BKK Dachverband fürs Ohr

Interview mit Franz Knieps zum BKK Gesundheitsreport 2020

Herr Knieps, die heutige Arbeitswelt prägen vor allem zwei Begriffe, Flexibilität und Mobilität. Letzterem widmet sich der diesjährige Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen. Mehrere Tausend Menschen wurden befragt. Welche Vorteile oder auch Gefahren stellen sich durch die wachsende Mobilität in unserer Arbeitswelt dar?

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FRAGE 1: Herr Knieps, die heutige Arbeitswelt prägen vor allem zwei Begriffe, Flexibilität und Mobilität. Letzterem widmet sich der diesjährige Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen. Mehrere Tausend Menschen wurden befragt. Welche Vorteile oder auch Gefahren stellen sich durch die wachsende Mobilität in unserer Arbeitswelt dar?

OT1 Franz Knieps: Grundsätzlich sind Mobilität und Flexibilität von Arbeitsverhältnissen eine positive Sache, wenn die Interessen von Arbeitgebern und von Arbeitnehmern berücksichtigt werden. Kein Mensch macht gern eine Arbeit nach strikten Vorgaben, in Monotonie, nach klaren Zeit- und Ortsvorgaben, sondern jeder wünscht sich, dass man bei der Arbeit Autonomie hat, dass man sie beeinflussen kann und dass man auch gewisse persönliche Dinge in die Arbeit einbringen kann. Von daher sehe ich flexibles und mobiles Arbeiten prinzipiell mal als eine Erweiterung der Autonomie der Arbeitnehmer. Auf der anderen Seite haben wir natürlich Interessen des Arbeitgebers an einer gewissen Konstanz, an einer Stabilität. Aber auch der Arbeitgeber kann Vorteile durch Mobilität haben.

FRAGE 2: Wo genau sehen Sie die Vorteile auf Seiten der Arbeitgeber?

OT2 Franz Knieps: Die Arbeitgeber haben vor allen Dingen dann Vorteile, wenn das mobile Arbeiten Produktivität erhöht, wenn also Beschäftigte an den Ort kommen, an dem sie gerade benötigt werden, wenn Beschäftigte flexibel in der Zeit sind, wenn Beschäftigte auch von unterwegs Arbeitsergebnisse an den Betrieb übermitteln können, dann sind das alles Vorteile für den Arbeitgeber. Außerdem ist ein Arbeitsergebnis häufig nicht nur auf einen Arbeitnehmer zurückzuführen, sondern auf ein Team. Und ein Team kann nicht nur dann produktiv sein, wenn alle Leute in einem Raum sitzen, sondern wenn Mitarbeiter zugeschaltet werden, wenn sie ihre Arbeitsschritte zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten erbringen.

FRAGE 3: Die Corona-Pandemie hat unsere Mobilität stark beeinflusst, auf allen Ebenen. Bezogen auf die Arbeitswelt, wo sehen Sie wesentliche Veränderungen?

OT3 Franz Knieps: Durch die Pandemie hat die Mobilität einen gewaltigen Schub genommen. Dinge die früher für unvorstellbar gehalten wurden, können jetzt auf einmal im Homeoffice wahrgenommen werden durch Zuschaltung von Mitarbeitern in Webkonferenzen organisiert werden. Das, was viele für unmöglich gehalten haben, dass mobiles Arbeiten von Zuhause Produktivität erhöht, ist eingetreten. Auf der anderen Seite: Eine Stahlhütte kann nicht mit mobilem Arbeiten von Zuhause aus betrieben werden. Es hängt also sehr stark von der Branche ab, es hängt sehr stark vom Betrieb und der konkreten Aufgabe ab. Aber in einer Dienstleistungsgesellschaft kann sehr viel mehr als früher durch mobiles Arbeiten erledigt werden.

FRAGE 4: Begünstigt mobiles Arbeiten die Gesundheit der Beschäftigten oder belastet es sie eher – Chance oder Last, in welche Richtung tendieren Sie?

OT4 Franz Knieps: Ob mehr Chance oder mehr Last hängt sehr von den Rahmenbedingungen für mobiles Arbeiten ab. Sind die Räumlichkeiten beengt zuhause? Ist jemand alleinerziehend? Sind Dinge wie Schule oder Kita geschlossen? Dann entwickelt sich mobiles Arbeiten sehr schnell zu einer großen Last. Hat der Arbeitgeber gutes Equipment, sind die Raumverhältnisse zuhause so, dass ein separates Arbeitszimmer vorhanden ist, lebt man in großen Wohnungen und hat man eh eine Neigung mobil zu arbeiten, dann begünstigt das eher die Gesundheit. Alles hängt davon ab, wie die Führung der Mitarbeiter organisiert ist.

FRAGE 5: Wie sollte die Führung organisiert sein? Vor welcher Herausforderung stehen Unternehmensführungen mit Blick auf ein gesundes mobiles Arbeiten?

OT5 Franz Knieps: Die Führungskräfte müssen erst einmal selber lernen, dass mobiles Arbeiten neue Herausforderungen bedeutet. Sie müssen sehen, wo die Grenzen von mobilem Arbeiten liegen, beispielsweise in der Zeit, beispielsweise im Raum. Sie müssen sich stärker als bei den Präsenzarbeitsmöglichkeiten darauf einstellen, dass die einzelnen Mitarbeiter sehr unterschiedliche Potenziale für mobiles Arbeiten haben und dass an unterschiedlichen Punkten Gefahren lauern, beispielsweise einer Überforderung durch die Entgrenzung der Arbeitszeit. Also hier müssen die Führungskräfte lernen, unter anderen Verhältnissen ihre Mitarbeiter zu coachen.

FRAGE 6: Mehr „mobiles Arbeiten“ und im digitalen Raum. Welche Auswirkungen sehen Sie für unser Gesundheitssystem, wie stellt sich medizinische Versorgung künftig dar?

OT6 Franz Knieps: Die digitale Transformation wird Versorgungsstrukturen und Versorgungsprozesse verändern. Beispielsweise – heute müssen Pflegebedürftige zu einer medizinischen Untersuchung in die Arztpraxis oder im Notfall ins Krankenhaus gekarrt werden. Künftig wird die Diagnose sehr stark durch Telemedizin gemacht werden können. Zweites Beispiel: Heute müssen Menschen nach einem schweren medizinischen Vorfall, nach Herzinfarkt oder Schlaganfall, zur Überwachung immer wieder zum Arzt beziehungsweise ins Krankenhaus zurückgebracht werden. In Zukunft wird diese Überwachung digital erfolgen, durch Direktübertragung so genannter Vitaldaten in ein telemedizinisches Zentrum mit der Information an Patientinnen und Patienten, an Ärztinnen und Ärzte, wenn eine Intervention geboten ist.