Referentin beim BKK Dachverband. Die studierte Germanistin hat zuvor viele Jahre als Mitarbeiterin mehrerer Bundestagsabgeordneter im Bereich Gesundheit und Pflege gearbeitet. Ihre Themenschwerpunkte dort waren GKV-Finanzierung und Pflegeversicherung sowie Aufwertung der sogenannten nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe.
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Torsten Dittkuhn betreut die Social Media-Accounts des BKK Dachverbandes. Darüber hinaus verantwortet er das Social Media- und Online-Monitoring und gehört zum Website-Team, das sich um die Redaktion, Pflege und Weiterentwicklung der Verbands-Webseite kümmert.
Nach seinem Soziologie-Studium arbeitete er als Projektkoordinator im Bereich ÖPNV und für verschiedene Agenturen als Projekt- und Kampagnenmanager für Kunden wie die Hans-Böckler-Stiftung und das BMBF.