Nachhaltigkeit fand im deutschen Gesundheitswesen lange Zeit kaum Beachtung. Über die Diskussionen zum Klimawandel erhält das Thema endlich Einzug in den gesundheitspolitischen Diskurs.
Klima und Gesundheit
Der BKK Dachverband treibt die sozial-ökologische Transformation des Gesundheitssystems aktiv mit voran, denn:
- Soziale Faktoren und Gesundheit sind untrennbar miteinander verbunden. Unsichere Wohn- und Arbeitsbedingungen, Alter und begrenzte finanzielle Mittel setzen bestimmte Bürgerinnen und Bürgern einem höheren Risiko aus, insbesondere im Kontext des Klimawandels.
- Wir werden immer älter, verbringen aber auch mehr Zeit in Krankheit. Die Krankheitskosten steigen und ein Großteil der Krankheitslast steht im Zusammenhang mit Lebensstil, Umwelt- und Klimafaktoren. Neue Gesundheitsrisiken durch die Klimakrise verschärfen das Problem. Und auch das deutsche Gesundheitssystem trägt mit mehr als 6 Prozent zunehmend zu deutschen Treibhausgasemissionen bei und verbraucht heute zirka 80 Prozent mehr Ressourcen, als noch vor 30 Jahren.
- Eine nachhaltige Perspektive ist von entscheidender Bedeutung für die gesundheitliche Versorgung zukünftiger Generationen. Ressourcenschonung und Eindämmung des Klimawandels sind daher unerlässlich.
Die gesetzlichen Krankenkassen tragen auch Verantwortung für notwendige Anpassungen im Gesundheits- und Pflegesystem. Kooperationen, die über sektorale Grenzen hinwegdenken und den Wandel gemeinsam vorantreiben, sind dabei essenziell.
Aus diesem Grund sind folgende Schritte zu gehen:
- Schaffung eines rechtlichen Handlungsrahmens: Anpassungen im Klimaschutzgesetz & SGB (I; IV; V; XI)
- Prävention als Hebel für Nachhaltigkeit in allen Dimensionen: Anreize, sektorenübergreifend, kooperativ, digital
- Eine sozialverträgliche Finanzierung durch Neuausrichtung und Anschubfinanzierung
- Mit Bildung zu mehr sozial-ökologisches Handeln im Gesundheitswesen: Nachhaltigkeit und Klimaschutz in allen Ausbildungen der Gesundheitsberufe verankern
Schaffung eines rechtlichen Handlungsrahmens
1. Aufnahme im Bundes- Klimaschutzgesetz (KSG)
In ihrer Vorbildfunktion sind auch die Träger öffentlicher Aufgaben, wozu die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen zählen, mit dem Ziel, bis 2030 klimaneutral zu sein, in den § 15 Bundes-Klimaschutzgesetz aufzunehmen. Bisher bezieht sich diese Regelung ausschließlich auf Behörden des Bundes und sonstige Bundeseinrichtungen, wenn sie der unmittelbaren Organisationsgewalt des Bundes unterliegen.
2. Verankerung der sozial-ökologischen Nachhaltigkeit im SGB
Eine bloße Nennung des Begriffs der „Nachhaltigkeit“ in den Sozialgesetzbüchern V und XI ohne einen Bezug zur sozial-ökologischen Dimension oder eine Erweiterung zum Wirtschaftlichkeitsgebot ist wenig zielführend. Stattdessen sind zudem allgemeingültige Kriterien und Standards zur sozial-ökologischen Nachhaltigkeitserfüllung unter den Aufgaben des Sozialgesetzbuches in § 1 SGB I zu definieren, um übergreifend Wirkung zu erzeugen. Nur so können zielgerichtete Standards und Instrumente für eine sozial-ökologisch ärztlich und stationäre Versorgung, Pflege sowie Versorgung mit Arznei- und Hilfsmitteln geschaffen werden.
- Die Industrie nutzt bereits erfolgreich ESG (Environmental, Social, Governance)-Kriterien als Maßstab für Qualität in den Bereichen Klima- und Umwelt, Soziales sowie verantwortungsvolle Unternehmensführung. Eine Übertragung und Anpassung der ESG-Kriterien auf die Sozialversicherung ist zu prüfen.
3. Verwaltungshandeln der Krankenkassen auf sozial-ökologische Nachhaltigkeit ausrichten
Um ökologisch nachhaltiges Verwaltungshandeln in den Krankenkassen zu ermöglichen, braucht es eine rechtliche Anpassung des ökonomischen Krankenkassenhandelns:
- Dazu ist die Erweiterung der ökonomischen und der Qualitätsdimension um die sozial-ökologische Nachhaltigkeit in § 4 Abs. 4 SGB V (Krankenkassen) und § 12 Abs. 2 SGB V (Wirtschaftlichkeitsgebot) sowie § 29 Abs. 1 SGB XI (Wirtschaftlichkeitsgebot) unabdingbar.
Prävention als Hebel für Nachhaltigkeit in allen Dimensionen
Frühzeitige und gezielte Interventionen für Prävention, Resilienz und Gesundheitsförderung machen die Versorgung insgesamt nachhaltiger. Geringere Patientenzahlen durch vermeidbare Krankheiten, weniger Arztkontakte und stationäre Aufenthalte nehmen den Druck auf das Personal im Gesundheitswesen und führen zu weniger Emissionen und Ressourcen-verbrauch im Gesundheitswesen.
1. Anreize schaffen
Der Schwerpunkt der Versorgung und damit der Finanzierung liegt auf kurativen gerätebasierten Leistungen, während für Prävention, Gesundheitsförderung und Primärversorgung deutlich weniger Ressourcen aufgewendet werden. Statt entstandene Erkrankung durch ressourcenintensive, kostspielige und mit Leid für die Patienten verbundene Behandlung zu kurieren, muss alles daran darangesetzt werden, Anreize im Finanzierungssystem zu schaffen, die die Entstehung von Krankheiten und deren Chronifizierung sowie Über- und Unterversorgung zu vermeiden helfen.
2. Sektorenübergreifend denken
Gesundheitsförderung und Versorgung sind stärker miteinander zu verbinden und nachhaltige Projekte zur Förderung sozial-ökologischen Verhaltens von Versicherten zu fördern: Dazu sind SGB-übergreifende Lösungen zu ermöglichen. Entsprechend müssen sowohl Modellvorhaben im Rahmen des § 20 g SGB V als auch neue Versorgungsformen nach § 140a SGB V weiter gefasst werden. Dabei müssen die Aufwendungen für derartige Kombinationsleistungen der Krankenkassen auf die Mittel nach § 20 Absatz 6 SGB V angerechnet werden können.
Darüber hinaus ist eine gesundheitsbezogene Klima- und Umweltkom-petenz durch den in § 1 SGB V formulierten Beratungsauftrag der Krankenkassen durch eine eigenständige Regelung analog des §20k SGB V zu er-weitern.
3. Kooperativ handeln
Das vom Bundesministerium für Gesundheit in seinem Sachreicht der Bestandaufnahme ReKlimaMed (Ressourceneffizienz, Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen) geforderte Einsetzen eines Gremiums mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Politik, Wissenschaft und den Verbänden der Bereiche des Gesundheitswesens unterstützen wir sehr. Folgende Anmerkungen sind beim Einsetzen des Gremiums zu beachten:
- Das Gremium ist noch in diesem Jahr einzuberufen
- Vertreterinnen und Vertretern der GKV sind zu beteiligen
- Dabei sind Klimaschutz- und Klimaanpassung beiderseits in folgenden Bereichen zu berücksichtigen
4. Digitalisierung stärken
Daten der GKV können schon heute regionale Klimarisikoanalysen unterstützen, um evidenzbasierte Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzepte zu entwerfen. Es braucht zeitnah adäquate Datennutzungskonzepte, um fehlende Daten zu erheben und Daten für individuelle Empfehlungen nutzbar zu machen.
Die Digitalisierung bietet zudem ökologische Vorteile. Am Beispiel des eRezept zeigt sich das bis zu 700 Millionen Papierzettel im Jahr oder durch die elektronische Kommunikation und digitale Versorgungsstrukturen, Wegstrecken und damit Emissionen eingespart werden.
- Stärkung der digitalen Versorgung für sozial-ökologische Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen
- Entwicklung einer klima- und umweltfreundlichen digitalen Infrastruktur im Gesundheitswesen (Green-IT).
- Förderung KI-gestützter, personalisierter Diagnostik durch Analyse individueller Gesundheitsdaten.
Eine sozialverträgliche Finanzierung
Klimaneutralität und ökologische Nachhaltigkeit sind als neue Zielstellungen im Gesundheitswesen angekommen. Eine sozialverträgliche Finanzierung für nachhaltige Projekte und Infrastruktur ist nun elementar, um eine erfolgreiche Transformation hinzu einem sozial-ökologisch nachhaltigen Gesundheitswesen für Alle zu schaffen.
Was braucht es für eine Anschubfinanzierung:
- Niedrigschwellige und kurzfristige Förderangebote
- Kontinuierliche Förderungen aus dem Innovationsfonds für sozialökologisch-nachhaltige Projekte im Gesundheitswesen
- Der Klima- und Transformationsfonds (KTF) der Bundesregierung ist für den Transformationsprozess im Gesundheitswesen öffnen
Mit Bildung sozial-ökologisches Handeln im Gesundheitswesen verankern
Alle Gesundheitsberufe einschließlich des Ehrenamtes sowie insgesamt alle Nutzende müssen auf die gesundheitlichen Folgen von Klimaveränderungen reagieren und gleichzeitig selbst klimaschützend agieren können. Dafür sind Kenntnisse und Kompetenzen zur ökologischen Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen in bestehende Ausbildungs- und Weiterbildungsstrukturen zu verankern. Multiplikatorinnen und Multiplikatoren können so eine Sensibilisierung der Bevölkerung innerhalb ihrer Lebenswelten durch zielgruppenspezifische Aufklärung und Kompetenzentwicklung fördern.
Kontakt
Martin König
Leitung Stabsstelle Nachhaltigkeit
- +49 30 2700 406 - 202
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Martin König verantwortet seit dem 1. Januar 2024 die Stabsstelle Nachhaltigkeit. Der Diplom-Gesundheitswirt und Sozialversicherungsfachangestellte verfügt über umfangreiche und langjährige Expertise im Programm- und Projektmanagement sowie in den Themenfeldern digitale Transformation. Zuvor hat er in der Abteilung Gesundheitsförderung, Pflege und Rehabilitation des BKK Dachverbandes das digitale Präventionsprodukt Mein Phileo vorangetrieben. Vor seiner Tätigkeit beim BKK DV verantwortete er Bereiche des Betrieblichen Gesundheitsmanagements in einem international tätigen Konzern und das Geschäftsstellenmarketing einer Betriebskrankenkasse.