BKK Dachverband fürs Ohr

Die Politik muss sich fragen, was sie langfristig will!

Ein Interview mit Franz Knieps

Die Politik mus sich fragen, was sie langfristig will! Ein Gespräch mit Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbandes, über seine Erwartungen an neue Bundesregierung, die digitale Transformation im Gesundheitswesen, die zukünftige Rolle der Krankenkassen und die Beschäftigten in der Pandemie.

Mikrofon mit Audio-Peak-Level

SPRECHER: Seit einigen Wochen ist die neue Bundesregierung im Amt. Und sie hat sich viel vorgenommen. Angetreten ist sie mit einem Gesundheitsminister, der Partei übergreifend als Wunschkandidat gilt. Aber was wünschen sich eigentlich die Menschen von der Gesundheitspolitik der neuen Regierung?
Das frage ich Franz Knieps. Er ist Vorstand des Dachverbands der Betriebskrankenkassen.
Herr Knieps, das Wirken gesetzlicher Kassen ist eng mit dem politischen Willen, dem Staat als Gesetzgeber verbunden. Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?

Franz Knieps: Meine Erwartungen sind nicht so hoch. Ich möchte nicht, dass wieder Dutzende von Gesetzen gemacht werden, Dutzende von Verordnungen gemacht werden, die oft nur eine Halbwertszeit von Tagen oder Wochen haben. Ich wünsche mir von einer neuen Regierung, dass sie mal innehält und sagt, was wollen wir eigentlich politisch längerfristig erreichen. Man nennt das neudeutsch ‚Ordnungspolitik‘. Also eine gewisse Klarheit, welche Ziele hat diese Regierung und woran misst sie, ob diese Ziele erreicht werden. Ich bin von Hause aus Jurist, da müsste man meinen, dass Juristen das kleinteilige Gesetze-machen lieben. Ich halte aber diesen Weg für falsch. Ich glaube, wir brauchen weniger Regulierungsmenge und eine geringere Regulierungsdichte. Ich bin nahezu süchtig danach, Spielräume für Innovationen und Experimente zu bekommen, denn das altehrwürdige Gesundheitssystem ist in die Jahre gekommen und muss den Herausforderungen angepasst werden. Deshalb hat für mich absolute Priorität, integrative Leistungserbringung zu fordern und zu fördern und digitale Transformation zu beschleunigen und auch in den eigenen Reihen dafür zu werben, sich auf diese digitale Welt einzustellen.

SPRECHER: Sie sprechen von Spielräumen und betonen dabei den digitalen Wandel der Arbeitswelt – für Sie eher Chance oder Problem?

Franz Knieps: Also das Glas ist für mich immer halb voll. Das kriegt man in die DNA des Rheinländers schon mitgegeben. Von daher überwiegen für mich die Chancen, die die digitale Transformation bietet. Im Übrigen ist sie auch nicht aufzuhalten. Also wenn man wie die Ärzte mal ein Jahr Pause von der digitalen Transformation fordert, dann kann man auch sagen, das schlechte Wetter soll mal ein Jahr lang wegbleiben oder es soll ein Jahr lang Sommer bleiben in Berlin. Für mich ist das so ein bisschen das Anbellen des Mondes. Man muss wachsam sein, man muss sensibel sein für die Gefahren, die digitale Angebote, digitale Leistungen, digitale Veränderungen mit sich bringen, aber man muss die Potenziale ausschöpfen. Und da können wir noch deutlich zulegen.

SPRECHER: Sie sagen „die Potenziale ausschöpfen“. Entsprechend fordern Sie auch eine Neubestimmung der Rolle von Krankenkassen. Was dürfen wir darunter verstehen?

Franz Knieps: Es ist der alte Spruch vom Payer zum Player zu werden, also vom Finanzamt zur gestaltenden Institution im Gesundheitswesen zu werden. Der Gesetzgeber hat uns so viele Aufgaben gegeben, wo wir unsere Versicherten unterstützen sollen, wie wir Leistungsprozesse im Gesundheitswesen organisieren sollen. Und das verlangt eine andere Rolle als das klassische Sozialversicherungsgeschäft, nämlich Beiträge einzuziehen und sie an Organisationen der Leistungserbringer weiterzuleiten. Wir nehmen diese Rolle wirklich bewusst an, wir haben eine besondere Nähe zu unseren Versicherten und zu unseren Betrieben aus der Tradition heraus, aber auch gelebt durch neue Angebote. Wir sind als Betriebskrankenkassen nicht der große Tanker oder Flugzeugträger, der 15 Kilometer weiter fährt, bevor er erst einmal anhalten kann und dann einen riesigen Radius braucht, um zu wenden. Wir sind kleine, schnelle Beiboote, die sehr flexibel auf das reagieren können, was Versicherte wollen und das, was Betriebe wollen. Und dazu treten wir in einen aktiven Dialog, wir befragen die Leute. Und wir sind stolz auf unsere Selbstverwaltung, die noch direkt aus den Betrieben stammt. Das sind Betriebsräte, das sind Personalverantwortliche mit täglichem Bezug zur Praxis. Und im Dialog mit dieser Selbstverwaltung entwickeln wir unsere Angebote sehr praxisnah.

SPRECHER: Was genau ist das Neue daran?

Franz Knieps: Wir haben Projekte im Innovationsfonds mit Betrieben, mit Personalverantwortlichen, mit Betriebsräten, mit Gewerkschaften, mit Arbeitsmedizinern direkt vor Ort. Und das ist recht neu! Und das tun wir in der BKK-Gemeinschaft von über 70 Kassen gemeinsam. Wir erfinden also die Welt nicht 70 Mal, sondern wir entwickeln etwas einmal und rollen es dann aus in die Betriebe, direkt zu den Versicherten.

SPRECHER: Als Betriebskrankenkasse haben Sie traditionell einen sehr besonderen Einblick in die Arbeitswelt der Versicherten. Wie haben sich deren Arbeitsformen, deren Arbeitsbedingungen in den vergangenen Jahren verändert?

Franz Knieps: Ja, es ist ein sehr vielfältiger Prozess. Wir erleben, dass die früher scharfe Trennung zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung zunehmend ineinander übergeht. Wir erleben, dass früher die klaren und tief gestaffelten Hierarchien zunehmend aufgeweicht werden, dass diese Hierarchien ergänzt werden durch Teambildung, durch agile Arbeitsformen. Außerdem, das ist ja nicht schlecht, haben jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen anderen Anspruch an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und deshalb spielt Teilzeit eine immer größere Rolle. Die Welt der Arbeit und die Welt der Wirtschaft wandelt sich, das heißt, die frühere Situation, dass Menschen lebenslang bei einem Arbeitgeber beschäftigt sind, wird eher die Ausnahme, ein häufiger Wechsel zwischen Arbeitgebern die Regel. Und last but not least die digitale Transformation erfasst natürlich auch die Wirtschaft und das Arbeitsleben. Neue Skills werden benötigt, um digital mithalten zu können. Aber diese neuen Skills führen auch dazu, dass Entfernung und Entfremdung von der Arbeit größer werden können. Die Gliederung der Arbeit in Raum und Zeit wird zunehmend aufgeweicht. Und das kann, muss aber nicht zu Problemen führen.

SPRECHER: Entfremdung, sagen Sie. Exemplarisch dürfte die Arbeit im Homeoffice stehen. Wie sehen das die BKK Versicherten?

Franz Knieps: Wir stellen fest, dass einerseits Arbeitnehmer sehr zufrieden sind, dass sie Arbeitsort und Arbeitszeit freier wählen können als früher. Bei Umfragen sind das immer so zwischen ein Viertel und ein Drittel der Befragten. Auf der anderen Seite haben wir aber auch Leute, die an Vereinsamung leiden, die sich zu Hause eingesperrt fühlen, die zurückkommen wollen ins Büro, die die Gemeinschaft mit Kolleginnen und Kollegen vermissen. Auch da wird man davon ausgehen müssen, dass es bei rund einem Viertel der Fall ist. Je länger natürlich die Pandemie dauert, desto größer wird die Sehnsucht wieder zu Gewohntem, zu kollegialer Kooperation zurückzukehren. Man darf ja nicht vergessen, es ist ja nicht nur die Arbeit, der Betrieb ist ja auch ein sozialer Ort, wo Freundschaften stattfinden, wo gute Nachbarschaften stattfinden, wo gemeinsam etwas erarbeitet wird. Und das ist schwieriger, wenn man nur auf die Kachel des Bildschirms schaut.

SPRECHER: Sozialer Ort versus „Einsamkeit“ vorm Bildschirm. Wie lässt sich das zusammen bringen? Was können Betriebe tun, um den Zusammenhalt zu stärken?

Franz Knieps: Also das Wichtigste ist einmal diese Widersprüche auszuhalten und resilient, also widerstandsfähig, gegen solch unterschiedliche Belastungen zu werden. Das Zweite ist, in die Betriebe hineinzuhorchen, mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu sprechen. Und das dritte ist, Führungskräfte auf die Besonderheiten des Führens in einer digitalen Umwelt anzusprechen und sie entsprechend zu trainieren. Also die Flexibilität muss größer werden, aber auch die Sensibilität der Unternehmensführung muss größer werden, damit sie rechtzeitig erkennt, wo sich Belastungen zeigen, wo sich psychische Auffälligkeiten entwickeln, wo Hilferufe nur unterdrückt wahrnehmbar sind. Die Führungsverantwortung ist größer geworden.

SPRECHER: Die Sensibilität muss größer werden … wie kann das gelingen?

Franz Knieps: Das ideale Mittel ist betriebliches Gesundheitsmanagement und betriebliche Gesundheitsförderung. Die Belastungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hängt von einem guten Betriebsklima ab, hängt davon ab, ob Entscheidungsmöglichkeiten geboten werden, ob die Arbeit abwechslungsreich ist. Und da, das hat die Pandemie gezeigt, ist viel mehr möglich als früher überhaupt gedacht werden konnte. Im eigenen Haus hab ich die Erfahrung gemacht, dass die Produktivität steigt, wenn die Vielfalt steigt.

SPRECHER: Was meinen Sie damit genau?

Franz Knieps: Ja, bei Beginn der Pandemie haben einige Führungskräfte in unserem Haus befürchtet, dass sie weniger Kontakt zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben und dass sie nicht mehr quasi täglich sehen können, was passiert. Aber die digitale Arbeitsform bietet ja die Möglichkeit jeden Morgen sich zu einer kurzen Runde zusammenzuschließen. Ich persönlich hab beispielsweise fast alle Kinder meiner Mitarbeitenden kennengelernt, die früher oder später mal mit auf dem Bild waren. Und wir haben es auch lustig genommen, wenn bestimmte Dinge mal nicht so funktioniert haben und unterbrochen wurden. Insgesamt hatte ich so den Eindruck, dass der Zusammenhalt gestärkt und nicht geschwächt wurde.

SPRECHER: Herr Knieps, ich danke Ihnen für das Gespräch!