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Podcast BKK Gesundheitsreport 2015 – Schwerpunkt: Chronische und Langzeiterkrankungen

Interview mit Franz Knieps, Dr. Matthias Richter, Dirk Rennert (BKK Dachverband e. V.) und Prof. Dr. Holger Pfaff, Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft, Universität Köln zum Gesundheitsreport 2015 mit dem Schwerpunktthema Langzeiterkrankungen.

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Franz Knieps
Vorstand
BKK Dachverband e.V., Berlin

Dr. Matthias Richter
Referent Datenmanagement, Empirie, Analytik, IT
BKK Dachverband e.V., Berlin

Dirk Rennert
Referent Datenmanagement, Empirie, Analytik, IT
BKK Dachverband e.V., Berlin

Prof. Dr. Holger Pfaff
Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft,
Universität Köln

PFAFF
Wir erleben, dass die Bevölkerung immer älter wird. Wir wissen, dass in 20 Jahren zum Beispiel der Anteil der über 80-jährigen um 50 Prozent zunimmt und dass bei über 65-jährigen, der Anteil derjenigen, um 25 Prozent zunimmt. Die Baby-Boomer kommen ins Rentenalter. Diese ganze Lawine an Älteren muss das Gesundheitssystem bewältigen.

SPRECHER
Sie hat einen Namen, die Lawine, die auf uns zurollt. Demographischer Wandel! Holger Pfaff ist sich des drastischen Bilds, das er zeichnet, durchaus bewusst. Er ist Professor für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft an der Universität Köln. Einen Zusammenhang von Demographie und Gesundheit sieht er vor allem mit Blick auf die chronischen und Langzeiterkrankungen:

PFAFF
Das Älterwerden der Bevölkerung hat klare Auswirkungen auf die Zunahme der Langzeiterkrankungen. Der Grund ist, dass wir länger leben und dadurch können chronische Erkrankungen auch eher auftreten.

SPRECHER
Eine Einschätzung, die auch der aktuelle Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen nahe legt. Dirk Rennert, Referent für Datenmanagement und Empirie des BKK Dachverbands:

RENNERT
Unsere Prognose ist, dass chronische und Langzeiterkrankungen auch in nächster Zeit zunehmen werden, unter anderem aufgrund des demografischen Wandels, also der zunehmenden Alterung der Bevölkerung, aber auch ungünstigen Lebensstilfaktoren wie zum Beispiel ungesunde Ernährung oder zu wenig Bewegung, die dann wieder zu den großen Volkskrankheiten wie Diabetes oder Übergewicht führen.

SPRECHER
Schon jetzt geht fast die Hälfte aller Fehltage bei den beschäftigten BKK Mitgliedern auf das Konto von Langzeiterkrankungen mit einer Dauer von mehr als sechs Wochen – erklärt Dr. Matthias Richter, zuständig für die Datenerhebung des BKK Gesundheitsreports:

RICHTER
Die meisten Fehltage entstehen aufgrund von Muskel-Skelett-Erkrankungen. Darunter fallen Rücken-, Knie- und Hüftprobleme. Auf Rang zwei sind dann die psychischen Störungen. Da sind vor allem Depressionen, aber auch Angsterkrankungen. Und als drittes ist zu nennen die Atemwegserkrankung. Diese drei Erkrankungen verursachen mehr als die Hälfte aller AU-Tage. In den letzten Jahren werden immer häufiger auch Krankschreibungen aufgrund von psychischen Störungen ausgestellt. Hier haben sich in den letzten zehn Jahren die Arbeitsunfähigkeitstage mehr als verdoppelt.

SPRECHER
Salopp formuliert: Rücken ist oft, psychische Leiden dauern. Doch wer, welche Personengruppe, ist besonders von langwierigen Erkrankungen betroffen?

RICHTER
Hinter einer chronischen oder Langzeiterkrankung können sehr verschiedene Krankheiten stecken. Da sind ältere häufiger betroffen als jüngere Menschen. Stoffwechselerkrankungen wie hohe Cholesterinwerte oder Herz-Kreislauferkrankungen sind bei über 65-jährigen sehr verbreitet. Jüngere sind langzeiterkrankt oft aufgrund von psychischen Störungen. Genetische Komponenten, Lebensstil, Ernährung, Arbeitsbedingungen – das kann alles Ursache sein.

SPRECHER
Stichwort Arbeitsbedingungen. Vor allem kleinere, mittelständische Firmen weisen deutlich längere Fehlzeiten auf. Und…

RICHTER
…eine besondere Auffälligkeit finden wir bei den Postdiensten, darunter fallen Briefzusteller und Paketzusteller und im Bereich Abfallbeseitigung und Recycling. Das ist die Müllabfuhr vor allen Dingen. Gründe dafür sind zum einen sicher das Alter. Die Beschäftigten sind dort im Schnitt etwas älter. Aber auch die Arbeitsbedingungen spielen eine Rolle, zum Beispiel ein Paket, unhandlich wie es ist, in den sechsten Stock zu tragen.

SPRECHER
Tragen, Heben, dazu unter ständigem Termin- und Zeitdruck. Für Holger Pfaff, den Medizinsoziologen, einer der wesentlichen Gründe für Arbeitsunfähigkeit:

PFAFF
Es gibt aus Sicht der Arbeitswissenschaft vier Hauptgründe. Der erste Grund ist hohe Arbeitsbelastung, der zweite ist geringer Handlungsspielraum, der dritte ist wenig Belohnung im Sinne von Geld und Anerkennung und Status und der vierte ist schlechte Unterstützung, schlechtes Teamklima.

SPRECHER
Jedoch – Fehlzeiten verursachen Kosten! Und das kann kaum im Interesse von Unternehmen sein:

PFAFF
Die können je nach Firma und je nach konkreter Tätigkeit sehr unterschiedlich hoch sein. Das kann von 200 Euro am Tag bis zu 1000, 1500 Euro gehen, je nachdem wie wertvoll dieser Arbeitnehmer ist.

SPRECHER
Das Gegenmodell: Ein Zusammenwirken von Prävention und betrieblicher Gesundheitsförderung, betrieblichem Gesundheitsmanagement, an dem der einzelne Mitarbeiter selbst mitwirkt. BKK Datenexperte Dirk Rennert:

RENNERT
Gesundheitsförderung in Betrieben ist wichtig und vor allem – es wirkt! Diese muss noch intensiviert werden, vor allem in Kleinunternehmen. Was wir aber jetzt schon sagen können, dass mit jedem investierten Euro zwei Euro siebzig eingespart werden können, dadurch dass Mitarbeiter weniger fehlen.

SPRECHER
Doch griffe fehl, das Problem allein auf Seiten der Unternehmen auszumachen. Fehlende Kooperation, Interessenskonflikte – Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbands, sieht auch und vor allem das Gesundheitssystem selbst in der Pflicht.

KNIEPS
Ich sehe die hauptsächlichen Probleme darin, dass unsere gesamte Organisation auf Säulen aufgebaut ist, Hausarzt, Facharzt, Krankenhaus, Arzneimittelversorgung und nicht Patienten orientiert, als eine Art workflow organisiert. Also der Patient geht zum Hausarzt, von dort wird er überwiesen an den Facharzt. Der Facharzt informiert den Hausarzt über die wesentlichen Dinge, die er festgestellt hat und macht. Krankenhausaufenthalt wird nur nach einem Konzil mit Facharzt, Hausarzt und Patienten vorgenommen. Häufig weist der Patient sich selber ein, weil er zu lange auf einen Termin warten muss, weil er am Wochenende keinen direkten Ansprechpartner findet. Aus dem Krankenhaus erfolgt nur langsam eine Information an den Hausarzt oder behandelnden Facharzt. Es dauert Monate bis der maschinell geschriebene Arztbrief dort anläuft. Die elektronische Vernetzung zwischen den Akteuren ist nur unzureichend ausgebildet.

SPRECHER
Gesundheitsförderung, Prävention, dazu eine vernetzte Versorgung mit klarer Verantwortung und am einzelnen Patienten orientiert – nur so, sagt Franz Knieps, sei dem Teufelskreis von Krankheit, sozialem Abstieg und erneuter, folgender Langzeiterkrankung beizukommen:

KNIEPS
Ich sehe zwei Möglichkeiten den Langzeiterkrankungen entgegenzusteuern. Die erste Möglichkeit ist die deutliche Ausweitung von Gesundheitsförderung und Prävention, damit diese Krankheiten gar nicht erst entstehen, damit sie möglichst spät entstehen und damit der Verlauf nicht schnell schwierig wird. Da kann man sehr, sehr viel machen durch eine Kombination von Verhaltens- und Verhältnisprävention. Der zweite Punkt ist, wir müssen die Vernetzung der Versorgung verbessern. Es muss jemand da sein, der diese Versorgung koordiniert, der zentraler Ansprechpartner ist für den Patienten. Und der Patient muss systematisch durch das System geleitet werden und nicht spontan mal da aufschlagen, mal dort aufschlagen.

SPRECHER
Das vollständige Interview mit BKK Vorstand Franz Knieps hören Sie auf http://www.bkk-dachverband.de/presse/audiobeitraege/interview-franz-knieps-bkk-gesundheitsreport-2015/

Interview mit Franz Knieps, Dr. Matthias Richter, Dirk Rennert (BKK Dachverband e. V.) und Prof. Dr. Holger Pfaff, Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft, Universität Köln zum Gesundheitsreport 2015.