Gesundheit und Politik

Tech vs. Corona – Was ist schon sicher?

Von Stefan B. Lummer und Karsten von Düsterlho, Leiter Finanzen und Organisation

„Es tut mir leid, Dave. Aber das kann ich nicht tun.“ Mit diesem Satz macht sich die berühmteste KI der Filmgeschichte unabhängig von seinen menschlichen Schöpfern. Der berühmte Satz des Computers HAL 9000 im Film „2001 – Odyssee im Weltraum“ trifft im Frühling 2020 auf eine galoppierende Debatte um Tracking von Infizierten über unsere mit Bluetooth verbunden Smartphones und die Ablieferung dieser Daten an die Regierung. Vorsicht: Corona-Infizierter neben dir! Wenn Smartphones das verraten, öffnen sich dann Einfallstore für totale Überwachung und Stigmatisierung? Was noch im Januar 2020 für Entsetzen gesorgt hätte, ist im Pandemiemonat April plötzlich debattenfähig. Und umstritten bleibt, ob es hilft. Bleibt ein totalitärer Staat wie China unser Vorbild für den Kampf gegen das unheimliche, die ganze Welt infizierende Virus? Tausende Menschen infizieren sich weltweit mit dem Coronavirus, die Staaten sind im Krisenmodus. Was ist mit unserem demokratischen Immunsystem? Hält die Firewall europäischer Werte oder haben wir weniger Abwehrkräfte und Skrupel als der HAL 9000?

inspiriert von dem Film "2001: A Space Odyssey""

Wer hatte keine Gänsehaut, als zur Jahreswende lange Militärkolonnen die Elf-Millionen-Metropole Wuhan abgeriegelt haben. Totale Ausgangsperre. Sprechende Drohnen suchen Straßen nach Widerspenstigen ab. Geisterbahnhöfe, leere Straßen, geschlossene Fabriken. Die Smartphones zeigen mit roten, gelben oder grünen QR-Codes, wer infiziert ist, verdächtig oder gesund. Rot bleibt in der eigenen Wohnung eingesperrt, denn einen Supermarkt oder die Apotheke darf mit diesem Farbcode niemand mehr betreten. Blogger verschwinden aus sozialen Medien, ausgerechnet der Arzt, der als Erster öffentlich vor dem neuen Virus gewarnt hat, stirbt rasch. So ist das halt in China, haben wir gedacht in sicherer Entfernung. So ist das in einem Staat, der alles einem allmächtigen Parteiführer auf Lebenszeit unterordnet. Eine Diktatur, die an Bürger digitale Sozialpunkte ver-teilt und so Reisefreiheit, Wohnungen und den Zugang zum Internet reguliert. 


Ist uns im sicheren Werte-Westen aufgefallen, dass im fernen Asien plötzlich fünf der sechs größten Containerhäfen der Welt abgeriegelt waren? Am 1. Februar fiel der Baltic Dry Index von 5.000 auf minus 21. Baltic Dry. Was ist das? Nur ein technischer Begriff der Finanzwelt. Noch am 1. Februar, als der weltweite Maßstab für Frachtraten aller Transporte auf See implodierte, erzählten uns Politiker in Europa, das Coronavirus würde keine spürbaren Folgen für unsere Wirtschaft haben. Tatsächlich haben wir gesehen: Das Coronavirus stoppt den Welthandel. Regelmäßig vor Weihnachten warnt uns der TÜV vor giftigem Plastikspielzeug aus der gelenkten Wirtschaft, aber welche Gefahr droht, wenn die Menschen an der „Werkbank der Welt“ an dieser neuen „Atemwegserkrankung“ leiden? Wir haben an der „Werte-Bank Europa“ noch immer nichts bemerkt, als im Februar in China vor allem das Produkt Atemschutzmaske konsumiert wurde.

Nur einen Monat später kam die Rechnung: Nicht nur spottbillige Technik und Konsumgüter importieren wir massenhaft, sondern eben auch Systemrelevantes: Zulieferprodukte für die Autoindustrie, nahezu alle wichtigen Arzneien wie Narkosemittel, das Neuroleptikum Clozapin oder Medikamente für Reanimationen bei schweren Schockzuständen, insgesamt nicht weniger als 153 Wirkstoffe für Medikamente. Noch vor wenigen Wochen waren Atemschutzmasken und Einwegschundschuhe Wegwerfprodukte für wenige Cent. Heute hängt das Leben von Patienten, Krankenschwestern und Ärzten davon ab: Hammerexamen zum Thema Systemrelevanz.

Unsere reflexartige Antwort: Ausfuhrbeschränkungen und Lockdown des Binnenmarktes statt europäische Solidarität. Jetzt landen russische Antonovs und das „dicke Mädchen“ der Chinesen, die Xian Y-20, in Mailand und liefern Beatmungsgeräte und Atemschutzmasken. 
Hausaufgaben macht man besser vor den Prüfungen. In der Pandemie rücken die Sterne auf der Europaflagge voneinander ab: im wahrsten Sinne „social distancing“. Während die Politik akademisch streitet, ob wir die umstrittenen Euro-Bonds jetzt Corona-Bonds nennen, werfen die Italiener Europaflaggen von den Balkonen, auf denen sie jeden Abend gegen die Isolation ansingen und sich gegenseitig Mut machen: „Nel blu dipinto di blu“. Keine Sorgen Sie können das mitsingen: „Volare!“
Im Ernst: Weder 100 Mill. Euro-Bonds noch eilig aufgespannte finanzielle Schutzschirme für die Unternehmen heilen ein fehlendes gemeinsames Krisenverständnis. Und während die Europäer jetzt in der Phase angekommen sind, die Bewegungsfreiheit ihrer Bürger einzuschränken, sind asiatische Länder digital voraus. Sie setzen auf Gesundheits-Apps, um Kranke von den Gesunden zu trennen. Und die EU ist nicht in der Lage, einen Viktor Orban zu stoppen, der die Pandemie nutzt, um Demokratie abzuschaffen.

Vom Stresstest für Europa zum Stresstest für unser Gesundheitssystem. Anna-Verena Nosthoff und Felix Maschewski haben gemeinsam „Die Gesellschaft der Wearables“ geschrieben. Sie sorgen sich darum, dass die öffentliche Gesundheit autoritäre Tendenzen verstärken kann. Ein Buch aus der Zeit vor der Corona-Pandemie. Vor dem Ausnahmezustand via Infektionsschutz-Gesetz. Die Idee, Grippewellen mit technologischen Verfahren nachzuvollziehen und bestenfalls einzudämmen, ist am MIT der Universität Cambridge Business as usual. Die Forscher sammeln Bewegungsdaten von Smartphones und leiten daraus ab, wie sich Grippeviren verbreiten und wie viele Menschen potenziell erkranken können. So sind einzelne Krankenhäuser, aber auch Regierungen in der Lage, medizinische Ressourcen besser zu koordinieren. Es ist auch möglich, einzelne Personen gezielt auf Gefahrengebiete hinzuweisen. Südkorea nutzt das schon etablierte „real-time flu tracking“ kombiniert mit Videoüberwachung und Gesichtserkennung, erfolgreich gegen das Coronavirus. Das Land hat seine Lektion aus dem Ausbruch des MERS-Virus 2015 gelernt und setzt auf „test, trace and treat“. Also: sofortige Massentests, Bewegungsverfolgung und Isolie-rung der Infizierten. Damit ist es dort gelungen, die Infek-tionskurve auf eine flachere Linie zu drücken. „In Südkorea rettet diese Methode nicht nur Menschen, sondern auch Firmen“, schreibt Jochen Bittner Ende März in der ZEIT und stellt die Frage: „Warum braucht es pauschale Kontaktverbote, wenn die Corona-Eindämmung auch smart ginge?“ Rigider Abstand von den Richtigen statt Kontaktverbot für alle? Wir haben in Deutschland keine digitalen Instrumente zum Pandemieplan. Was jetzt schnell zusammengebastelt wird, trifft auf eine Gesellschaft, die die notwendige Debatten noch nicht geführt hat. Denn technisch möglich ist auch die Website coronamap.site, auf der Infizierte markiert sind wie wandelnde Tote. Denn wir machen nicht das Virus sichtbar, wir stigmatisieren Infizierte. Kurznachrichten aufs Smartphone, um Nachbarn vor Ansteckung zu warnen? Technisch möglich. Wo ist unsere Haltelinie, wenn gefragt wird: Kostet Datenschutz in der Pandemie Leben?


Deutschland diskutiert gerade über die Corona-App, der Bundesgesundheitsminister versucht in der „Ruhe vor dem Sturm“, die Debatte anzutreiben: „Die große Welle von Schwerkranken wird noch kommen.“ Das wird noch spannend: Wie freiwillig bleibt die Corona-App? „Wir werden solche Apps in absehbarer Zeit alle nutzen – und zwar freiwillig“, hat der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer bereits angedroht. Das Nachbarland Österreich hat die Verpflichtung zur App zielstrebig angesteuert: Für Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ist die Sache einfach: „Die App kann sehr helfen. Wenn sie einen gewissen Verpflichtungsgrad hat, könnte sie noch mehr helfen.“ Wenn evident ist, dass wir die Menschen schützen können: Mit dieser Einleitung und Schützenhilfe von Virologen werden derzeit Bedenken über die Preisgabe von Bürgerrechten vom Tisch gewischt. Weil zwei Mio. Österreicher kein Smartphone besitzen, wird dort an Schlüsselanhängern mit derselben Funktionalität, wie sie die App bietet, gearbeitet: zu speichern, wer mit wem Kontakt hat. Die Frage, ob für Menschen, die diese App nicht haben wollen, die Bewegungsfreiheit im Corona-Ausnahmezustand eingeschränkt bleiben soll, beantwortete Nationalratspräsident Sobotka so: „Wir prüfen, ob das verfassungsrechtlich geht.“ Was nicht passt, wird passend gemacht. Bei Wolfgang Sobotka klang das Anfang April so: „Mir sagen Experten: Wenn man die Verpflichtung zur App zeitlich befristet und mit einer Sunset-Klausel versieht, dann ist das mit der EU-Datenschutzverordnung und der Verfassung vereinbar.“ Sunset-Klausel. Wir lernen vom Präsidenten des Österreichischen Parlaments. Wenn an der Verfasssung gezerrt wird, werden Juristen romantisch im Gebrauch der Sprache. Die Sunset-Klausel wird uns bestimmt als besonderes Wort dieser Pandemie in Erinnerung bleiben. In Polen, wo man mit der unabhängigen Justiz zurzeit nicht zimperlich umgeht, ist man übrigens forsch einen Schritt weiter gegangen mit der freiwilligen Entscheidung zur App. Dort hat die Bevölkerung die Wahl: Entweder Kontrolle mit Hilfe einer App oder man bekommt stichprobenartig Besuch von der Polizei. Bedenklich: Mit der App werden Menschen geortet und aufgefordert ein Selfie zu machen. Wer dem nicht folgt, riskiert hohe Strafen. 

Der Ausnahmezustand gewöhnt uns an autoritären Mindset. Wer ein Buch auf einer Parkbank liest, begeht in manchen Bundesländern eine Ordnungswidigkeit. Joggen ist erlaubt. Glücklich, wer einen Hund hat, mit dem er Gassi gehen darf. Mal ehrlich: Wie sinnvoll ist es, Polizisten ohne Schutzausrüstung zur Umsetzung solcher Maßnahmen auf die Straße zu schicken? Die Schriftstellerin und Juristin Juli Zeh hat jüngst im Deutschlandfunk vor drakonischen Grundrechtseingriffen in der Coronakrise gewarnt: „Zur Zeit wird tief in die Grundrechte von Bürgern eingegriffen, ohne dass die Rechtsgrundlage geklärt ist.“ Nach der Krise, so kündigt die Autorin an, die im Jahr 2009 mit „Corpus delitcti“ einen Roman über eine Gesundheitsdiktatur vorgelegt hat, werde man hier eine Menge aufzuarbeiten haben. Den Eröffnungszug in Juli Zehs Roman sollten wir uns in Erinnerung rufen. Das Buch beginnt mit einem fiktiven Zitat. Das stammt angeblich aus einem in der 25. Auflage erschienenen Werk „Gesundheit als Prinzip staatlicher Legitimation“. Verfasser sei ein gewisser Heinrich Kramer. Eine delikate Pointe und in Zeiten der Pandemie ein Weckruf, denn einen berühmten Heinrich Kramer hat es tatsächlich gegeben. Ein Dominikanermönch des 15. Jahrhunderts, Autor des berüchtigten „Hexenhammers“, der penibel genau beschreibt, woran man Hexen erkennen kann. Juli Zeh hat vor 11 Jahren das Mittelalter mit der näheren Zukunft verbunden, um eine Gesundheitsdiktatur zu beschreiben. Im Sommer 2019 haben wir in diesem Magazin über den ethischen Kompass der Künstlichen Intelligenz geschrieben und den Neurowissenschaftler Dr. Martin Hirsch, Chief Scientific Officer von Ada Health, zitiert: „Wenn Sie Entscheidungssysteme ausschließlich auf der Basis von Datenströmen und Machine Learning designen, landen Sie im Mittelalter.“


„Es besteht das Risiko eines Konfliktes mit den normativen und juristischen Grundlagen der Gesellschaft.“ Nüchtern liest sich streckenweise ein Thesenpapier zur SARS-CoV-2/Covid-19-Pandemie, das sechs Gesundheitsexperten, darunter Franz Knieps, der Herausgeber dieses Magazins, der Hamburger Staatsrat für Gesundheit, Matthias Gruhl, und die Professoren Matthias Schrappe, Gerd Glaeske, und Holger Pfaff verfasst haben. Doch die Autoren – darunter zwei ehemalige Mitglieder des Sachverständigenrats der Bundesregierung für das Gesundheitswesen – stellen die radikalen Einschränkungen des öffentlichen Lebens in Deutschland infrage und befürchten angesichts der derzeitigen Lage sogar eine verstärkte „Legitimationskrise“ des demokratischen Systems. Werden derzeit mit Gesundheit die Bürgerrechte ausgehebelt? Die Autoren sehen das verpflichtende Smartphone-Tracking von Infizierten als riskantes Manöver: Es bestehe die Gefahr, „dass unter Verweis auf den unaufschiebbaren Handlungsbedarf autoritäre Elemente des Staatsverständnisses aus Ländern mit totalitären Gesellschaftssystemen in das deutsche Staats- und Rechtssystem übernommen werden.“ Die Forderung an die Politik ist eindeutig: „Es muss klargestellt werden und klargestellt bleiben, dass es keinen Trade-off zwischen der demokratischen Verfasstheit und den Bürgerrechten auf der einen Seite und den Anforderungen der Seuchenbekämpfung auf der anderen Seite geben darf.“ Die Vorstellung, dass der nächste Schritt in der Anordnung des Trackings mit einer Corona-App liegen könnte, das Betreten eines Supermarktes nur noch mit eingeschalteter Bluetooth-Funktion zu erlauben, gehe weit über demokratische Grundrechte hinaus. Anleihen an totalitäre Systeme, wie China, oder autoritäre Systeme, mit ausgebautem Sozialkreditsystem wie Singapur, halten die Autoren „für nicht kompatibel mit unserem Wertesystem“. Während Österreich und Polen vor der Kontrolle des Virus mit Tracking und Polizei nicht zurückschrecken, sehen wir in Deutschland ein klares Signal an die Politik: „Wir wollen unser Land nach Covid-19 noch wiedererkennen.“

Die Corona-Uhr läuft unerbittlich. Am 20. März meldet die britische Presse „First Major German City Under Curfew, will Berlin follow soon?“, aus Madrid berichtet der Arzt Jesús Candel: „Wer jünger ist als 65 Jahre, muss hoffen, dass niemand, der noch jünger ist, sein Beatmungsgerät benötigt. Sein Warnruf: „Madrid ist wie Wuhan.“ In deutschen Krankenhäusern und Praxen bangen Ärzte und Pflegepersonal um ausreichende Schutzkleidung. 


Mitten im Lockdown in Deutschland handeln Unternehmer. Ein Brauer in Lübeck rührt in seinen Kesseln Desinfektionsmittel an. Die Drägerwerke fahren die Produktion an Beatmungsgeräten hoch. Der niederbayerische Automobilzulieferer Zettl und der Stoffhersteller Sandler arbeiten zusammen, um täglich 10.000 Masken herzustellen. Sie folgen einem einfachen Gedanken: Für die in Billiglohnländer ausgelagerte Masken-Produktion werden Maschinen und Vlies-Material aus Deutschland verwendet. Da sollte es doch gelingen, sie hier komplett zu produzieren. Das CiS Forschungsinstitut für Mikrosensorik entwickelt einen Sensor, der die Körpertemperatur aus bis zu zwei Metern Abstand messen kann. Fiebermessen im Vorbeigehen. Siemens öffnet für die schnelle Produktion von Ersatzteilen für Beatmungsgeräte sein 3D-Druck-Netzwerk. Der Konzern stellt Drucker für Corona-Bedarf zur Verfügung und bietet die Hilfe seiner Ingenieure an.
Die Krise zwingt uns in die Verantwortung und steigert das Tempo. Statt digitaler Insellösungen, seitenlangen Strategiepapieren und einsamen Pilotprojekten geht ein digitaler Ruck durch das deutsche Gesundheitssystem. Das war eigentlich schon vor der Coronakrise im besonderem Maße gefordert, weil gering digitalisiert. Von Arztpraxen, die nicht einmal eine Mail-Adresse haben, fordern Patienten jetzt Video-Sprechstunden und elektronische Krankschreibungen. Gesundheits-Apps, denen das Digitale-Versorgung-Gesetz den Weg zum Patienten bahnen wollte, schalten während der Pandemie um auf kostenlose Probenutzung. DiGA-Verzeichnis, Risikoklassen, langwierige Erörterungen positiver Versorgungseffekte liegen am Spielfeldrand – Praxis schlägt Debatte. Jens Spahn will die e-Rezept-Pflicht ab 2022. In die Kabinettsfassung für das Patientendatenschutzgesetz (PDSG) hat er deshalb eine Überraschung eingebaut: Die Verpflichtung, ab dem 1. Januar 2022 das elektronische Rezept einzuführen. Bis Ende Januar hatten die Kräfte der Beharrung dies aus dem Referentenentwurf heraushalten können. Stattdessen gab es unverbindlichen Advokatensprech zur Schaffung elektronischer Möglichkeiten zur Rezeptübertragung. Wann auch immer. Jetzt stellt das BMG im neu formulierten Paragraph 360 des SGB V klar, dass Ärzte und Zahnärzte, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen oder aus Kliniken heraus verordnen, dazu verpflichtet sind, Verordnungen nur noch in digitaler Form auszustellen. Antreiber wie Jörg Debatin, Chef des von Jens Spahn gegründeten health innovation hub, sprechen aus, worauf es bei der Bekämpfung des Corona-Virus ankommt. Dokumente austauschen, Patienteninformationen und Krankheitsverläufe systematisch digital erfassen, Erfolg und Misserfolg von Therapien sicher identifizieren. Das Prinzip: drängeln, wenn es nötig ist. Wir brauchen die wirksamsten Ideen und Konzepte, um die Patienten bestmöglich zu versorgen und zugleich das Personal zu schützen. Bessere Medizin durch Digitalisierung, denn Daten retten Leben. „Die Ideen für digitale Lösungen sind da, jetzt auch die Notwendigkeit“, schreibt Anastassia Lauterbach in der WIRTSCHAFTSWOCHE Ende März: „Das Virus zwingt uns, in wenigen Wochen nachzuholen, was in den vergangen Monaten und Jahren verpasst wurde: Digitalisierung unter Hochdruck.“


Selbstfahrende Roboter identifizieren mit Infrarotlicht eigenständig Virusherde und desinfizieren Räume, schützen das medizinische Personal zuverlässig vor dem Risiko einer Ansteckung. Die Atemmaske Virimask kommt aus dem 3D-Drucker. Sie ist nicht nur für medizinisches Personal gedacht, soll Menschen erlauben, während einer Pandemie zur Arbeit zu gehen. Die Polytechnic University in Hongkong testet ebenfalls Schutzmasken aus dem 3D-Drucker: 30.000 können pro Tag für Krankenhäuser und Rettungskräfte gedruckt werden. Die Idee der globalen Zusammenarbeit: Notwendiges Material kann dezentral und nach Bedarf hergestellt werden. 

„Wenn die vergangenen Tage und Wochen eins gezeigt haben, dann dies, dass die Digitalisierung der zentrale Bau-stein einer solchen Restrukturierung des gesellschaftlichen Zusammenlebens sein muss,“ schreibt Erwin Böttinger, Leiter des Digital Health Centers am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam und Professor für Digital Health-Personalisierte Medizin. 


Die Welt von morgen hat mit der weltweiten Covid-19-Pandemie spätestens jetzt begonnen. Wir brauchen derzeit noch die Keule des Kontaktverbots mit verheerenden Wirkungen auf Wirtschaft und sozialen Umgang, weil uns in der Pandemie erprobte digitale Akupunkturnadeln fehlen. Die Standortbestimmung von Smartphones hat in diesem Land eine Hürde, die das Bundesverfassungsgericht im fernen Jahr 1983 gesetzt hat: Mit dem Urteil zur Volkszählung wurde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entwickelt und auf Artikel 1 des Grundgesetzes bezogen. In anderen Ländern mag man Datenschutz in der Abteilung Verbraucherschutz ansiedeln, in diesem Land ist Datenschutz eine Frage der staatlichen Machtbeschränkung – nicht wegen Dystopien von Romanautoren oder europäischen Zeitgenossen wie Viktor Orban, sondern aus historischen Gründen. Im Stresstest der Pandemie gilt: Digitalisierung darf Bürgerrechte nicht aushebeln. Denn: „Wir wollen unser Land nach Covid-19 noch wiedererkennen.“ 

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