Gesundheit und Politik

Mehr Fortschritt gewagt? Der neue Koalitionsvertrag

Von Anne-Kathrin Klemm

12 Verhandelnde, 2 Wochen Zeit, maximal 3 Seiten in Schriftgröße 11. Das waren u. a. die vorgegebenen Rahmenbedingungen der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege aus SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zur Vereinbarung ihres Teils des Koali­tionsvertrages. Herausgekommen sind Ende November knapp 8 Seiten, die die Rich­tung für die neue Legislaturperiode vorgeben sollen. Atmen diese den deklarierten Fortschritt?

Unterschrift Olaf Scholz

Spätestens, als der „Leitfaden“ für die Arbeit der Arbeitsgruppen der Öffentlichkeit bekannt wurde, war klar: Dieser Koalitionsvertrag – und konkret der Teil Gesundheit und Pflege – wird kein detailliertes Werk, an dem sich eine künftige Gesundheitsministerin oder Gesundheitsminister abarbeiten kann bzw. muss. Diese Vermutung bestätigte sich, als am 19. November die vorläufige, sechseitige Endfassung der Arbeitsgruppe vorlag. Auf solch einer Flughöhe ist viel Prosa und Lyrik unausweichlich. Viele Absichtserklärungen sind selbstredend. Umso wichtiger ist es, auf die Kernbotschaften zu schauen. Die Finalfassung vom 24. November hat schließlich noch einige Änderungen erfahren, auf die es sich ebenfalls zu blicken lohnt. 

Bonus oder dauerhafte Gehaltserhöhung?

Der Bedeutung des Themas angemessen werden im Kapitel Pflege und Gesundheit des Koalitionsvertrages zuvorderst die Pflegefachkräfte angesprochen. Für diese will die Koalition viel tun: finanziell, mit Blick auf die Ausbildung und Kompetenzerweiterung sowie bezüglich der Arbeitsbedingungen. Konkret sollen sie z. B. ein finanzielles „Schulterklopfen“ für die Anstrengungen während der Pandemie erhalten mittels eines Bonus inkl. Steuerbefreiung bis 3.000 Euro. Eine Milliarde Euro will der Bund hierfür zur Verfügung stellen. Entgegen der Forderungen von Pflegeverbänden erfolgt also keine dauerhafte Gehaltsanpassung. Kaum war dies bekannt, wurden Forderungen für höhere Beträge von 5.000 Euro und Boni auch für andere Berufsgruppen reklamiert.

Statt Anerkennung für die Pflegekräfte resultiert also wieder Gezänk. Dies, obwohl die Bewältigung der Corona-Pandemie in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ganz maßgeblich von den Pflegekräften abhängt und derzeit wegen Mangels an diesen ganze Krankenhausabteilungen und Betten geschlossen werden müssen. Bezeichnend ist auch der Reflex nach Staatsgeldern für alle zu rufen. In anderen Branchen ist es hingegen üblich, dass Boni, gute Arbeitsbedingungen und Anerkennung in erster Linie von dem Arbeitgeber zu verantworten sind.

Zusätzliche Belastung der Pflegekräfte durch Unterschreitung des Personalschlüssels

Aber im Gegenteil: Nun wird gerade zu Lasten der Pflegekräfte nach weiterer Aussetzung von Pflegepersonaluntergrenzen gerufen – einem Instrument, das die Versorgungsqualität in pflegerisch sensitiven Bereichen sicherstellen soll. Unterschreitet man diese Personal- bzw. Versorgungsschlüssel, gefährdet dies Leib und Leben der Patienten und Patientinnen und belastet die Pflegekräfte zusätzlich. Umso wichtiger ist es, dass auch die Koalitionspartner nicht an der Qualität der Versorgung und damit an Personalbemessungsverfahren rütteln, sondern diese weiterentwickeln wollen.

Steigerung der Kompetenzen

Zuversichtlich macht ferner die klare Aussage, dass die Attraktivität des Pflegeberufs auch durch neue Berufsbilder und mehr Kompetenzzuweisungen gesteigert werden soll. Nur sehr vorsichtig wagt man sich hier an die Substitution ärztlicher Leistungen z. B. durch die Etablierung von Gemeindeschwestern und einer weiteren Akademisierung heran.

Arbeitsbedingungen sollen verbessert werden

Aber es sind erste Schritte, wie auch Frau Prof. Hasseler lobt und die es nun konsequent weiter zu gehen gilt. Das Ausland macht es uns vor, dass dies richtig und sinnvoll ist. Gleichzeitig stehen Gehaltsanpassungen zwischen Kranken- und Altenpflege, die Steuerbefreiung von Zuschlägen, die Abschaffung geteilter Dienste, die Einführung trägereigener Springerpools und der Anspruch auf familienfreundliche Arbeitszeiten auf der Agenda. Zumindest bei den letzten drei Punkten bleibt das Fragezeichen, wie diese Vorgaben den Einrichtungsträgern so vorgeschrieben werden können, dass sie in der Realität auch ankommen. Doch ohne bessere Arbeitsbedingungen wird das Anwerben ausländischer Arbeitskräfte, das auch diese Koalition als wichtig erachtet, wohl kaum erfolgreicher sein als bislang. Hier beißt sich die Katze nun mal in den Schwanz.

Umlagefinanzierung, Private Vorsorge, betriebliche Modelle zur Pflegezusatzvorsorge

Die Pflegeversicherung an sich wird durch die Koalitionäre nicht auf neue Füße gestellt. Dies war auch kaum zu erwarten, nachdem im Sondierungspapier bereits eine Absage für eine Bürgerversicherung formuliert war. Pflegende Angehörige sollen nun finanziell durch unterschiedliche Maßnahmen entlastet, Eigenanteile beobachtet bzw. ggf. gesenkt und der Beitragssatz „moderat“ angehoben werden. Dass eine Bündelung von Leistungsansprüchen in einem transparenten und flexiblen Entlastungsbudget vorgesehen ist, ist richtig und höchste Zeit. Als Formelkompromiss kann hingegen nur das Prüfen „einer freiwilligen, paritätisch finanzierten Vollversicherung“ als Ergänzung zur Übernahme der vollständigen Pflegekosten in der Pflegeversicherung und PKV verstanden werden. Diese Idee scheint ein Mix aus dem Drei-Säulen-Modell für die Pflege der FDP (Umlagefinanzierung, Private Vorsorge, betriebliche Modelle zur Pflegezusatzvorsorge) und einer Portion Bürgerversicherung von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu sein. Eine Expertenkommission soll hieraus praktikable Vorschläge erarbeiten. Man darf gespannt sein.

Hingegen wird es wieder konkret, wenn es um die Verschiebung der Behandlungspflege in die GKV geht. Bereits in der Vergangenheit wurde an dieser Thematik „gegraben“, um die Pflegeversicherung finanziell zu entlasten. In welcher Höhe der „pauschale Ausgleich“ für die GKV erfolgen wird, bleibt abzuwarten. Es ist nicht das einzige Thema in dem Vertrag, bei dem klare Finanzierungsaus- oder -zusagen fehlen.

Regionale Versorgung regeln

Nachhaltige Pflöcke schlagen die Koalitionäre mit Blick auf die Länder und Kommunen ein. Ihr Vertrauen in diese ist offensichtlich groß, denn sie sollen stärker als bislang regionale Besonderheiten mitgestalten können. Dies gilt für den Aufbau quartiernaher Wohnformen und kommunaler, medizinischer Versorgungszentren. Auch der Einbezug der Kommunen ins Vertragsgeschehen der pflegerischen Versorgung vor Ort soll verpflichtend werden und Entscheidungen des Zulassungsausschusses sind durch die Landesbehörde zu bestätigen. Versorgung findet regional statt und diese somit dort zu denken, ist richtig. Zentral aber wird sein, dass dieser Einbezug mit objektiv versorgungspolitischem Agieren und, wo verantwortlich, auch mit einer entsprechenden Finanzierung einhergeht. Zudem muss es sich tatsächlich um regionale Besonderheiten handeln und nicht um Sonderlocken, die Vertragspartner lähmen oder Doppelstrukturen schaffen. Die Erfahrungen aus dem stationären Krankenhausbereich, dass regional selbst marode Häuser bis aufs letzte verteidigt und am Leben erhalten werden, lässt zumindest Zweifel daran aufkommen, ob dies gelingt.

Auch das jahrelange Ausbluten des Öffentlichen Gesundheitsdienstes ist ein mahnendes Beispiel einer unzuverlässigen Daseinsvorsorge. Dass der Bund hier nun notwendige Mittel aufbringen will, spricht Bände. Daher müssen unbedingt die neuen kommunalen Versorgungsstrukturen und Mitspracherechte nach klaren, bundesweiten Vorgaben in eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung eingebettet werden. 

Mut zu Strukturveränderungen im Krankenhaus?

Dass es eines klaren Rahmens für die Krankenhausplanung bedarf, das haben die Koalitionspartner erkannt. Und wie die alte Bundesregierung setzt auch die neue auf eine Kommission aus Bund und Ländern, um Leitplanken zu definieren. Richtiger Weise wird hier und bei der Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung u. a. von Leistungsgruppen, Versorgungsstufen und Erreichbarkeit als Kriterien gesprochen. Erlösunabhängige Vorhaltepauschalen sollen als differenzierte Vergütung statt Gießkanne entwickelt werden. Doch in der finalen Fassung des Koalitionsvertrags fehlt, wie auch Prof. Augurzky in seinem Kommentar schmerzlich vermisst, ein konkretes Zielbild, wohin die Versorgung insgesamt weiterentwickelt werden soll.

Ferner fehlt nun auch der finanzielle Anreizmechanismus des Bundes – die Beteiligung an der Investitionskostenfinanzierung – für diejenigen Bundesländer, die diese Leitplanken bei der Krankenhausplanung umsetzen. Es bleibt abzuwarten, wie viel Energie und Mut die neue BMG-Spitze aufbringt, um echte Strukturveränderungen zu bewirken. Doch will man die „kalte“ Bereinigung der Krankenhauslandschaft auf Grund des Fachkräftemangels verhindern, muss mehr geschehen als lediglich das Schaffen weiterer Einnahmemöglichkeiten durch z. B. eine pauschale Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Leistungen. Punktuell mag diese Öffnung richtig sein. Aber grundsätzlich müssen die Überlegungen zur Krankenhausplanung zusammengebracht werden mit dem richtigen Vorhaben der Koalitionäre, multiprofessionelle, sektorenübergreifende Gesundheits- und Notfallzentren aufzubauen. Unrentable Krankenhäuser könnten in diese umgewandelt werden und so am regionalen Bedarf ausgerichtete Versorgung sicherstellen. Diese könnten dann ggf. auch in kommunaler Trägerschaft liegen.

Krankenkassen als Mitgestalter bei der sektorenübergreifenden Versorgung

Beim Stichwort sektorenübergreifende Versorgungsgestaltung kommen endlich – aber erschreckenderweise auch nur dieses eine Mal – die Krankenkassen als Gestalter ins Spiel. Sie sollen mehr Spielraum für Verträge zur sektorenübergreifenden Versorgungsgestaltung und vor allem der -planung mit an den Tisch. Gleiches gilt für die Entwicklung hybrider DRGs für sektorenübergreifende Leistungen oder der stationären Vergütung. Hier können sie nicht zuletzt ihre umfangreichen Erfahrungen aus den vielfältigen Projekten des Innovationsfonds einbringen, die sich von Gesundheitslotsen, mit Kompetenzen ausgestatteten Pflegekräften, neuen Vergütungsformen, Krankenhausplanung, Qualitätssicherung, etc. spannen. Sie können auch unterstützen, die überfällige Reform der Notfallversorgung und Notfallzentren sowie des Rettungsdienstes auf den Weg zu bringen. Der alten Bundesregierung war auch bei diesen Themen die Luft ausgegangen.

Unabhängigkeit für UPD und RKI

Und das Vertrauen in die vorhandenen Akteure scheint insgesamt nicht groß zu sein. Es heißt dort z. B. „wir wollen in unterversorgten Gebieten mit den Kassenärztlichen Vereinigungen die Sicherstellung übernehmen“. Das Grundprinzip, dass ambulante Vertragsärzte und Krankenkassen bei der Sicherstellung zusammenwirken, wird hier offensichtlich aufgehoben. Auch haben es die „bevölkerungsbezogenen Versorgungsverträge (Gesundheitsregionen)“ in den Vertrag geschafft, die den Kassen – so das bisherige Konzept von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – eher eine weisungsgebundene denn aktiv gestaltende Rolle zuweisen. Wie zuletzt der Medizinische Dienst wird nun auch die UPD dauerhaft von den Krankenkassen entkoppelt und in eine unabhängige Struktur überführt. Dabei setzt man auf die Patientenorganisationen und nicht die Versichertenvertreter der Selbstverwaltung. Auch der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) soll um Stimmen aus dem Pflegerat, der Pflege und anderen Gesundheitsberufen erweitert und ihnen Mitsprachrechte eingeräumt werden. Dies erhöht sicherlich die Akzeptanz sowie Verantwortungsübernahme bezüglich der getroffenen Entscheidungen durch die einbezogenen Berufsgruppen. Einhergehen soll die Reform des G-BA aber auch mit der Zielsetzung einer Beschleunigung seiner Entscheidungen – ein herausforderndes Unterfangen, wenn die Zahl der „Köche“ steigt. Nachvollziehbar und richtig ist hingegen nach den Erfahrungen in der Pandemie, dass das RKI von der Bundesregierung unabhängiger wird.

Digitalisierung muss weitergedacht werden

Versorgung lösungsorientiert und endlich vom Versicherten her zu denken, wird im Unterkapitel zur Digitalisierung im Gesundheitswesen artikuliert. Die dann aufgeführten Aufgaben bzw. Nutzen der Digitalisierung bleiben dann jedoch im Denken eines „Tools“ stecken (regelhafte elektronische Verordnungen, Telemedizin und -monitoring, Entlastung bei der Dokumentation). Auch hier fehlen Aussagen zu einem künftigen Bild der Versorgung, die sich durch die digitale Transformation in allen Bereichen fundamental verändern wird. Die Verbesserung der Versorgung und Vernetzung der Akteure über die neue Gestaltung der elektronischen Patientenakte (ePA) künftig als„opt-out“, ist dennoch ein wichtiger Schritt. Er ist auch überfällig, denn 72 Prozent der Bürger und Bürgerinnen bestätigten erst kürzlich in einer Befragung des BKK Dachverbandes, dass sie im Behandlungsfall allen an der Versorgung Beteiligten Einsicht in die ePA geben würden. Es bleibt also zu hoffen, dass die Digitalisierung mit dem gebotenen Druck weitergedacht wird. Digital-Moratorien – wie zuletzt von Ärzteseite gefordert – dürfen und können hingegen keinen Raum haben. Und gerade mit Blick auf diese Forderung ist es wichtig, dass digitale Gesundheitskompetenz tatsächlich in der Ausbildung aller ärztlichen und nichtärztlichen Gesundheits- und Pflegeberufe verankert wird. Denn letztlich haben alle Vorhaben der Koalitionäre, wie Frau Prof. Thun richtigerweise schreibt, etwas mit Digitalisierung zu tun.

Gesundheitsförderung, Klimaschutz und Prävention

Irritierend sind schließlich die Aussagen beim Thema Gesundheitsförderung. Will man positiv interpretieren, soll künftig die von den Betriebskrankenkassen geforderte, stärkere Vernetzung aller an der Prävention beteiligten Akteure vorangetrieben werden. Dass ein nationaler Präventionsplan zu verschiedenen Themen aufgelegt werden soll, befremdet hingegen. Schließlich sind mit der nationalen Präventionskonferenz die Voraussetzungen geschaffen, gemeinsam Präventionsaktivitäten zu entwickeln und in den jeweiligen Zuständigkeiten umzusetzen. Bedauerlich ist auch, dass das Thema ökologische und soziale Nachhaltigkeit im Gesundheitsbereich auf die Vermeidung von klima- bzw. umweltbedingten Gesundheitsschäden reduziert wird. Ökologische und soziale Nachhaltigkeit müssen aber neben den Voraussetzungen einer wirtschaftlichen, notwendigen und zweckmäßigen Leistungserbringung grundsätzlich im Sozialgesetzbuch verankert werden. Zu Recht mahnt daher die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. an, dass Klimaschutz und Prävention ganz oben auf die Agenda der politischen Gesundheitsakteure gehört (siehe Kommentar von Maike Voss).

Fehlende Transparenz bei Lieferketten von Arzneimitteln

Vage bleibt ferner, wie konkret man die Lieferketten im Arzneimittelbereich und den Aufbau der europäischen Produktion sicherstellen will. Bezüglich robuster Lieferketten wird leider nicht von der notwendigen verpflichtenden Herstellung von Transparenz, und zwar von der Produktion über die Lieferung bis hin zur Lagerung der Arzneimittel, gesprochen. Unstimmig sind auch die geplanten Maßnahmen zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken. Sie existieren zum Teil bereits (vergütete Botendienste) oder sind zwischen Apothekern und Krankenkassen abgestimmt (pharmazeutische Dienstleistungen). Dennoch sollen die Apotheken hierfür nochmal zusätzliche Gelder erhalten.

Wird das Geld falsch eingesetzt? 

Und damit ist man insgesamt bei der Frage: Wie sollen all die oben genannten Maßnahmen finanziert werden? Zum Teil tritt der Steuerzahler ein. Aber vieles bleibt pauschal oder wird gar nicht mit einer Finanzierungsüberlegung hinterlegt. Das war zumindest in der Vergangenheit immer gefährlich. Da war plötzlich gerne der Beitragszahler, oder abstrakt „der Fonds“, zur Finanzierung das Mittel der Wahl. Daher ist es bedauerlich, dass in der Endfassung des Koalitionsvertrages die Mehrwertsteuer-Absenkung nicht mehr enthalten ist. Immerhin um rund 6 Mrd. Euro hätte dies die Beitragszahler entlastet. Gleiches trifft, wie oben beschrieben, auf die Bundesmittel beim Umbau der Krankenhauslandschaft zu. Stattdessen setzt man zum einen auf eine regelhafte Dynamisierung des Bundeszuschusses zur GKV. Dies ist auch gerechtfertigt, will man der GKV weiterhin Aufgaben zuschreiben, die gesamtgesellschaftlicher Natur sind. Ziel muss es jedoch sein, wie Prof. Ulrich völlig richtig in seinem Kurzkommentar schreibt, über Strukturanpassungen die im System vorhandenen Effizienzreserven zu heben. Es ist gerade im internationalen Vergleich genug Geld vorhanden, es wird nur falsch eingesetzt. Daher kommt auch aus diesem Grund den Vorhaben zur besseren Vernetzung der Strukturen und einer umfassenden Krankenhausstrukturreform eine besondere Bedeutung zu. Bereits im letzten Koalitionsvertrag als Vorhaben deklariert, versprechen die jetzigen Koalitionäre höhere Beiträge für ALG II-Bezieher aus Steuermitteln. Das Vorhaben ist völlig richtig, denn hierbei handelt es sich in der Tat um eine versicherungsfremde Leistung. Es ist daher hoffentlich nur ein handwerklicher Fehler, dass hierbei sprachlich nicht berücksichtigt wurde, dass an anderer Stelle die Hartz IV-Empfänger künftig statt ALG II ein Bürgergeld erhalten sollen.

Als finanzielle Entlastung für die GKV ist ferner der Beibehalt des Preismoratoriums vorgesehen. Auch dies ist richtig und wichtig. Gleiches gilt auch für das Signal, dass neue Arzneimittel bereits ab dem 7. Monat nach Markteintritt der Erstattungsbetrag gemäß des AMNOG-Verfahren gilt. Hier hätten sich die Krankenkassen sicher ein noch früheres Datum gewünscht, doch es ist ein erster Schritt, um Innovationen und Finanzierbarkeit besser zusammen zu bringen. Welche finanziellen Auswirkungen die beitragsseitigen Veränderungen bei den Selbständigen, das neue Bürgergeld und die Anhebung des Mindestlohns haben werden, bleibt abzuwarten.

Last but not least ist der Mut der Koalitionspartner wohl ausgegangen bei dem Vorhaben, den Wechsel von Versicherten in der PKV zu erleichtern. Damit ist, wie Herr Prof. Wenner richtig feststellt, nicht mal ein Hauch von etwas Bürgerversicherung oder Wettbewerb in der PKV übriggeblieben.

Fazit: Hauptsächlich "Weiter so" mit (noch?) zaghaftem Mut zum Fortschritt

Bleibt zusammenfassend festzuhalten: Die Verhandler in der Arbeitsgruppe haben an vielen Stellen auf ein „Weiter so“ gesetzt. Sie haben jedoch auch Fortschritte gewagt, die  teils noch sehr zaghaft und vorsichtig daherkommen. Letztlich wird es also darauf ankommen, wie viel Mut und Energie der neue Gesundheitsminister aufbringen wird, aus diesen Schritten ein Zielbild und Fundament zu stricken, das idealer Weise noch bis in die nächste Legislaturperiode trägt. Als Vorbild kann hier wieder einmal Dänemark dienen, das nachhaltige Strukturveränderungen unabhängig von der Parteienkonstellation der Regierung bewirkt hat. Gelänge dies, würde aus dem „Fortschritt wagen“, ein „Fortschritt gestaltet“. Das wäre dann ein gutes Resumee nach den kommenden vier Jahren.

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Stephanie Bosch
Abteilungsleiterin Politik und Kommunikation

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