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Patient 2.0 – Medizinische Versorgung in Netzwerken

Vernetzt und digital – schon heute sind diese beiden Begriffe der Informationstechnologie kaum noch aus unserer realen Lebenswelt fortzudenken. Es geht um Information, um Möglichkeiten einer durch Computer, Handy und Internet unterstützen, sich vernetzenden Kommunikation. Und die betrifft inzwischen alle Lebensbereiche, ob in der Arbeitswelt oder auch im Bereich der Gesundheit. Gerne ist hier dann die Rede vom Patienten 2.0.

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Vernetzt und digital – schon heute sind diese beiden Begriffe der Informationstechnologie kaum noch aus unserer realen Lebenswelt fortzudenken. Es geht um Information, um Möglichkeiten einer durch Computer, Handy und Internet unterstützen, sich vernetzenden Kommunikation. Und die betrifft inzwischen alle Lebensbereiche, ob in der Arbeitswelt oder auch im Bereich der Gesundheit. Gerne ist hier dann die Rede vom Patienten 2.0. Dessen wesentliches Merkmal: Seine Informiertheit, sagt Prof. David Matusiewicz. Er ist Direktor des Instituts für Gesundheit und Soziales an der Berliner FOM Hochschule:

OT1 Matusiewicz
Der Patient 2.0 ist ein souveräner Patient, der viel mehr sich selbst mit seiner Gesundheit beschäftigt, der auch die digitalen Medien nutzt. Es gibt nicht umsonst die Begriffe wie „Googlechondrie“ zum Beispiel, überspitzt, dass man sich krank googelt. Auf der anderen Seite ist die Suchmaschine ein Medium, um sich erst einmal zu informieren. Und da gibt es nicht nur Wikipedia. Es gibt dort auch evidenzbasierte Informationen, Leitlinien, Patientenforen und ähnliches, die moderiert werden, wo er sich informieren kann und dann informiert in die Arztpraxis kommt.

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Der Patient als Souverän über die eigene Gesundheit? In gewissem Sinne ja, meint auch Dr. Oliver Gapp, Bereichsleiter Versorgung und Gesundheitsökonomie der mhplus Betriebskrankenkasse in Ludwigsburg:

OT2 Gapp
Zum einen wird der Patient mehr in den Mittelpunkt rücken, bedeutet, dass beispielsweise über eine App zum Hautkrebs-Screening, dass das zuhause gemacht werden kann, nicht mehr zwangsläufig zum Arzt gegangen werden muss, nur wenn Auffälligkeiten da sind. Aber auch für die ärztliche Versorgung wird sich einiges ändern, da der Patient eher auf Augenhöhe mit dem Arzt sein wird und die Ärzte insbesondere dann hinzugezogen werden müssen, wenn ärztlicher Handlungsbedarf besteht.

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Ärztliche Fürsorge tut Not, kein Zweifel! Doch was, wenn der Termin beim Arzt monatelang auf sich warten lässt? Beispiel: Psychologische Betreuung. Eben darauf zielt das Angebot einer Online-Therapie der mhplus BKK bei psychischen Erkrankungen nach stationärem Aufenthalt:

OT3 Gapp
Wir erleben, dass Leute, die einen Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik haben, häufig wieder in die psychosomatische Klinik kommen. Also so ein Drehtüreffekt. Und wir wollen jetzt versuchen, dass die Patienten, die stationär waren, mit dem gleichen oder mit einem Kollegen der Therapeuten diese Betreuung in der Nachsorge erfahren. Das heißt: Wenn sie aus der psychosomatischen Klinik entlassen werden, haben sie sieben, acht, neun, zehn Sitzungen, die sie online durchführen können. Und Themen, die jetzt nach der Klinik aufgetreten sind, können sie dann mit dem Therapeuten besprechen.

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Der Arztbesuch in Bits und Bytes – auch im westfälischen Bünde ist das längst tägliche Praxis. Dort haben sich 50 Haus- und Fachärzte zusammengeschlossen, um pflegebedürftigen Menschen elektronisch beizustehen. Annette Hempen, Geschäftsführerin des Ärztenetzwerks „Medizin und Mehr“ in Bünde:

OT4 Hempen
Die elektronische Visite ist ein Videokonferenzsystem, mittels dessen ein Arzt mit dem Patienten direkt sprechen kann, also quasi wie ein Telefonat aber mit Bild noch. Wir sagen manchmal auch Skype für Ärzte.

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Eine Chance vor allem für den ländlichen Raum, wo demografischer Wandel und Ärztemangel der medizinischen Versorgung Probleme aufgeben:

OT5 Hempen
Die Vorteile der elektronischen Visite für die Ärzte sind eine Verbesserung der Behandlungssicherheit, der Behandlungsqualität und ein Einsparen von Ressourcen bzw. ein besserer Einsatz der Ressource Arzt in dem Fall. Und zwar ist es einfach so, dass unnötige Besuche vermieden werden können. Im Bereich der Pflegeheime zum Beispiel ist es so, wenn die Patienten zur Wundkontrolle kommen müssen, dann müssen sie mit einem Krankentransport in die Arztpraxis gebracht werden, müssen dort Wartezeiten in Kauf nehmen, eine Betreuungsperson müsste mitkommen. Und das entfällt für zum Beispiel Routinekontrollen, Wundkontrollen oder auch für Bagatellfälle, die gar keinen Patienten-Arzt-Kontakt notwendig machen.

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Ein Lob der Technik! Doch die Entwicklung zum Patienten 2.0 birgt neben der Chance auch Risiken. Nicht jede Gesundheits-App oder die Uhr, die den Körper vermisst, garantiert umfassende Gesundheit, mahnt Franz Knieps, Vorstand des Berliner BKK Dachverbands:

OT6 Knieps
Also es beinhaltet Chancen, dass Menschen gesundheitsbewusster werden, wenn sie täglich Daten erfassen wie Bewegung, wie Blutfette etc., das ist das eine. Aber es erleichtert natürlich zum einen das Hypochondertum, zum anderen auch die Illusion zu glauben, wenn man sich nur gemäß den Anweisungen, die aus dem Wearable dann kommen, verhält, dass man damit dann immer gesund bleibe und dass man dann keine medizinische Behandlung im Krisenfall mehr benötigt. Außerdem kann es leicht Fehlalarme auslösen etc., also eine Menge von Risiken. Es darf nicht zur Ersatzreligion werden!

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Ein weiterer Aspekt: Gesundheitsdaten sind sensibel. Sie betreffen das höchste Gut des Menschen, eben seine Gesundheit. Schon deshalb steht für Franz Knieps außer Frage dem Sammeln und Verbreiten solcher Daten, dem sogenannten Big-Data-Mining, klare Grenzen zu ziehen:

OT7 Knieps
Big Data kann sich auch zur Krake entwickeln, die sich über alles legt und Eigeninteressen verfolgt. Es muss klar geregelt sein, dass der Patient, die Patientin, der Herr, die Herrscherin über die eigenen Daten ist. Das absolut nicht verhandelbar, sondern das ist Grundlage einer freiheitlichen Gesellschaft. Es muss aber auch die Nutzung geregelt werden, wann wird Big Data eingeschaltet. Und letztlich müssen Ärzte und Patienten trainiert werden mit Empfehlungen und Ergebnissen von Überprüfungen in Big Data umzugehen. Es ersetzt nicht die individuelle Entscheidung des Arztes gegenüber dem individuellen Patienten, was angebracht ist und was man lieber lassen sollte.

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Fazit: Digitale Technologien unterstützen die medizinische Versorgung, schaffen neue Zugangsmöglichkeiten und Formen ärztlicher Betreuung. Voraussetzung dafür ist und bleibt aber das persönliche, sozusagen analoge Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient: Computer messen, der Arzt behandelt! Dabei ist schon erstaunlich, welche Möglichkeiten die Zukunft bereithält. Noch einmal Oliver Gapp mit einem Ausblick:

OT8 Gapp
Ein Messinstrument wird wahrscheinlich sein, dass wir in langer Zukunft jetzt aber eher einen Mikroroboter in die Blutbahn spritzen, der verschiedene Vitaldaten messen kann, der die Wahrscheinlichkeit von Schlaganfall ermitteln kann, der Vorstufen von Herzinfarkten erkennen kann. Oder dass sie so ein kleines digitales Tattoo am Arm tragen werden, dass verschiedene Mentalfunktionen messen kann. Also da sind eher wenig Grenzen gesetzt.

Ausführliche Informationen zum Thema erhalten Sie Sie unter www.bkk-dv.de.

Interview mit 

  • Franz Knieps  
    Vorstand BKK Dachverband e.V., Berlin
  • Annette Hempen 
    Geschäftsführerin  MUM - Medizin und Mehr eG, Bünde
  • Dr. Oliver Gapp
    Bereichsleiter Versorgung und Gesundheitsökonomie, mhplus BKK, Ludwigsburg
  • Prof. David Matusiewicz
    Dekan und Direktor Institut für Gesundheit & Soziales, FOM Hochschule, Berlin