Audiobeiträge

Jobmotor oder Knochenmühle: Wie gesund sind unsere Gesundheitsberufe?

Vernetzt und digital – schon heute sind diese beiden Begriffe der Informationstechnologie kaum noch aus unserer realen Lebenswelt fortzudenken. Es geht um Information, um Möglichkeiten einer durch Computer, Handy und Internet unterstützen, sich vernetzenden Kommunikation. Und die betrifft inzwischen alle Lebensbereiche, ob in der Arbeitswelt oder auch im Bereich der Gesundheit. Gerne ist hier dann die Rede vom Patienten 2.0.

Audio-Symbol

SPRECHER
Wer mag schon mit Lust und Wonne zuhören wollen, wenn die Rede kommt auf Begriffe wie Krankheit, Leid und Tod. Und doch bleibt nicht aus, darüber sprechen zu müssen. Auch umwillen der Menschen, die sich genau diesen Themen tagtäglich stellen. Weil wir sie brauchen, wenn wir bedürftig sind und gebrechlich, wenn’s uns nicht gut geht – die Menschen in Sozialen und Gesundheitsberufen. Einem Berufsbild mit besonderem Anspruch und Anforderungsprofil. Franz Knieps, Vorstand des Berliner Dachverbands der Betriebskrankenkassen:

OT1 KNIEPS
Soziale Berufe sind Berufe, die mit Menschen zu tun haben, mit positiven wie negativen Eigenschaften dieser Menschen. Speziell im Gesundheitswesen haben diese Menschen Krankheiten, haben diese Menschen Behinderungen, sind diese Menschen nur eigenschränkt leistungsfähig und sie erwarten mehr als nur die technische Behebung dieser Einschränkungen, sondern sie erwarten Einfühlungsvermögen, Empathie, Zuwendung, Gehör.

SPRECHER
Erwartungen, Ansprüche – Berufe am und mit Menschen hinterlassen ihre Spur! Schon der Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen vom vergangenen Jahr 2016 bescheinigt den Beschäftigten in Sozialen und Gesundheitsberufen überdurchschnittlich hohe Belastungen. Eine aktuelle, diesjährige Befragung bestätigt das Bild. Dirk Rennert, Projektleiter Gesundheitsberichterstattung beim BKK Dachverband:

OT2 RENNERT
Jeder siebte Beschäftigte in der Gesundheits- und Krankenpflege sieht seine psychische Gesundheit durch seine Arbeit stark gefährdet. Bei den Beschäftigten in der Altenpflege ist dieser Anteil sogar mehr als doppelt so hoch. Entsprechend zeigen sich auch für beide Pflegeberufe hohe Fehlzeiten aufgrund psychischer Störungen. In der Altenpflege sind es im Durchschnitt 4,5 Fehltage je Beschäftigten – das ist der höchste Wert von allen Berufsgruppen.

SPRECHER
Maßgeblich dafür seien sowohl inhaltliche wie auch die Arbeit formal begleitende Rahmenbedingungen, ergänzt Dr. Matthias Richter, Referent für die Gesundheitsberichterstattung beim Berliner BKK Dachverband:

OT3 RICHTER
Man hat täglich mit Krankheit und Tod zu tun, was einen belasten kann. Zum anderen wirken sich Dinge aus wie Schichtarbeit, geringe Entlohnung, aber auch Befristung und damit Arbeitsplatzunsicherheit. Jeder Fünfte in der Gesundheits- und Krankenpflege hat einen befristeten Arbeitsvertrag, in der Altenpflege ist es jeder Dritte. Zum Vergleich: Bei den Beschäftigen insgesamt hat nur jeder Siebte einen befristeten Arbeitsvertrag.

SPRECHER
Geringe Entlohnung, befristete Verträge und nicht zuletzt zu wenig Personal. Mangel scheint das Schlüsselwort – unterstreicht auch ver.di Vorstand Sylvia Bühler, Bundesfachbereichsleiterin für Gesundheit und Soziale Dienste in Berlin:

OT4 BÜHLER
Es fehlt an Personal und zwar überall, auf Station in den Krankenhäusern, in der Altenpflege, im Reinigungsbereich, in den Kitas. Wenn wir auf Situationen stoßen, dass eine Pflegefachkraft alleine nachts in einer Klinik für 40 Patienten zuständig ist, dann sind das unhaltbare Zustände. Täglich wird gegen den Gesundheitsschutz in den Einrichtungen verstoßen, weil man sonst seine Arbeit gar nicht schaffen kann. Viele können sich gar nicht vorstellen bis zur Rente das durchzuhalten. Und da muss man gegenarbeiten.

SPRECHER
Andererseits lasten Kosten auf den Unternehmen – ein Problem, so Christine Rieffel-Braune. Sie ist Vorstand der von Boldelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld:

OT5 RIEFFEL-BRAUNE
Durch den Kostendruck ist es natürlich so, dass wir nicht so viele Mitarbeiter überall angestellt haben. Das heißt beispielsweise in der Ferienzeit, wenn zwei Kollegen im Urlaub sind und dann wird noch jemand krank, dann kann es demjenigen, der eigentlich gerade frei hat, passieren, dass er angerufen wird und zur Arbeit kommen muss, damit die Menschen dort eben weiter 24 Stunden betreut werden können. Und wenn so was öfter passiert, dann wirkt sich das schon auch sehr negativ auf die Gesundheit der Mitarbeitenden aus. Wir versuchen da dagegen zu arbeiten.

SPRECHER
Dagegen arbeiten – nur wie? Andreas Flöttmann, Vorstand der Bielefelder BKK Diakonie:

OT5 FLÖTTMANN
Ich sehe drei Ebenen, wo entgegengesteuert werden kann. Das eine ist die gesellschaftliche, politische Ebene. Da geht es um die Frage der Finanzierung, der auskömmlichen. Dann gibt es die unternehmerische Ebene, wo es um die Arbeitsverhältnisse, also Verhältnisse der Gesundheitsgestaltung geht. Und dann gibt es die individuelle Ebene, die setzt beim Verhalten des Einzelnen an.

SPRECHER
Leitender Gedanke ist dabei die Kooperation – zwischen dem um Erhalt der eignen Gesundheit bemühten Mitarbeiter im Zusammenspiel mit seiner Führungskraft:

OT6 FLÖTTMANN
Führungskräfte haben heute die Anforderung, dass sie nicht nur den Erlog suchen, also harte Ziele wie wirtschaftliche Ziele, wo es um Kostenvorteile geht, sondern haben darauf zu achten, dass ihre Mannschaft fit bleibt. In einer gesunden Pflegeeinrichtung wächst das Verständnis für eine flexible Arbeitszeitgestaltung. Mitarbeiter haben in diesen Unternehmen eine verlässliche Basis für Regenerationszeiten, weil sie wissen, das Wochenende bleibt frei.

SPRECHER
Verlässlichkeit, Planbarkeit – gesunde Führung ist auch eine Frage des Respekts, der Anerkennung des Menschen und Kollegen in seinen jeweiligen Lebensphasen. Christine Rieffel-Braune:

OT7 RIEFFEL-BRAUNE
Die Führungskraft muss ihren Mitarbeiter als Menschen sehen, als Mensch in seiner Lebensphase. Mitarbeitende mit kleinen Kindern müssen bei Kita-Schluss in der Kita sein. Und hinterher hat man vielleicht auch eine Phase im Leben, wo es nicht so auf die Zeit ankommt, weil man weder kleine Kinder noch ältere hat. Und später besucht man seine Eltern, macht ihnen Abendbrot, hilft ihnen die Nachtsachen anzuziehen. Auch dann muss man wieder pünktlich gehen. Und das ist die Aufgabe der Führungskraft, diese Lebensphasen so zu organisieren, dass es in die Arbeitsorganisation des Unternehmens trotzdem passt.

SPRECHER
Eine Aufgabe, die auch Franz Knieps, Vorstand des Berliner BKK Dachverbands, betont:

OT8 KNIEPS
Wir brauchen natürlich eine bessere Bezahlung, aber wir brauchen vor allem bessere Arbeitsbedingungen, mehr Respekt zwischen den Gesundheitsberufen, insbesondere zwischen den Ärzten und allen anderen Gesundheitsberufen. Wir brauchen gute, kollektive Arbeitsorganisationen, die Teamarbeit ermöglichen. Und wir müssen auch den zeitlichen Druck entzerren, der aufgrund geringer Personalausstattung in vielen Gesundheitsberufen den Menschen das Leben schwer macht.

SPRECHER
Gleichwohl wählen Menschen noch immer den Weg in Soziale und Gesundheitsberufe, scheint das Bedürfnis anderen Menschen zu helfen, für Andere da zu sein, ungebrochen. Franz Knieps:

OT9 KNIEPS
Wenn Menschen erfahren, welchen Wert ihre Hilfe hat, welchen Respekt ihnen die Patientinnen und Patienten entgegenbringen, wie groß die Hoffnungen sind derjenigen, die das Gesundheitswesen nutzen müssen, werden viele Menschen, viele junge Menschen, erkennen, wie lohnenswert die Arbeit in diesem System ist. Bei allen Mängeln des Systems – es ist ein soziales System, es ist ein leistungsfähiges System, es ist krisensicher und die Prozesse können nicht ins Ausland verlagert werden. Der Arbeitsplatz ist sicher!

Interview mit 

  • Franz Knieps
    Vorstand 
    BKK Dachverband e.V., Berlin
  • Dirk Rennert
    Projektleiter Gesundheitsberichterstattung
    BKK Dachverband e.V., Berlin
  • Dr. Matthias Richter
    Referent Gesundheitsberichterstattung
    BKK Dachverband e.V., Berlin
  • Andreas Flöttmann
    Vorstand
    BKK Diakonie, Bielefeld
  • Christine Rieffel-Braune
    Vorstand
    v. Bodelschwingsche Stiftungen Bethel, Bielefeld
  • Sylvia Bühler
    Vorstand
    ver.di Bundesfachbereichsleiterin Gesundheit/Soziale Dienste, Berlin