Es stimmt: Die medizinische Versorgung funktioniert noch weitgehend. Auch in der Pandemie. Ein enormer Pflegeaufwand, eine weitgehend exzellente technische Ausstattung der Kliniken sowie eine stabile Finanzstruktur der GKV haben das Schlimmste verhindert. Außerdem ist die Pandemie ein enormer Innovationstreiber. Zum Beispiel bei Impfstoffen, die in kürzester Zeit erforscht, erprobt und zugelassen waren. Oder bei der Nutzung digitaler Medien in der Versorgung, wie etwa bei Videosprechstunden, die kurzfristig möglich wurden.
Gleichzeitig werden dramatische Defizite offensichtlich: beim Krisenmanagement, bei der Beschaffung von Schutzausrüstung oder Impfstoffen, der personellen Ausstattung der Krankenhäuser oder der Digitalisierung. Schnelles Analysieren, Konzipieren, Entscheiden und Handeln: Fehlanzeige. "Bewährte Routinen" allein sind in der Pandemie eben oft ungenügend.
Unbekannt ist das alles nicht. Aber: Corona macht die teilweise seit Jahrzehnten unerledigten Aufgaben und überfälligen Reformen im Gesundheitswesen deutlicher denn je. Eine in vielen Teilen auf Profit getrimmte Struktur hat nicht nur die Versorgungsqualität verschlechtert. Notwendige finanzielle Krisenpuffer mussten zur Stützung eingesetzt und gefährlich niedrig abgeschmolzen werden.
Intransparenz, Gießkanne, Elfenbeinturm - keine gute Mischung
Wie steuert man eine Krise, wenn nicht einmal bekannt ist, wie viele lntensivbetten vorhanden sind und gemeldete sogar geisterhaft verschwinden? Wieso erhalten Apotheker Vergütungen, für die sie sich zum Teil öffentlich schämen? Wieso muss die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) Schutzausrüstungen für Pflegekräfte und Ärzte bezahlen, wenn es auf Landesebene den Katastrophenschutz und öffentlichen Gesundheitsdienst gibt? Wieso druckt eine Bundesdruckerei teuer fälschungssichere Voucher für Masken, die günstiger im Einzelhandel abgegeben werden? Wie kann die Expertise derjenigen eingeholt werden, die Regelungen umsetzen sollen, wenn Fristen für deren Stellungnahmen von wenigen Stunden eingeräumt werden?
In einer Pandemie rächt es sich, wenn Versorgungsstrukturen intransparent sind. Wenn statt gezielter Maßnahmen die Politik der Gießkanne aus Zeiten sprudelnder Einnahmen fortgesetzt wird. Wenn auf föderale Rechte gepocht, auf Pflichten aber gepfiffen und wenn autokratisch entschieden wird, statt Expertise zum Beispiel von den Verantwortlichen der gemeinsamen Selbstverwaltung einzuholen.
Corona-Konsequenzen
- Auch unter großem Druck hat die gemeinsame Selbstverwaltung schnell und gemeinschaftlich gehandelt. Nicht jede gesetzgeberische Verordnung wäre nötig gewesen. Zu oft musste die GKV den Ausputzer spielen. Sie übernahm viele Aufgaben, die (schon vorher) Aufgaben der Länder gewesen wären. Eine verlässliche Klärung von Aufgaben, Rollen und Finanzierungen ist dringend notwendig.
- Es beweist sich einmal mehr: Die solidarische Finanzierung der GKV schützt und stützt verlässlich. Die privaten Versicherer müssen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zukünftig ebenfalls gerecht werden und einen angemessenen finanziellen Beitrag für die Pandemiebewältigung leisten.
- Die Versorgung der Corona-Patienten konzentriert sich auf die größeren und spezialisierten Kliniken des Landes. Die bestehenden Krankenhausstrukturen sind nicht länger zu rechtfertigen. Der Versorgungsbedarf und die Strukturen für eine sichere und hochwertige Daseinsvorsorge müssen Grundlage für die Versorgungsplanung sein.
- Der öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) muss dauerhaft in Stand gesetzt werden. Er ist unterfinanziert und unterbesetzt. Kommunen und Länder müssen ihren Investitionsund Finanzverpflichtungen endlich nachkommen.
- Die digitalen Potentiale werden unzureichend ausgeschöpft. Corona zeigt, wie außerordentlich wichtig Echtzeitdaten und agile Kommunikationswege für die flexible und gezielte Versorgungssteuerung sind. Gleichzeitig können sie die Forschung voranbringen und eine patientenzentrierte Versorgung stärken.
- Schutzschirme, Masken, Tests und Impfstoffe oder lntensivbetten: Mit Milliardenbeträgen wird die Pandemie bekämpft. Ein Kassensturz ist überfällig. Er wird zeigen: Gesetze der vergangenen Jahre, Ausgabensteigerungen durch Aufholeffekte nach der Pandemie und geringere Einnahmen bringen die Finanzen der GKV und auch der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) trotz Bundeszuschuss unter Druck.
Brutale Kostendämpfung und populistische Maßnahmen werden wie immer nicht reichen. Notwendig sind innovative, qualitätsgetriebene, lange überfällige Strukturveränderungen.