Lesen Sie hier das komplette BKK Magazin 1/2024 "Gesundheitspolitik zur Halbzeit der Legislaturperiode" online.
Editorial
Überfüllte Praxen, überlastete Notaufnahmen, Engpässe bei Medikamenten und ein vordigitales Gesundheitssystem, das weit hinter unsere europäischen Nachbarn zurückgefallen ist. Patienten, Pflegefachkräfte, Ärzte und Apotheker erleben es jeden Tag. Das deutsche Gesundheitssystem braucht wesentliche Veränderungen – oder es wird vor den Herausforderungen des nächsten Jahrzehnts kapitulieren.
In der ersten Ausgabe dieses Magazins zieht der Leitartikel eine Bilanz zur Halbzeit der Ampel und wir werfen einen Blick auf die Zeit bis zur Bundestagswahl im Herbst 2025. Aber wie müssen wir das Gesundheitssystem in der nächsten Dekade aufstellen? Können wir mit dem Blick auf das Jahr 2035 ein Zielbild entwerfen, das uns aus dem Handlungsdefizit herausholt? Ein positives Bild erreichter und erreichbarer Ziele.
Mit mehr Geld lässt sich nichts reparieren, es ist nicht mehr da. Deutschland ist globalen Verwerfungen ausgesetzt durch tektonische geopolitische Machtverschiebungen und die planetare Klimakrise. Zwei brandgefährliche Kriegsgebiete sind ein paar Flugstunden entfernt. Unsere Energiekosten gefährden die industrielle Produktion. Ausgerechnet jetzt hat die Bundesregierung das Gesundheitswesen von den oberen Plätzen der politischen Agenda geschoben. Das kann durchaus eine Chance sein, denn das Stopfen von Löchern muss jetzt abgelöst werden durch echte Strukturreformen. Typische Fehlsteuerungen müssen gestoppt werden, bevor die Situation unkontrollierbar wird. Eine Dekade als Chance, das Siche- rungsversprechen der solidarischen Krankenversicherung in die Transformation der Gesellschaft mitzunehmen.
2035 sehen wir das Gesundheitswesen als bedeutende deutsche Wirtschaftsbranche einer Wissensgesellschaft, die es versteht, aus medizinischer Innovation Wertschöpfungsketten zu schaffen. Forschungsergebnisse erreichen ohne Translationslücken die Patienten. Der Gesundheitssektor hat alle Konzepte, Prozesse und politischen Rahmenbedingungen von der Fixierung auf Krankheit und Pflegebedürftigkeit gelöst. Erhaltung und Förderung öffentlicher und privater Gesundheit wird nicht länger beschränkt durch Finanzsilos und getrennte Sozialgesetzbücher. 2035 ist Gesundheitsversorgung primär präventiv ausgerichtet.
Wir haben hoffentlich bis dahin gelernt, unseren eigenen Anteil an der Abwendung der Klimakrise zu leisten: Aus den Prinzipien der Nachhaltigkeit und einer konsequenten Health-in-all-Policy-Haltung haben wir wichtige Schlüsse für die Gesundheitspolitik gezogen. Kooperativ entwickelte Antworten auf systemische Fragen. Wir organisieren eine Kreislaufwirtschaft und übernehmen Verantwortung für eigene Lieferketten. Wir schaffen digitale Optimierung und Transparenz für Qualität, die Patienten tatsächlich erleben.
Die strategische Bedeutung von Gesundheit am Arbeitsplatz ist Basiswissen in Betrieben. Vorstände fossilfreier Industriekonzerne und mittelständischer Betriebe tauschen sich mit Vorständen von Betriebskrankenkassen und Chefs von Krankenhäusern über die besten Lösungen aus, den Energiebedarf zu reduzieren und neue Wege im Mobilitäts- und Ressourcenmanagement zu erschließen. Was wir essen, ist ein starker Klimahebel und hat enorme Wirkung auf globale Verantwortung und lokale Lösungen. Kantinen und Krankenhausküchen sind nicht nur Orte für klimagesunde Ernährung, sondern Quelle vitaler Mahlzeiten, die Gesundheit am Arbeitsplatz oder Heilung von Patienten unterstützen. Machen wir uns auf die Reise in eine gute Zukunft!
Ihr Franz Knieps