Health Tech Summit Kopenhagen

„Neue Technik muss große Auswirkungen haben, um in der Versorgung akzeptiert zu werden“

Das Außenministerium Dänemarks lud Anfang Mai 2023 beim Health Tech Summit in Kopenhagen zur Diskussion über Herausforderungen in den weltweiten Gessundheitssystemen ein – und welche Rolle digitale Lösungen dabei spielen könnten.

Superkrankenhaus in Kopenhagen

Von Dänemark lernen

Wer die Herausforderungen im Gesundheitswesen angehen will, tut gut daran, auch einmal über den sprichwörtlichen Tellerrand hinauszuschauen. Sofern damit Landesgrenzen gemeint sind, galt dieser Blick in den vergangenen Jahren besonders oft Deutschlands nördlichstem Nachbarn. Dänemark ist es schließlich in den letzten zwei Jahrzehnten gelungen, eine umfassende Krankenhausreform umzusetzen und gleichzeitig sein Gesundheitswesen weitgehend vollständig zu digitalisieren.

Nicht nur Akteure aus Deutschland beobachten daher das Königreich zwischen Nord- und Ostsee ganz genau, um mögliche Impulse für das eigene Land abzuleiten – so etwa geschehen in dem vom BKK Dachverband mitgetragenen Innovationsfondsprojekt K:IDD. Auch in vielen anderen Staaten interessiert man sich für das dänische Gesundheitssystem und die dort verwendeten Lösungen. Etliche davon wurden von dänischen Technologiefirmen entwickelt.

Impulse für die Gesundheits- und Wirtschaftspolitik

Um diese Firmen auf dem Weltmarkt zu präsentieren, aber auch, um neue Impulse für die Gesundheits- und Wirtschaftspolitik aus dem Ausland zu bekommen, lud die Handelsabteilung des Dänischen Außenministeriums für den 9. bis 11. Mai 2023 rund 200 Gesundheitsexpertinnen und -experten aus aller Welt zum Health Tech Summit nach Kopenhagen ein. Die Ziele: Gemeinsam über die aktuellen Herausforderungen der Gesundheitssyteme zu diskutieren und neue Kontakte für das berufliche Netzwerk zu knüpfen. Wer wollte, konnte zum Abschluss des Gipfels auch einmal vor Ort einen ausgiebigen Blick in die dänischen „Superkrankenhäuser“ werfen.

Die Reden, Vorträge und Podiumsdiskussionen der ersten beiden Tage waren geprägt von der Frage: Wie können innovative Technologien in die Regelversorgung gebracht werden, um die Probleme unserer Gesundheitssysteme zu lösen?

In ihrem Erföffnungsvortrag zeigte Lisbeth Nielsen, Direktorin der Behörde für Gesundheitsdaten (Sundhedsdatastyrelsen), dass das Land dank vollständiger Abdeckung mit einer elektronischen Gesundheitsakte hierzu bereits einen wichtigen Grundstein gelegt hat. Auch würden die Daten bereits regelhaft für Register und Forschungsvorhaben verwendet und bildeten damit eine Grundlage für epidemiologische Entscheidungen der Politik. Der Vorsitzende der dänischen Region Mitte Anders Kühnau ergänzte, dass die Menschen eine Nutzung ihrer Daten verlangten, dem jedoch oft die EU-Ebene entgegenstehe.

Mit Health Tech gegen den Fachkräftemangel

Rednerinnen und Redner aus Großbritannien, Schweden, Finnland und den Niederlanden unterstrichen Ihre Hoffnung darauf, mithilfe von „Health Tech“ den sich verschärfenden Fachkräftemangel auch in ihren Ländern lindern zu können. Dabei legten sie den Fokus vor allem auf Lösungen, die bisherige Abläufe vereinfachen und es den Leistungserbringern so ermöglichen sollen, mehr Menschen in der gleichen Zeit zu versorgen. Ein Ansatz, der vom Publikum durchaus kontrovers diskutiert wurde – welche Pflegekraft sieht ihren Berufssinn schon in höherer Effizienz? Außerdem ist gerade das dänische Gesundheitswesen bekannt dafür, die Versorgung seiner Patientinnen und Patienten stärker zu steuern und sie auch robust an der Notaufnahme abzuweisen, wenn etwa eine Behandlung beim Hausarzt angemessener wäre – und so den Anstieg der Fallzahlen bereits einzudämmen.

Durch Technik den Zugang zum Gesundheitswesen erleichtern

Umgekehrt kann der Einsatz von neuer Technik aber auch dazu führen, dass der Zugang zum Gesundheitswesen erleichtert wird. Oskari Eskola, CEO der Firma Beehealthy aus Finnland, sprach etwa über eine barrierefreie Messenger-Lösung, die in seinem Land dazu geführt habe, dass nun auch solche Menschen versorgt werden, die sich vorher nicht ins Gesundheitssystem gewagt hätten. Leonard Witkamp (Ksyos Digital Hospital, Niederlande) stellte KI-unterstützte Diagnoseverfahren vor, mit der der unbehagliche Aufenthalt im Krankenhaus zeitlich minimiert wird. Und auch im Rettungsdienst, das konnte Falck-Chef Freddy Lippert zeigen, wird KI erfolgreich eingesetzt: Sie konnte in einem Pilotprojekt in Kopenhagen die Dispatcher dabei unterstützten, aus dem laufenden Gespräch mit den Anrufenden Herzstillstände der betroffenen Personen besser zu erkennen.

Auch wenn viele technische Interventionen in Modellprojekten erfolgreich getestet werden können, finden sie jedoch selten oder nur sehr schwer den Weg in die Regelversorgung. Dies ist nicht nur in Deutschland, sondern offenbar in aller Welt – nicht zuletzt auch in Dänemark – der Fall.

Integrierte Lösungspakete statt isolierte Einzellösungen

Andere Rednerinnen und Redner machten auch deutlich, dass die Märkte mittlerweile vielfach mit technischen Lösungen übersättigt und die Mitarbeitenden in den Kliniken nach zahlreichen Modellvorhaben weiterer Projekte überdrüssig seien. Kim Veber Carlsen, IT-Chef für die Region Hauptstadt und verantwortlich für die Einführung eines Krankenhausinformationssystems (KIS), das heute in der Hälfte des Landes verwendet wird, wies daher darauf hin, dass jede technische Neuerung zunächst die etablierten Abläufe im Krankenhaus störe. Anbieter müssten sich daher zunächst bemühen, Prozesse und Anliegen nicht nur der klinisch Tätigen, sondern auch von Geschäftsführung und IT-Abteilung genau zu verstehen und ihr Produkt hieran anzupassen. Dieses müsse zudem eine möglichst große Auswirkung auf den Betrieb haben, damit sich die Inkaufnahme der Störung für die Organisation lohne. Dazu seien integrierte Lösungspakete erfolgversprechender, als ein sich ständig ergießender Strom isoliert stehender Einzellösungen.

Um es Firmen, die mit öffentlichen Geldern gefördert werden, zu ermöglichen, sich nach erfolgreicher Projektarbeit zusammenzutun, um ihre Lösungen landesweit und über die Grenzen Dänemarks hinaus erfolgreich zu skalieren, haben verschiedene öffentliche Institutionen und private Firmen den Verbund „Commercial Lighthouse“ gegründet, eine für Dänemark typische „Public Private Partnership“. Nach Aussage von Diana Arsovic vom hierfür verantwortlichen Danish Life Science Cluster, sollen die Akteure unter diesem Dach Daten teilen, voneinander lernen und so in ausgewählten Bereichen zu „Leuchttürmen“ für den Rest der Welt werden. Der derzeitige Fokus des Verbunds liegt auf dem Thema Übergewicht.

Lob für das Zulassungsverfahren der DiGA

Wenig überraschend ist die Tatsache, dass unter den teilnehmenden Firmen viele Hersteller von mobilen Apps vertreten waren. Jesper Grønbek, Gründer des Health Tech Hub Copenhagen, sprach von täglich 250 neuen Angeboten in den Appstores, die es klinischen Entscheidern unmöglich machten, für ihre Patientinnen und Patienten das passende Produkt auszuwählen. In dem Zusammenhang lobte er – für manche dann doch überraschend – ausgerechnet Deutschland als Vorreiter in einem Bereich der Digitalisierung im Gesundheitswesen: Das Zulassungsverfahren für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) und die in dem Zusammenhang angewandte „agile Gesetzgebung“ könnten nach seiner Aussage ein Vorbild sowohl für die Zulassungsbehörden Dänemarks als auch jene der Europäischen Union sein.

So wurde wieder einmal deutlich, wie ähnlich die Herausforderungen für die Gesundheitssysteme in aller Welt sind und daher jede und jeder von Erfahrungen der anderen lernen kann. Klar wurde auch, dass Innovationen im Bereich „Health Tech“ zwar ein großes Potenzial in sich tragen, ihre Überführung in die Versorgung jedoch klug vorbereitet werden muss. Ausnahmsweise standen hierbei nicht die Patientinnen und Patienten im Vordergrund, sondern jene, die sich täglich um die Versorgung dieser Menschen kümmern – Krankenhäuser, Praxen aber auch Kostenträger und öffentliche Einrichtungen. Nur wer sich bemüht, auch diese umfassend zu überzeugen, wird dem Anspruch gerecht, die Versorgung mit technischen Innovationen wirklich zu verbessern.

Kontakt

Matthias Kretzler
Referent Krankenhaus

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