Gesundheit und Politik

Alles neu? E-Rezept im Praxis-Check

von Natalie Kohzer

Im Juli 2021 endete eine langjährige Ära. Das rosa Rezept für Arzneimittel wird ersetzt durch die elektronische Verordnung, das eRezept. Seit gut 60 Jahren verordnen Ärztinnen und Ärzte Arzneimittel auf dem rosa Rezept. Mit kleinen Schritten geht es in die Umstellung, bevor sich der neue „Supertanker“ auf den Weg macht.
Der BKK Dachverband macht den Praxis-Check. Wie verändert das eRezept die Versorgung der Patienten und Patientinnen? Wir begleiten Familie Muster auf diesem Weg.

ältere Frau sieht auf Handy, neben ihr Blutdruckgerät und Tabletten

Familie Muster erhält regelmäßig Arzneimittel. Ilse Muster ist 84 Jahre alt. Ihre Ärztin verordnet ihr einen bunten Pillenmix. Der Gedanke an das eRezept erfüllt sie mit Sorge. Das Smartphone ist ihr fremd, auch wenn ihr Enkel Jan ihr den Umgang schon oft erklärt hat. Ihre Tochter Ute Muster ist fast genauso alt wie das rosa Rezept. Sie geht mit ihren 59 Jahren gerne in die Apotheke. Sie schätzt die persönliche Beratung vor Ort. Ute ist skeptisch, wie das eRezept funktionieren wird, möchte es aber gerne ausprobieren. Jan (23) dagegen freut sich auf die Einführung. Endlich läuft alles elektronisch. Auch wenn er nur ein einziges Arzneimittel dauerhaft einnimmt, wird es mit der digitalen Umsetzung komfortabler. Er begrüßt auch den Umweltaspekt. Pro Jahr werden ungefähr 450 Mio. Papierrezepte ausgestellt. Würden alle rosa Rezepte eines Jahres aneinandergelegt, umspannt die Kette eineinhalb Mal den Erdball.

Familie Muster in der Arztpraxis

Ute benötigt ein neues Rezept für ihre Arzneimittel, die sie dauerhaft einnimmt. Ihre Ärztin, Frau Dr. Dok, wählt die Arzneimittel in ihrem Computer aus. Die Praxissoftware erstellt das eRezept automatisch. Frau Dr. Dok signiert das eRezept mit einem speziellen Ausweis, dem digitalen Heilberufeausweis. Diese besondere Signatur entspricht ihrer Unterschrift auf dem rosa Rezept. Den Unterschied bemerkt Ute leicht. Frau Dr. Dok hat heute mehr Zeit für Ute als sonst. Sie kann sich dadurch ganz auf die medizinische Betreuung konzent- rieren. Die Ärztin läuft nicht wie üblich zum Drucker, um das rosa Rezept zu unterschreiben. Alle zeitraubenden Formalitäten sind per Knopfdruck erledigt. eRezepte werden in der Arztpraxis automatisch auf Vollständigkeit der erforderlichen Angaben überprüft. Das ist auch ein Vorteil für Frau Dr. Dok.

Am Ende bekommt Ute einen Ausdruck in die Hand. Dieser sieht anders aus als das rosa Rezept. Der Ausdruck enthält mehrere QR-Codes, die jeweils einen Rezeptcode verschlüsseln. Den QR-Code kennt Ute von ihrem Bahnticket. Insgesamt können bis zu vier Codes aufgedruckt sein. Hinter dem etwas größeren Code in der oberen rechten Ecke sind alle Arzneimittelverordnungen von Ute verschlüsselt. Jeder kleinere QR-Code im unteren Bereich des Zettels steht für jeweils das einzelne Arzneimittel. Ein kleiner Text beschreibt den Namen des Arzneimittels und leicht verständliche Dosierungshinweise. Diese Kurzfassung zeigt Ute auf einen Blick die wichtigsten Angaben. Ute erkennt ihre drei Tabletten wieder. Die Unterschrift von Frau Dr. Dok ist nicht mehr erforderlich, denn das eigentliche elektronische Rezept ist im Gesundheitsnetzwerk sicher gespeichert.

Jan gefällt die neue Arbeitsweise der Ärztin gut. Er hat sich zu Hause schon die eRezept App auf sein Smartphone geladen. Er sieht in der App sofort, was Frau Dr. Dok ihm verordnet hat. Zur Sicherheit lässt er sich beim ersten Mal noch einen Papier-Ausdruck mit dem QR-Code mitgeben. Beim nächsten Mal vertraut er alleine auf die App.

Muster Ausdruck zur Einlösung eines E-Rezeptes

Die Ärztin bietet ihm sogar statt eines nächsten Besuchs in der Praxis eine Videosprechstunde an. Dann spart er sich den Weg, denn sein neues eRezept aus der Videosprech- stunde kann er umgehend in der App abrufen.

Ilse hat bereits von ihrem Enkel erfahren, was die neue Technik alles möglich macht. Sicherheitshalber bittet sie die Ärztin doch noch um ihr gewohntes rosa Rezept. Auch das ist bis Ende des Jahres möglich.

Familie Muster in der Apotheke

Sobald Jan die Arztpraxis verlässt, schickt er über die App eine Anfrage an drei Apotheken seiner Wahl. Er wählt die Apotheke aus, die als erste bestätigt, dass seine Arzneimittel für  ihn vorrätig sind. Mit einem Knopfdruck in der App erlaubt er der Apotheke, das Rezept für ihn vorzubereiten. Per  Chatfunktion teilt ihm die Apotheke die konkrete Uhrzeit mit, wann  er das Arzneimittel abholen kann. In der Zwischenzeit konnte die Apotheke mit der Ärztin eine Rückfrage zum Rezept klären. Mit dem Fahrrad holt  Jan  sein Arzneimittel  auf  dem Weg  zur Uni ab. Die Apothekerin Frau Apo hat zuvor alles vorbereitet und Jan ist schnell auf dem Weg in die Vorlesung.

Jan findet die App super praktisch. Beim nächsten Mal kann er der Apotheke über die Chat Funktion mitteilen, dass seine Mutter das Arzneimittel für ihn mitbringen wird. Außerdem könnte er sich seine Kopfschmerztabletten gleich dazu legen lassen.

Jan kann aber auch mit der App in der Apotheke direkt den QR-Code vorzeigen und einscannen lassen. Vorab wird er zur Sicherheit den Rezeptcode in der App auf das Smart- phone laden, falls es einen schlechten Internetzugang gibt. So stehen die eRezepte auch dann zur Verfügung, wenn das World Wide Web mal ruckelt.

Als zusätzlichen Service stellt die Apotheke ihre weiteren Dienstleistungen in der App dar. Dazu gehört der Botendienst nach Hause. Jan denkt an seinen gebrochenen Fuß im letzten Jahr. Eine Lieferung nach Hause wäre ziemlich praktisch gewesen. Versandapotheken dürfen auch die Lieferung mit der Post anbieten.

Ute ist mit ihrem Ausdruck in ihre Lieblingsapotheke gegangen. Der QR-Code wird mit einem Scanner eingelesen. Ute hat schon oft beobachtet, wie viel Zeit mit dem Lesen  des rosa Rezepts verwendet wurde. Durch die digitale Übermittlung können nun Missverständnisse durch unleserliche Rezepte vermieden werden. Zukünftig ergeben sich deutlich weniger Rückfragen in den Arztpraxen. Die Apotheke kann sich mehr Zeit für die pharma- zeutische Beratung von Ute nehmen.

Was passiert in der Apotheke im Hintergrund?

Nach der Übermittlung des Rezeptcodes über die App oder dem Einscannen des QR-Codes vor Ort wird das Rezept auf „in Belieferung“ gestellt. Der Rezeptcode kann in keiner anderen Apotheke parallel abgerufen werden. Dieses verhindert eine Doppel- bzw. eine Mehrfachversorgung und dient somit der Patientensicherheit. Damit ist es auch nicht möglich, eine Kopie des in Papier vorliegenden eRezeptes mit den QR-Codes vorzulegen. Die Apotheke erkennt sofort, dass das eRezept bereits in einer anderen Apotheke eingelöst wurde.

Steht das Rezept auf „in Belieferung“, findet die Apotheke auf dem eRezept weitere für sie relevante Hinweise. Zum Beispiel, ob ein Arzneimittel gegen ein anderes Arzneimittel ausgetauscht werden darf. Sie berät und händigt Jan sein Arzneimittel aus. In diesem Moment wird das eRezept zur Abrechnung vorbereitet. Dafür muss auch die Apotheke die Abgabe elektronisch signieren. Der Rezeptcode ist „entwertet“ und wird mit der Krankenkasse abgerechnet.

Auch ist für die maximale Flexibilität für Ute gesorgt. Legt sie ihren Zettel mit mehreren QR-Codes in der Apotheke vor, muss sie nicht alle dort einlösen. Jeder Code kann auch  zu einem späteren Zeitpunkt in einer anderen Apotheke verwendet werden. Auch ist Ute nach dem Einscannen eines QR-Codes frei, sich doch für eine andere Apotheke zu entscheiden. Hat zum Beispiel ihre ein wichtiges Arzneimittel nicht da, kann der QR-Code von der Apotheke in den Ursprungszustand zurückgesetzt werden. Ute holt sich dann das Arzneimittel in einer anderen Apotheke.

Ebenso ist es möglich, das elektronische Rezept zu löschen. Dies kann Jan in der App selber tun oder Ute bittet ihre Arztpraxis oder Apotheke darum.

Weiterer Nutzen für Familie Muster

Mit dem eRezept ist die Anwendung von weiteren, für die Patienten vorteilhaften Anwendungen möglich. Apotheken werden die Daten in den (elektronischen) Medikationsplan übertragen. So kann die Apotheke alle verordneten Produkte von Ute darauf prüfen, ob sie untereinander verträglich sind und hilfreiche Einnahmehinweise geben.

Alle Informationen zu den verordneten Arzneimitteln können auch in die elektronische Patientenakte (ePA) übertragen werden. Jan hat die ePA schon angelegt. Nach und nach wird er sie mit allen wichtigen Angaben aus den Arztpraxen und Apotheken füllen. Auch wird er seine privat gekauften Arzneimittel erfassen. So hat er immer alle seine Gesundheitsdaten zur Hand und wichtige Informationen gehen nicht verloren. Jan kann denjenigen Akteuren im Gesundheitswesen gezielte Informationen zur Verfügung stellen, denen er den Zugriff erlauben möchte.

Kommt bei der Einführung nun (endlich) Fahrt auf?

Die Einführung und Nutzung des eRezepts ist ein Meilenstein in der Digitalisierung. 60 Prozent der Bevölkerung sehen ein deutliches Plus für die Umwelt, so eine Umfrage. Gut 2.300 Bäume bleiben jedes Jahr erhalten. Vor der Technik scheuen aber viele zurück. Vorteile werden beim Ausstellen von Folgeverordnungen gesehen. Positiv wird auch das leichte Versenden des eRezeptes über die App bewertet. Apotheken, wie auch Versandapotheken werden schnell erreicht. Apotheken fürchten aber genau das. Aus ihrer Sicht ist es zu einfach, eRezepte in den (meist ausländischen) Versandhandel zu schicken. Sie sehen ihren Standort vor Ort in den Regionen geschwächt. Und die Ärzte sind skeptisch. Jede fünfte Praxis setzt auch heute noch auf das Fax als Kommunikationsmedium. Die positiven Aspekte in der Versorgung liegen aber auf der Hand. Prozesse werden verschlankt. Ärztinnen und Apotheker können sich mehr Zeit für die medizinische und pharmazeutische Betreuung nehmen.

Jan drückt die Daumen dafür, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Digital Natives wie er fühlen sich in der digitalen Welt wohl und werden ihre Ärztinnen und Ärzte vom eRezept überzeugen. Bei Ilse wird Jan mithelfen. Sie wird ab dem nächsten Jahr mit dem Papierausdruck des eRezepts gut zurechtkommen, bis sie sich mit dem Smartphone auskennt.

Kontakt

Natalie Kohzer
Referentin Arzneimittel

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