BKK Magazin

BKK Magazin 2/2023

Magazin für Politik, Recht und Gesundheit im Unternehmen

Cover BKK Magazin

#EsWirdHeiss - BKK Magazin Ausgabe 02/2023

Editorial

Die bayerischen Apotheker waren kurz vor dem Punkt, an dem sie das Ende der Welt sehen konnten. Nahezu unzumutbar seien Arbeitsbedingungen, langsam untragbar werde es für Kunden, Mitarbeiter und Inhaber, sprachen sie einem Reporter des Münchner Merkur in den Block vor dem deutschlandweiten Protesttag der Apotheken. Nahezu? Langsam? Das ist nicht der Ton, den Apotheker in der Hauptstadt oder im Netz anschlagen. Auf dem Berliner gesundheitspolitischen Parkett gilt: Nur wer öffentlich besonders laut schreit, auf die Straße geht und hart austeilt, wird offenbar von Politik und Medien gehört. Aber mussten deshalb Demonstranten gegen die Krankenhausreform Selbstverwalter des GKV Spitzenverbandes auf der Straße vor dem Verbandsgebäude anpöbeln und Prügel androhen? Wir sehen nicht nur eine Verwilderung der Sprache im Kampf um mehr Geld. Nach der Anhörung im Bundestag zum Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz sind manchen Funktionären der Apothekerlobby die Sicherungen durchgebrannt. Das Gesetz soll die Misere der fehlenden Kinderfiebersäfte zur Adventszeit und inzwischen hunderter anderer wichtiger Medikamente beheben. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat gut 490 Meldungen zu Engpässen erfasst.
Argumente der Betriebskrankenkassen, in der Parlaments-Anhörung vorgetragen vom Herausgeber dieses Magazins zur Zulässigkeit der Nullretaxierung, also der Bedingungen, unter denen eine Apotheke den Vergütungsanspruch verliert und von der Kasse keinen Cent bekommt, wurden mit einem beispiellosen Wutanfall der Apothekermedien beantwortet, flankiert von marodierenden Sturmtruppen in den sozialen Medien. Die Zahl der Kassen wurde in Frage gestellt, die Vergütung des Vorstandsvorsitzenden des BKK Dachverbands diskutiert. „BKK-Dachverband will Apotheken kontrollieren“, titelte ein Apotheker-Portal. An eine sachliche Diskussion über Arzneimittelsicherheit oder gar eine Mitwirkung der Apothekerinnen und Apotheker, um eine wirtschaftliche Arzneimittelversorgung sicherzustellen, die durch eine solidarische Krankenversicherung bezahlt wird, ist derzeit nicht zu denken. Dabei stehen nicht nur die Rabattverträge im Feuer: Die Krankenkassen erhalten derzeit gut 5,5 Milliarden Euro Rabatte pro Jahr von den Herstellern, davon rund 75 Prozent für Generika. Der Verzicht auf Nullretaxierung gefährdet mehr als vier Milliarden Euro Rabatte. Ein erheblicher finanzieller Schaden für die ohnehin defizitäre GKV ist nicht einzuschätzen.
Ausgerechnet in Zeiten eines brutalen Krieges in Europa, der bitteren Erfahrung der Abhängigkeit von fossilen Energien, die Industrie und Mittelstand in erhebliche Umbrüche treibt, und einer sich rasch ausprägenden geopolitischen Herausforderung mit China, muss man sich fragen ob die Apothekerlobby die Welt versteht, in der wir leben.
Aus Ostasien kommen mehr als die Hälfte der Rohstoffe für die Arzneimittelfabriken in China. Die Abrisse der Lieferketten und der Stau von unzähligen Containerschiffen vor Shanghai, dem größten Hafen der Welt, im harten chinesischen Pandemie-Lockdown sind nicht vergessen. Arzneimittel-Lieferengpässe werden in Europa nach Einschätzung der Europäischen Arzneimittelagentur ein Problem bleiben. „Zur Behebung der Engpässe wird es keine schnelle Lösung geben“, sagt EMA-Direktorin Emer Cooke. Was, wenn wir andere Standorte finden müssen für Arzneimittelproduktion? Um die medizinische Versorgung der Menschen in Deutschland auf Dauer zu stabilisieren, brauchen wir einen kühlen geopolitischen Blick, ein klares Verständnis unserer politischen Prioritäten, die Fähigkeit und den ernsthaften Willen zur Kooperation der Gestalter des Gesundheitssystems. Und nicht den Horizont einer Kirmes-Boxbude im Berliner
Regierungsviertel.

Ihr Franz Knieps

PDF herunterladen

Inhalte suchen oder abonnieren