Gesundheit & Politik

Die Stimme der digitalen Gesundheit

Von Professor David Matusiewicz, Dekan und Institutsdirektor FOM Hochschule

Prof. Dr. David Matusiewicz, bei Erscheinen dieses Magazins gerade 40 Jahre alt geworden, beschäftigt sich sein halbes Leben mit der Schnittstelle von Digitalisierung und Gesundheit. Er gilt als einer der digitalen Pioniere, hat sich in der DACH-Region einen Namen gemacht und ist LinkedIn Top Voice für Digital Health. Ein Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Praxis, zwischen etablierten Entscheidern sowie Startups und zwischen verschiedenen Generationen. Für uns erzählt der Mentor der BKK young talents seine beeindruckende Erfolgsgeschichte.

Porträt von Professor David Matusiewicz, Dekan und Institutsdirektor FOM Hochschule

Geboren 1984 – im Jahr der gleichnamigen Dystopie von George Orwell – in einer Kleinstadt in der Nähe von Kattowitz.

Ich stamme aus einer Goldschmiedefamilie. Drei Jahre nach meiner Geburt zogen meine Eltern in einem Fiat 126p mit allem, was nicht verkauft wurde, in die Kleinstadt Oer-Erkenschwick am Nordrand des Ruhrgebiets. Als Arbeiterkind kämpfte ich mich durch die Schule, war auf dem Gymnasium versetzungsgefährdet, schaffte das Abitur. Danach Zivildienst, mit einer besonderen Aufgabe, die meinen beruflichen Werdegang prägen sollte. Nennen wir ihn hier Jörg. Schwerstbehindertenbetreuung: Jeden Morgen den Computer von Jörg hochfahren und ihn zu Fuß im Rollstuhl zur Diakonie Behindertenwerkstatt in Datteln schieben. Dort wurde Jörg nicht betreut, er arbeitete im Controlling einer psychiatrischen Einrichtung der Diakonie. Mit dem Mundstab und damals schon mit der Spracherkennung Dragon-Dictate. Gemeinsam bauten wir ein HiFi-Rack, organisierten eine Enduro-Classics-Motorradrallye. Ich war sein letzter Zivi, danach hätte Jörg mit 40 Jahren ins Altersheim umziehen müssen. Doch er gründete eine Ich-AG, ein sogenanntes Assistenzmodell, bei dem er als Arbeitgeber Personal einstellt, mit dem Unternehmenszweck seiner eigenen Teilhabe an der Gesellschaft. Jörg war einer der ersten in Deutschland, dem das gelungen ist.

Vom Arbeiterkind zum Professor

Von der Kirchenzeitung über die Tankstelle, wo ich stundenlang, während andere schliefen, die Kühltruhe mit Bier und Alkopops eingeräumt, Zeitschriften sortiert oder nachts zwischen den Zapfsäulen die Mülleimer geleert habe, bis hin zum Verteilen von mehreren tausend Werbezetteln am Wochenende, habe ich schon viele bessere und schlechtere Minijobs gehabt – das hat mir geholfen, mich zu finanzieren. Studium an der FH Gelsenkirchen, heute Westfälische Hochschule, das damals selten gewählte Fach „Management im Gesundheitswesen“.

Promotion nur über eine Hürde: nach dem Diplom-Betriebswirt als Fachhochschulabschluss gab es keine Promotionsmöglichkeit ohne vorher den Master an einer Universität zu haben. Alle Professoren sagten mir damals, dass es nicht möglich sei. Also hinsetzen, Briefe schreiben: Initiativbewerbungen auf Promotionsstellen an Lehrstühlen in Deutschland und den Nachbarländern. Von den meisten habe ich bis heute keine Antwort erhalten, von wenigen freundliche Absagen. Nur eine einzige Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Von einem Prof. Dr. Jürgen Wasem am Lehrstuhl für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen.

Der Professor stellte Fragen zu meiner Diplomarbeit über die Europäisierung des Gesundheitswesens und fragte, ob ich das Statistikprogramm SPSS kenne. Ich nickte damals, obwohl ich zum ersten Mal von diesem Statistikprogramm hörte. Ich bekam die ersehnte Doktorandenstelle. Bei Prof. Dr. Tobias Kollmann, Inhaber des Lehrstuhls für Digital Business und Digital Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen, konnte ich viel lernen und mit dem renommierten Gesundeitsökonomen Jürgen Wasem mit großen Datenmengen (Routine- und Sekundärdaten) in der Versorgungsforschung arbeiten. Wir nannten das damals noch nicht Big Data, nicht einmal auf einschlägigen Konferenzen. Das Thema hat damals nur ein paar Nerds interessiert. Die Server der Universität gingen wegen der großen Datenmengen regelmäßig in die Knie.

Weil das Geld knapp war und die Verträge kurz, Frage bei einer mit der Uni kooperierenden BKK, was das Controlling einer Krankenkasse eigentlich macht. Daraus wurden 7 Jahre als nebenberuflicher Controller in einer Stabsstelle des Vorstandes bei der Novitas BKK. Schwerpunkt: die Konzeption, Implementierung und Pflege der Balanced Scorecard, ein datenbasiertes Managementcockpit. Meine Promotion war eine der schnellsten am Lehrstuhl, denn meine Drittmittelstelle konnte alle paar Monate wieder in Frage gestellt werden. Das Thema „Epidemiologie und Versorgungssituation von Kindern und Jugendlichen mit Psoriasis in Deutschland“, eine Studie auf der Basis von 6,7 Millionen Versichertendaten, das ist auch heute noch ein sehr großer Datensatz, weshalb die Studie auch international bis heute zitiert wird. Nach einem Jahr als Postdoc dann raus in die weite Welt.

In meinem Fall nur wenige hundert Meter, in die FOM Hochschule, die damals größte Hochschule Deutschlands. Geldmangel, daraus folgende Berufserfahrung außerhalb der Hochschule und eine Affinität zum Publizieren fügten sich zum Vorteil für die nächste Stufe: Mit 30 Jahren Professor für Medizinmanagement, kurze Zeit später Dekan für den Hochschulbereich Gesundheit und Soziales der FOM und damit damals der jüngste Dekan Deutschlands. Wenig später Direktor des Instituts für Gesundheit und Soziales, das heute über ein siebenstelliges Drittmittelvolumen verfügt. Das Arbeiterkind hatte es geschafft.

Das Buch als postdigitales Produkt

„Zukunftsperspektiven der Gesundheitswirtschaft“ – mein erstes Buch, veröffentlicht 2012. Viele der Themen sind leider auch heute noch Zukunft: Frauen in Führungspositionen, flächendeckende Telemedizin, personalisierte Medizin. Das Buch „Die Digitale Transformation im Gesundheitswesen“ war im Jahr 2017 eines der ersten umfassenden Bücher zum Thema mit dem Untertitel: „Zwischen etabliertem Stillstand und disruptiven Sprüngen“. Weitere Titel, wie „Digitale Gesundheitskompetenz“ spielen bei Ausschreibungen der Krankenkassen eine große Rolle, ebenso wie das Thema DiGA – Digitale Gesundheitsanwendungen, 2021. Das bisher am weitesten verbreitete Buch ist übrigens „Management im Gesundheitswesen (für Dummies)“. „Der smarte Patient“, gemeinsam mit Prof. Dr. Jochen A. Werner geschrieben, wendet sich mit Kurzgeschichten an den „Normalbürger“: Raus aus der Gesundheitsblase. Ein Buch ist für mich ein gedrucktes Netzwerk. Menschen, die etwas zu sagen haben, eine Bühne geben. Themen mit 10x Geschwindigkeit publizieren. Deshalb gibt es jetzt auch das Magazin 10xD, das sich ausschließlich mit Digital Health beschäftigt. Die Firma 10xD, die für Digitale Medizin steht, ist Plattform für Digital Health und organisiert kleine Formate für ausgewählte Experten, wie das KI Innovationsforum, und große Events, wie das BIG BANG HEALTH Festival, das dieses Jahr im Herbst mit 5.000 Teilnehmern in Berlin stattfinden wird.

Praktikant im Gesundheitswesen

Seit 10 Jahren bin ich jetzt Professor und Dekan am Hochschulbereich Gesundheit & Soziales und leite als Direktor das Forschungsinstitut für Gesundheit & Soziales (ifgs). An der FOM habe ich zahlreiche Unternehmen gegründet, wie das Start-up dubidoc, an dem ich heute noch einen Mini-Anteil halte. Als Gesellschafter des Essener Forschungsinstituts für Medizinmanagement (EsFoMed) habe ich noch lange die jährliche Leitkonferenz „Morbi-RSA Symposium“ mit organisiert. Für PwC übernahm ich die Leitung der Studie „Stresstest für Krankenkassen: Wer besteht gegen Startups und Tech-Giganten? Szenarien und Handlungsoptionen für die GKV im Jahr 2030“. Der Gesetzlichen Krankenversicherung bin ich treu geblieben.

Um die Perspektiven der einzelnen Akteure wirklich zu verstehen, sollte jeder ein Trainee-Praktikum im Gesundheitswesen machen. Das mache ich gerade: ein mehrwöchiges Praktikum in einer Apotheke, um die Organisation im Detail zu verstehen, denn bald erscheint mein Springer-Sammelband ZUKUNFT Apotheke, in dem es um die hybride Versorgung geht. Bleiben wir nicht im Elfenbeinturm sitzen, sondern gehen wir immer wieder an die Basis, um dort zu lernen!

Purpose, Impact und Motivation

Im Kontext von Digital Health gibt es von Natur aus einen Purpose und einen Impact. Der Zustand des Gesundheitswesens betrifft jeden der 83 Millionen Menschen in Deutschland und es gibt enormen Handlungsbedarf (Demografie, Fachkräftemangel, Kosten, Fortschritt, Digitalisierung), damit sich in der Versorgungspraxis etwas ändert. Von meinem Zielbild einer präventiven, personalisierten und digital vernetzten Gesundheitsversorgung sind wir noch weit entfernt.

Es gibt noch viel zu tun und es wird noch viele neue Bücher geben. Was bewirkt ein Buch? Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass ein Buch heute noch die Welt verändern kann, schon gar nicht ein Fachbuch, aber es kann Impulse geben. Den berühmten Flügelschlag des Schmetterlings bestenfalls: Es ist nicht vorhersehbar, wie sich beliebig kleine Veränderungen der Anfangsbedingungen eines Systems langfristig auf die Entwicklung des Systems auswirken. Aber es wird sich etwas bewegen.

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