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BKK Magazin 3/2023

Lesen Sie hier das komplette BKK Magazin 3/2023 "Pflege – Neuanfänger gesucht" online.

Cover-Bild BKK Magazin Ausgabe 3/2023
Franz Knieps
Franz Knieps – Vorstand des BKK Dachverbandes

Editorial

Unter Kristallleuchtern standen sie da. Entschlossen, ohne eine Miene zu verziehen, strenger als eine Gruppe Samurai. Die KBV Krisensitzung im edlen Ambiente hat zur Neige des Sommers im August das Ende der Welt demonstriert: Praxis weg, Gesundheit weg. Auf einem selbstgemalten Schild hatte sich ein Ärztefunktionär angestauten Frust von der Seele geschrieben: Gegen Zwangsdigitalisierung in Arztpraxen. Die niedergelassenen Ärzte verstehen sich auf ikonographische Bilder. Immer schon. Deshalb weht aus einer fernen, beinahe versunkenen Vergangenheit der Gefangenenchor aus dem dritten Akt der Oper Nabucco von Giuseppe Verdi an unser Ohr und Schauspieler mit Arztkitteln kitzeln als flüchtiges Irrlicht die Netzhaut. Bei Tageslicht besehen geht es den Freunden des Fernkopierers schlicht um mehr Honorar. Die KBV fordert von den Kassen ein Plus von 10,2 Prozent, die FAZ schreibt, dass aktuelle Zahlen der gestiegenen Einnahmen den Ärzten gerade ungelegen kommen: „Ärzteverdienst trotzt der Inflation.“

Der Praxenkollaps, der da drohen soll, wird seit einer Dekade aus dem Instrumentenkasten geholt, seit die Restlaufzeit von Arztpraxen auf dem Land durchdekliniert wird. Das Phänomen ist bekannt, die Robert Bosch Stiftung hat früh Zahlen dazu vorgelegt. Dennoch wurde diese Restlaufzeit von der Ärzte-Lobby bisher im Wesentlichen für die Argumentation von Modellen besserer Vergütung genutzt. Auch der Personalmangel ist nicht eben ein originelles Argument, während die Boomer-Generation dem Rentenalter zustrebt. Wobei: wenn Ärztinnen und Ärzte in diesen Tagen Personalmangel beklagen meinen, sie nicht etwa das Praxisteam, also Medizinische Fachangestellte, sondern: Ärzte. Es ist die alte Aufteilung der Welt in Arzt und Nicht-Arzt.

Wir sehen: Der Kern der Probleme unseres Gesundheitssystems ist zum Teil technischer Natur – aber vor allem eine Frage der Kultur. Die Misere der niedergelassenen Ärzte ist hausgemacht und mangelnde Finanzierung der formulierten Ansprüche auf Vergütung ist bestimmt keine Ursache. Festhalten an der Einzelpraxis, an einer vordigitalen Organisation des Praxisalltags, eine an das Fax gekettete Patient-Journey bei gleichzeitiger Bewunderung der ambulanten Versorgungslandschaften unserer skandinavischen Nachbarn, haben unser Gesundheitssystem an genau diesen Punkt geführt. Als NRW Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann jüngst den entscheidenden Schritt in Richtung interprofessionelle Teams ging, mit dem einfachen Satz: „Pflege muss auf Augenhöhe mit der Ärzteschaft agieren“, war Jaulen und Schnauben zu hören. Abwertung der Ärzteschaft wurde beklagt.

Nicht Abwertung der Ärztinnen und Ärzte ist das Thema, wenn Karl-Josef Laumann Augenhöhe für die Pflege in multiprofessionellen Teams einfordert – es geht um den logischen Schritt hin zu besserer, patientenzentrierter Medizin. In diesem Heft weist Martina Hasseler auf einen Systemfehler im SGB V hin, das nichtärztliche Heilberufe grundsätzlich von der selbstständigen Behandlung der Versicherten ausschließt. Dies treibt entscheidend die Deprofessionalisierung der Pflege an. Nur ärztliches Handeln an Vergütung zu koppeln, während Pflege als Kostenfaktor wirkmächtig wahrgenommen wird, führt geradewegs in eine Spirale der Abwertung.

Während man in Deutschland die Pflegfachkräfte und zwei Dutzend weitere Berufe der therapeutischen Versorgung nicht integriert und ins Feld der Deprofessionaliserung schiebt, wenden sich clevere akademische Nurses aus dem internationalen Raum ab, wenn die Anwerber aus Deutschland rund um den Globus ausschwärmen. Unsere Nachbarn in Skandinavien beweisen seit Jahren, wie gut eigenständiges Handeln der Nurse Practitioners im Team mit den Ärzten funktioniert und zu guten gesundheitlichen Outcomes wie auch zu hoher Zufriedenheit von Patienten und Ärzten führt. Die Studien zu Patient Reported Outcomes liegen lange auf dem Tisch. Nutzen wir sie, um eine bessere Versorgung anzubieten!

Lesen Sie den Leitartikel und das Interview mit Martina Hasseler, Professorin für Gesundheits- und Pflegewissenschaften sowie Digitalisierung in der Pflege an der Ostfalia Hochschule.

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