BKK Dachverband fürs Ohr

Der Podcast zum BKK Gesundheitsreport 2020 "Mobilität, Arbeit, Gesundheit"

Blicken wir zurück auf unsere Arbeitswelt, sagen wir von vor 50 Jahren, lässt sich bloß staunen über deren rasanten Wandel. Beispiel Mobilität. Wir pendeln zur Arbeit, oft lange Strecken, oder wir arbeiten von zuhause, im digital-virtuellen Raum. Aber was macht das mit uns? Diese Frage stellt sich der diesjährige Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen unter dem Motto Gesund mobil arbeiten.

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SPRECHERIN: Blicken wir zurück auf unsere Arbeitswelt, sagen wir von vor 50 Jahren, lässt sich bloß staunen über deren rasanten Wandel. Beispiel Mobilität. Wir pendeln zur Arbeit, oft lange Strecken, oder wir arbeiten von zuhause, im digital-virtuellen Raum. Aber was macht das mit uns? Diese Frage stellt sich der diesjährige Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen unter dem Motto Gesund mobil arbeiten. Dirk Rennert hat die Ergebnisse zusammengetragen. Er ist Leiter der BKK Gesundheitsberichterstattung beim BKK Dachverband:

OT1 Dirk Rennert: Durchschnittlich brauchen Berufstätige 17 Kilometer beziehungsweise 25 Minuten für ihren meist täglichen Weg zur Arbeit. Am häufigsten pendeln beispielsweise Männer, junge Beschäftigte, höher Qualifizierte und Menschen in Dienstleistungsberufen. Dabei legen sie längere Strecken mit mehr Zeitaufwand zurück.

SPRECHERIN: Längere Strecken, mehr Zeitaufwand, eben das schafft Probleme, sagt Holger Pfaff, Professor am Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft der Universität zu Köln:

OT2 Prof. Pfaff: Das geht in Richtung psychosomatischer Beschwerden. Das kann ein geringes Wohlbefinden beinhalten, die Müdigkeit steigt, Kopfschmerzen steigen, Nackenschmerzen, Schlafschwierigkeiten, all das ist nachgewiesen. Insgesamt muss man jedoch die Gesamtsituation einer Person betrachten. Es kann also sein, dass diese Probleme entstehen, aber man das Ganze macht, damit ein anderes Problem nicht entsteht, zum Beispiel Trennung von der Familie.

SPRECHERIN: Pendeln, das ist die eine Seite mobiler Arbeit. Für jeden zweiten von der BKK Befragten ist das Homeoffice, die mobile, digitale Arbeit von zuhause, schon heute Normalität. Maßgeblich dafür, die Covid-19-Pandemie. Dr. Matthias Richter, Referent für die Gesundheitsberichterstattung beim BKK Dachverband:

OT3 Dr. Richter: In unserer Beschäftigtenumfrage gab etwa die Hälfte der Befragten an, dass für sie das Arbeiten im Homeoffice deutlich zugenommen hat. Auf der anderen Seite hat gleichzeitig das Pendeln zur Arbeit für etwa ein Drittel abgenommen. Eine Auswirkung auf ihre Gesundheit sehen die meisten nicht. Etwa jeder Zehnte sieht sogar positive Auswirkungen. Dagegen gibt mehr als ein Viertel der Befragten an, dass die Coronavirus-Pandemie sich negativ auf ihr gesamtes Arbeitsleben insbesondere auf ihre psychische Gesundheit ausgewirkt hat.

SPRECHERIN: Mobiles Arbeiten kann Konflikte schaffen, unterstreicht auch Simone Kauffeld. Sie ist Professorin am Institut für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie der Technischen Universität Braunschweig:

OT4 Prof. Kauffeld: Die mobile Arbeit wird vor allem mit weniger Kontrolle für die Führungskraft gleichgesetzt, spätes Feedback bei Unregelmäßigkeiten und mit einem höher länger angestauten und häufiger unentdeckten Konfliktpotential in Verbindung gebracht. Auch technische Schwierigkeiten werden häufig genannt. Für Mitarbeitende gibt es aber auch Schattenseiten. Dort wird die mangelnde Trennung von Arbeit und Privatleben, die hohen Anforderungen an die Fähigkeit zur Selbstorganisation, Termin- und Zeitdruck, zum Beispiel durch Informationsüberflutung, genannt oder auch die reduzierte, soziale Unterstützung durch KollegInnen und Vorgesetzte.

SPRECHERIN: So sehr mobiles Arbeiten belastet, es birgt auch Chancen. Und die stellen sich vor allem mit dessen Rahmenbedingungen, sagt Franz Knieps, Vorstand des Dachverbands der Betriebskrankenkassen:
OT5 Franz Knieps: Ob mehr Chance oder mehr Last hängt sehr von den Rahmenbedingungen für mobiles Arbeiten ab. Sind die Räumlichkeiten beengt zuhause? Ist jemand alleinerziehend? Sind Dinge wie Schule oder Kita geschlossen? Dann entwickelt sich mobiles Arbeiten sehr schnell zu einer großen Last. Hat der Arbeitnehmer gutes Equipment, sind die Raumverhältnisse zuhause so, dass ein separates Arbeitszimmer vorhanden ist, lebt man in großen Wohnungen und hat man eh eine Neigung mobil zu arbeiten, dann begünstigt das eher die Gesundheit. Alles hängt davon ab, wie die Führung der Mitarbeiter organisiert ist.

SPRECHERIN: Wie eine gesunde Führung mobil Beschäftigter sich darstellen könnte, beschreibt die Arbeits- und Sozialpsychologin Prof. Simone Kauffeld:

OT6 Prof. Kauffeld: Die Führung „mobil Arbeiten“ erfolgt ergebnisorientiert. Dafür ist es wichtig, Bedingungen so zu gestalten, dass mobil Beschäftigte die vereinbarten Ziele auch tatsächlich erreichen können. Darüber hinaus ist es wichtig, Führungsfunktionen im Sinne einer geteilten Führung oder sich selbst organisierender Teams an das Team zu delegieren und personale Führung durch strukturelle Führung, also zum Beispiel durch die Implementation von Feedback-Mechanismen in IT-Tools zu ergänzen.

SPRECHERIN: Geteilte Führung – auch BKK Vorstand Franz Knieps sieht Führende in Unternehmen zunehmend als Coach gefragt, der Grenzen erkennt und im Zweifel gegensteuert:

OT7 Franz Knieps: Die Führungskräfte müssen erst einmal selber lernen, dass mobiles Arbeiten neue Herausforderungen bedeutet. Sie müssen sehen, wo die Grenzen von mobilem Arbeiten liegen, beispielsweise in der Zeit, beispielsweise im Raum. Sie müssen sich stärker als bei den Präsenzarbeitsmöglichkeiten darauf einstellen, dass die einzelnen Mitarbeiter sehr unterschiedliche Potenziale für mobiles Arbeiten haben und dass an unterschiedlichen Punkten Gefahren lauern, beispielsweise einer Überforderung durch die Entgrenzung der Arbeitszeit. Also hier müssen die Führungskräfte lernen, unter anderen Verhältnissen ihre Mitarbeiter zu coachen.

SPRECHERIN: Fazit: Je beweglicher, mobiler sich unsere heutige Arbeitswelt gestaltet, desto dringender wird der Gedanke von Autonomie – sowohl bei der zeitlichen als auch der räumlichen Gestaltung von Arbeit. In diesem Sinne müssen sich beide Seiten bewegen, Beschäftige und Führende gleichermaßen. Franz Knieps:

OT8 Franz Knieps: Grundsätzlich sind Mobilität und Flexibilität von Arbeitsverhältnissen eine positive Sache, wenn die Interessen von Arbeitgebern und von Arbeitnehmern berücksichtigt werden. Kein Mensch macht gern eine Arbeit nach strikten Vorgaben, in Monotonie, nach klaren Zeit- und Ortsvorgaben, sondern jeder wünscht sich, dass man bei der Arbeit Autonomie hat, dass man sie beeinflussen kann und dass man auch gewisse persönliche Dinge in die Arbeit einbringen kann. Von daher sehe ich flexibles und mobiles Arbeiten prinzipiell mal als eine Erweiterung der Autonomie der Arbeitnehmer.

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