BKK Dachverband fürs Ohr

DER PODCAST ZUM BKK GESUNDHEITSREPORT 2022 "Pflegefall Pflege?"

Nicht erst seit der Corona-Pandemie ist die Pflege ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt: Schon seit Jahren ist bekannt, dass in der Pflege hohe Belastungen genauso wie ein Mangel an professionellen Nachwuchskräften herrschen. Wir diskutieren über ein mögliches Potential von 300.000 Pflegekräften, die den Beruf verlassen haben, aber zumindest teilweise reaktiviert werden könnten. Wir diskutieren über die Anwerbung von ausländischen Pflegefachkräften. Über die Wertschätzung, über die Bezahlung und weiterhin über Überlastung, Pflegenotstand und den „Pflexit“. Der diesjährige Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen zeigt auf, wie es um die Pflege und insbesondere die Pflegekräfte in Deutschland bestellt ist.

Ausschnitt Buch-Cover BKK Gesundheitsreport 2022

BKK Gesundheitsreport 2022

Thema: Pflegefall Pflege

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Prof. Dr. Holger Pfaff: Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft, Universität Köln

Dr. Bernadette Klapper: Bundesgeschäftsführerin, Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe – Bundesverband e.V.

Franz Knieps: Vorstandsvorsitzender BKK Dachverband e.V., Berlin

Dr. Matthias Richter: Referent Gesundheitsberichterstattung BKK Dachverband e.V., Berlin

Dirk Rennert: Projektleiter Gesundheitsberichtserstattung BKK Dachverband e.V., Berlin

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SPRECHERIN: Wir wertschätzen die Pflege von Kontakten in unserer Arbeits- und Lebenswelt. Aber wie steht es um die Wertschätzung der Pflege von Bedürftigen, der Alten und Kranken, um die, die beruflich dafür Sorgen tragen? Diesen Menschen, den Pflegenden, und deren Belastung hat sich nun der diesjährige Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen gewidmet unter dem Titel „Pflegefall Pflege“. Also ist die Pflege von Menschen selbst ein Pflegefall? Ja, sagt Prof. Holger Pfaff. Er ist Direktor des Instituts für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft der Universität zu Köln:

Prof. Holger Pfaff: Wir haben sehr viele Belastungsfaktoren, körperliche Belastungsfaktoren, schwere körperliche Arbeit, aber auch psychische Belastungsfaktoren in Richtung Arbeitsverdichtung. Viele Pflegekräfte haben das Gefühl, dass sie heute mehr und intensiver arbeiten müssen als früher. Und viele haben dann auch das Gefühl, dass diese Verdichtung der Arbeit dazu führt, dass die Qualität der Versorgung leidet, dass sie nicht mehr so die Qualität bringen können wie früher.

SPRECHERIN: Die Konsequenz: Unter Pflegenden macht sich Unzufriedenheit breit! Dr. Matthias Richter, Referent für die Gesundheitsberichterstattung beim BKK Dachverband in Berlin:

Dr. Matthias Richter: Mehr als 40 Prozent der Altenpflegekräfte genauso wie der Gesundheits- und Krankenpflegekräfte gibt an, dass sie sich aktuell den Anforderungen ihrer Arbeit nur teilweise oder gar nicht gewachsen sehen. Da ist es wenig verwunderlich, dass beispielsweise jeder vierte Beschäftigte in der Gesundheits- und Krankenpflege darüber nachdenkt in den nächsten zwei Jahren den Arbeitgeber zu wechseln. Mehr als jeder Fünfte denkt sogar darüber nach den Beruf komplett aufzugeben. Ein weiteres Problem ist: Jede dritte Altenpflegekraft und etwa ein Viertel aller Gesundheits- und Krankenpflegekräfte hat eine negative Prognose, ob sie überhaupt bis zur Rente ihren Beruf ausüben können.

SPRECHERIN: Weniger der Beruf selbst, sondern vor allem die Verhältnisse im Beruf sind es, die Pflegenden heute zu schaffen machen, unterstreicht Dirk Rennert, Leiter der Gesundheitsberichterstattung beim BKK Dachverband:

Dirk Rennert: Die überwiegende Mehrheit aller Befragten sagt zwar, dass der Pflegeberuf eine anspruchsvolle Tätigkeit und ein zukunftssicherer Beruf ist. Andererseits ist die Mehrheit der Meinung, dass sowohl die Bezahlung in der Pflege nicht angemessen ist als auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in diesem Berufsfeld nicht oder nur schlecht gegeben ist. Zudem würde die Hälfte aller Befragten den Pflegeberuf nicht als Ausbildungsberuf weiterempfehlen und ist der Meinung, dass der Pflegeberuf leider keine hohe gesellschaftliche Anerkennung genießt.

SPRECHERIN: Doch nicht nur gesellschaftlich sei die Arbeit von Pflegenden wenig anerkannt, sondern auch innerhalb der Kliniken und Heime, sagt Dr. Bernadette Klapper. Sie ist Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe in Berlin.

Dr. Bernadette Klapper: Wenn man heute die Situation anguckt, fühlt man sich wirklich erinnert an Familienverhältnisse der 50ger Jahre. Ich nenne das immer gerne die Pflegefamilie, also Vater-Mutter-Kind. Und wir haben hier Arzt, Pflege und Patient in der Analogie. Und dann ist es eigentlich so, dass der Vater als Haushaltungsvorstand, in dem Fall die Medizin, ansagt, was richtig und wichtig ist in Sachen Gesundheit, als einzige, die das sagen dürfen. Die Mutter kümmert sich irgendwie um die Kinder, sieht zu dass der Laden läuft, macht alles drum herum, hat aber auch eine relativ diffuse Aufgabe. Und sie muss ihren Mann fragen, ob sie arbeiten gehen darf, sprich, sie wird also in jedem Schritt gesteuert und darf nicht eigenständig sein. Und die Kinder haben eigentlich nicht so groß das Wort. Und das sieht man auch, wenn man auf unsere Patienten, Patientinnen guckt. Ich weiß, das ist ein ganz schön krasser Vergleich, aber ich halte ihn nicht für ganz falsch, zumal ja die Strukturen unserer Selbstverwaltung just in den 50ger, 60ger Jahren angelegt wurden und eigentlich noch genauso erhalten sind.

SPRECHERIN: Eine Maßnahme zur Verbesserung der Verhältnisse sei, das Berufsbild von professionell Pflegenden aufzuwerten:

Dr. Bernadette Klapper: Es erfordert natürlich grundsätzlich eine gute Bildung, gute Qualifizierung auf allen Ebenen, die wir haben, das heißt, erst einmal wirklich eine starke generalistische Ausbildung. Und dann wirklich gut das auszuführen, was wir auch im Pflegeberufegesetz jetzt haben, nämlich einen Berufszugang über primär qualifizierende Hochschulstudiengänge, sprich, einen Bachelor in Pflege und nachher für die Spezialisierung im Feld auch Masterstudiengänge.

SPRECHERIN: Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbands, geht noch einen Schritt weiter. Er sieht ein grundsätzliches Umdenken bei der Kranken- und Altenpflege von Nöten. Seine Forderung: Weniger stationäre Aufenthalte hin zu mehr ambulanter Pflege:

Franz Knieps: Wir müssen ja zum einen feststellen, dass der größte ambulante Pflegedienst die Familie ist! Aber auch da ändern sich Strukturen. Wir haben heute in den Ballungsgebieten mehr als 50 Prozent Ein-Personen-Haushalte. Da wird das schwieriger. Deshalb muss das System viel durchlässiger werden. Wir haben heute Vorstellungen, dass, nach Pflegegraden gestaffelt, entsprechende Angebote gemacht werden. Die müssen viel früher greifen, also das, was man früher als Pflegestufe Null bezeichnet hat. Und die müssen viel flexibler nach dem individuellen Bedarf gestaltet sein. Die Hilfsbereitschaft in der Familie, in der Nachbarschaft, im Haus, ist viel größer als wir glauben!

SPRECHERIN: Für Franz Knieps ist die Pflege älterer und kranker Menschen nicht bloß ein gesundheitspolitischer sondern ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag. Sein Fazit:

Franz Knieps: Wir haben auch in der Pflege eine Zeitenwende! Die Babyboomer gehen in Rente und damit kommen sie der Pflegebedürftigkeit näher. Auf der anderen Seite: Die Fortschritte in der Medizin und in der Pflege führen dazu, dass die Aufenthalte in Pflegeheimen auf kurze Zeiten beschränkt werden können. Wenn wir also viel im häuslichen Umfeld ambulant behandeln können, ist das eine Chance sowohl für die Gepflegten als auch für die Pflegenden, entspannter mit der Situation umgehen zu können.

SPRECHERIN: Irgendwie scheint die Welt aus den Fugen geraten. Was wir gewiss meinten, weicht einem Neuen. Und das Neue verändert uns, unsere gesamte Lebens- und Arbeitswelt. Ein winziges Virus schafft Distanz. Und beschleunigt doch nur den Wandel, der sich längst anbahnte. Häufig erleben und begegnen wir einander nur noch im digitalen Raum. Aber wo bleibt der Mensch? Dieser Frage geht auch der diesjährige Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen nach. Franz Knieps zieht Bilanz. Er ist Vorstand des Dachverbands Betriebskrankenkassen in Berlin:

Franz Knieps: Wir erleben, dass die früher scharfe Trennung zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung zunehmend ineinander übergeht. Wir erleben, dass früher die klaren und tief gestaffelten Hierarchien zunehmend aufgeweicht werden. Die Welt der Arbeit und die Welt der Wirtschaft wandelt sich. Die frühere Situation, dass Menschen lebenslang bei einem Arbeitgeber beschäftigt sind, wird eher die Ausnahme. Und last but not least die digitale Transformation erfasst natürlich auch die Wirtschaft und das Arbeitsleben. Neue Skills werden benötigt, um digital mithalten zu können. Aber diese neuen Skills führen auch dazu, dass Entfernung und Entfremdung von der Arbeit größer werden können. Die Gliederung der Arbeit in Raum und Zeit wird zunehmend aufgeweicht. Und das kann, muss aber nicht zu Problemen führen.

SPRECHERIN: Paradigmatisch für diese Aufweichung steht die Arbeit im Homeoffice, lange ein Trend, doch durch Corona fast schon Normalität, die so manchem Beschäftigten zusetzt. Dr. Matthias Richter, Referent für die Gesundheitsberichterstattung beim BKK Dachverband:

Dr. Matthias Richter: Mehr als jeder vierte Beschäftigte gibt an, dass sich das eigene Unternehmen gut oder sogar sehr gut auf die Herausforderungen der Coronavirus-Pandemie eingestellt hat. Gleichzeitig sagt aber auch etwa ein Viertel der Befragten, dass die Arbeitsmotivation, genauso wie der Zusammenhalt in der Belegschaft schlechter geworden ist. Beim Gesundheitszustand zeigt sich eine Verschlechterung mit zunehmender Dauer der Pandemie. In der Befragung im Jahr 2020, einige Monate nach Beginn der Pandemie, waren die gemachten Angaben kaum anders als vor der Pandemie. Hingegen ein Jahr später, im Jahr 2021, gaben deutlich mehr Personen an, dass ihr körperlicher oder psychischer Zustand sich verschlechtert hätte.

SPRECHERIN: Gefühlt birgt sich das Virus überall. Und die Gefahr ist real. Vor allem für die Menschen, die nicht aufs Homeoffice zurückgreifen können – durch alle Personengruppen, sagt Dirk Rennert, Leiter der Gesundheitsberichterstattung beim BKK Dachverband:

Dirk Rennert: Vor allem die jüngeren Beschäftigten sind häufiger von einer Arbeitsunfähigkeit aufgrund von COVID-19 betroffen. Aber je älter die Beschäftigten sind, desto länger sind sie im Durchschnitt wegen Covid-19 krankgeschrieben. Zudem zeigt sich, dass beschäftigte Frauen häufiger von Fehlzeiten wegen Covid-19 als ihre männlichen Kollegen betroffen sind. Das liegt vor allem daran, dass Frauen besonders häufig in Berufen und Branchen mit erhöhtem Infektionsrisiko arbeiten.

SPRECHERIN: Etwa in Pflegeberufen, nur als Beispiel. Unter Masken wird das Gesicht unkenntlich und der Wunsch nach Begegnung desto größer, weiß BKK Vorstand Franz Knieps:

Franz Knieps: Je länger natürlich die Pandemie dauert, desto größer wird die Sehnsucht wieder zu Gewohntem, zu kollegialer Kooperation zurückzukehren. Man darf ja nicht vergessen, es ist ja nicht nur die Arbeit, der Betrieb ist ja auch ein sozialer Ort, wo Freundschaften stattfinden, wo gute Nachbarschaften stattfinden, wo gemeinsam etwas erarbeitet wird. Und das ist schwieriger, wenn man nur auf die Kachel des Bildschirms schaut.

SPRECHERIN: Der Betrieb als Ort des Sozialen. Den Gedanken unterstreicht auch Prof. Holger Pfaff, Professor am Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft der Universität zu Köln:

Prof. Holger Pfaff: Das Unternehmen muss so eine Art Gemeinschaftsgefühl wieder erzeugen. Das geht jetzt verloren, weil wir sind in gewisser Weise atomisiert. Und das führt dazu, dass das Gemeinschaftserleben wegbricht. Und das ist ein großer Teil der Emotion und auch der Motivation für Leute zur Arbeit zu gehen. Es ist nicht so sehr die Arbeit selbst, sondern es ist auch dieses Unter-Leuten-sein, sich mit Leuten austauschen können, mal gemeinsam Lachen.

SPRECHERIN: Folgt man Prof. Pfaff trägt nicht bloß die Arbeit an Inhalt und Strategie zur Resilienz, zur Widerstandsfähigkeit von Unternehmen bei, sondern auch und vor allem der beiläufige Kontakt miteinander:

Prof. Holger Pfaff: Wir entdecken auch den Wert der Gespräche neben der eigentlichen Sache, also das Gespräch nach einer Sitzung, wo man sich noch kurz austauscht. Da werden auch die geheimen Informationen, wenn man so will, ausgetauscht. Aus organisationswissenschaftlicher Sicht haben wir ja zurzeit eine Formalisierung der ganzen Arbeit. Und das Informelle, was die Arbeit auch ausmacht, das wird jetzt geringer, weil es gar nicht gelebt werden kann.

SPRECHERIN: Bei aller Sehnsucht nach dem Gewohnten, die Welt schreitet fort, transformiert sich in Richtung des Digitalen. Dem pflichten auch die im Gesundheitsreport der BKK Befragten bei. Die Frage bleibt, wie das Neue mit dem Alten zu verbinden sei und im Sinne einer gesunden Lebens- und Arbeitswelt – nicht zuletzt eine Frage des politischen Willens. Franz Knieps:

Franz Knieps: Ich wünsche mir von einer neuen Regierung, dass sie mal innehält und sagt, was wollen wir eigentlich politisch längerfristig erreichen. Man nennt das neudeutsch ‚Ordnungspolitik‘. Ich bin von Hause aus Jurist. Da müsste man meinen, dass Juristen das kleinteilige Gesetze-machen lieben. Ich halte aber diesen Weg für falsch. Ich glaube, wir brauchen weniger Regulierungsmenge und eine geringere Regulierungsdichte. Ich bin nahezu süchtig danach, Spielräume für Innovationen und Experimente zu bekommen, denn das altehrwürdige Gesundheitssystem ist in die Jahre gekommen und muss den Herausforderungen angepasst werden. Deshalb hat für mich absolute Priorität, integrative Leistungserbringung zu fordern und zu fördern und digitale Transformation zu beschleunigen und auch in den eigenen Reihen dafür zu werben, sich auf diese digitale Welt einzustellen.

Weitere O-Töne zum BKK Gesundheitsreport 2022

Menschen werden krank, werden älter. Viele von uns sind dann oft auf andere Menschen angewiesen, die uns zur Seite stehen, uns beruflich pflegen. Aber wie steht es um die, die Sorge tragen, wenn wir ihrer bedürfen? Dem ist der diesjährige Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen nachgegangen – unter dem Titel „Pflegefall Pflege?“. Entsprechend zeichnet der BKK Gesundheitsreport 2022 ein Bild, geprägt von Unzufriedenheit unter den Pflegenden.

Die Fragen entnehmen Sie bitte der jeweiligen Transkription, sie sind nicht eingesprochen.

O-Töne Dr. Bernadette Klapper, Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) e. V.

Dr. Bernadette Klapper
Bundesgeschäftsführerin, Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe – Bundesverband e.V.

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FRAGE 1 Frau Dr. Klapper, wie unzufrieden sind die Pflegekräfte in Krankenhäuser und Pflegeheimen?

OT1 Es gibt drei große Gründe, die die Unzufriedenheit ausmachen. Zu allererst steht da der Personalmangel, dann ist es das große Thema der Wertschätzung. Und der dritte Grund ist die Fremdbestimmung. Wenn man jetzt beim ersten hinschaut, der Personalmangel, dann sehen wir einfach, dass wir de facto jetzt schon viele Stellen offen haben. Aktuelle Zahl ist 36.000, die nicht besetzt sind an Stellen. Wir wissen, dass der eigentliche Bedarf wohl im stationären Bereich, also in Krankenhäusern und in den Pflegeheimen, je 100.000 Stellen wahrscheinlich beträfe. Und wenn kein Personal da ist, bedeutet das für die anderen, dass sie umso mehr arbeiten müssen, dass sie ihre Zeit in Stress und Hektik verbringen. Und das macht natürlich dauerhaft unzufrieden, zumal wenn man merkt: Das ist ein chronischer Zustand und das ist jetzt nicht ein Loch, was man füllen muss, sondern das hat sich in der Pflege festgesetzt.

FRAGE 2 Ein zweites, großes Thema, sagen Sie, sei das der Wertschätzung. Wie zeigt sich das?

OT2 Auf der einen Seite, glaube ich, genießen Pflegende eine große Wertschätzung. Also das merkt man immer so im Freundeskreis, wenn man hört: Ah ja, das ist toll, dass Du das machst, aber ich könnt das ja nicht! Und sie merken schon, da ist eine gewisse Zweischneidigkeit drin, nämlich das man das eigentlich doch irgendwie ablehnt.

FRAGE 3 Mal umgekehrt gefragt. Wie stellte sich denn eine angemessene Wertschätzung gegenüber den Pflegenden dar?

OT3 Ich glaube, tatsächlich muss man vom Wort herkommen, dass man sagt: Ich schätze Pflege wert. Das ist mir wichtig. Da liegt ein hoher Wert drin. Und dann werde ich viel dafür tun, dass ich eine möglichst gute Pflege bekomme. Das heißt, ich investiere in Bildung, in gute Qualifizierung der Pflegefachpersonen, ich entlohne sie auch angemessen, das ist mal die Grundkategorie von Wertschätzung, auch die finanzielle Entlohnung in unserer Gesellschaft. Aber ich entwickele sie auch weiter, dass sie sich entfalten und weiter entwickeln kann.

FRAGE 4 Als dritten Grund nannten Sie anfangs die Fremdbestimmung von Pflegekräften. Was darf ich darunter verstehen?

OT4 Wenn man heute die Situation anguckt, fühlt man sich wirklich erinnert an Familienverhältnisse der 50ger Jahre. Ich nenne das immer gerne die Pflegefamilie, also Vater-Mutter-Kind. Und wir haben hier Arzt, Pflege und Patient in der Analogie. Und dann ist es eigentlich so, dass der Vater als Haushaltungsvorstand, in dem Fall die Medizin, ansagt, was richtig und wichtig ist in Sachen Gesundheit, als einzige, die das sagen dürfen. Die Mutter kümmert sich irgendwie um die Kinder, sieht zu dass der Laden läuft, macht alles drum herum, hat aber auch eine relativ diffuse Aufgabe. Und sie muss ihren Mann fragen, ob sie arbeiten gehen darf und das Haushaltsgeld vorlegen, sprich, sie wird also in jedem Schritt auch da gesteuert und darf nicht eigenständig sein. Und die Kinder haben eigentlich nicht so groß das Wort. Und das sieht man auch, wenn man auf unsere Patienten, Patientinnen guckt. Die dürfen auch nicht allzu viel sagen in unserem System. Ich weiß, das ist ein ganz schön krasser Vergleich, aber ich halte ihn nicht für ganz falsch, zumal ja die Strukturen unserer Selbstverwaltung und so wie unser System ist, just in den 50ger, 60ger Jahren angelegt wurden und eigentlich in den groben Zügen noch genauso erhalten sind.

FRAGE 5 Mal den Blick auf Chancen, die Zukunft von Pflegeberufen gewandt: wie kann Ihrer Meinung nach das Berufsbild von professionell Pflegenden aufgewertet werden?

OT5 Es erfordert natürlich grundsätzlich eine gute Bildung, gute Qualifizierung auf allen Ebenen, die wir haben, das heißt, erst einmal wirklich eine starke generalistische Ausbildung. Und dann auch, sage ich mal, wirklich gut das auszuführen, was wir auch im Pflegeberufegesetz jetzt haben, nämlich einen Berufszugang über primär qualifizierende Hochschulstudiengänge, sprich, einen Bachelor in Pflege und nachher für die Spezialisierung im Feld auch Masterstudiengänge.

FRAGE 6 Laut Befragung des diesjährigen BKK Gesundheitsreports unter beruflich Pflegenden steht zu befürchten, dass schon in den kommenden Jahren rund ein Drittel der Menschen diese Tätigkeit nicht bis zur Rente ausüben wird. Wie kann der Verbleib im Beruf begünstigt werden?

OT6 Der Verbleib und die Personalbindung, die wird vor allen Dingen davon abhängen, eigentlich von den typischen Sachen guten Managements. Wir müssen sehr für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sorgen, gerade in diesem Frauenberuf. Und dann alles, was dazugehört, um Leute gesund zu erhalten. Wir als Berufsverband haben unlängst den sogenannten Pflegegratifikationsschein vorgelegt. Der sieht ein Bündel von Einzelmaßnahmen vor, wie zum Beispiel auch im Laufe der Zeit mehr Urlaubstage in Anspruch nehmen zu können mit fortschreitendem Berufsalter, so dass man wirklich auch gut bis weit in die 60ger durchhalten kann in dem Beruf.

O-Töne Prof. Holger Pfaff, Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft, Universität Köln

FRAGE 1 Herr Prof. Pfaff, welchen Belastungen sehen sich Beschäftigte in Pflegeberufen heute ausgesetzt?

OT1 Erst mal muss man sagen, dass die Pflegekräfte einen sinnvollen Beruf ausüben. Das hilft immer, um praktisch gesund zu bleiben. Aber wir haben sehr viele Belastungsfaktoren, körperliche Belastungsfaktoren, schwere körperliche Arbeit, aber auch psychische Belastungsfaktoren in Richtung Arbeitsverdichtung. Viele Pflegekräfte haben das Gefühl, dass sie heute mehr und intensiver arbeiten müssen als früher. Und viele haben dann auch das Gefühl, dass diese Verdichtung der Arbeit dazu führt, dass die Qualität der Versorgung leidet, dass sie nicht mehr so die Qualität bringen können wie früher.

FRAGE 2 Lassen Sie uns zunächst auf die physischen, körperlichen Belastungen eingehen. Wie stellen sich diese dar?

OT2 Der große Block ist die körperlich schwere Arbeit, die zu Problemen wie Rückenbeschwerden führen kann. Dann haben wir unregelmäßige Arbeitszeiten, Nacht- und Schichtarbeit. Das kann eben von den Störungen des biologischen Rhythmus über Konzentrations- und Schlafstörungen bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Kritisch für die Beschäftigungssituation und auch den Pflegekräftemangel ist, dass viele Pflegekräfte sagen – das sind ungefähr zwei Drittel –, so, wie sie jetzt arbeiten müssen, können sie nicht bis zum normalen Renteneintrittsalter arbeiten. Das heißt, wir haben hier ein Potenzial für Frühberentung. Und das ist kritisch in der Zeit, wo man eh Personalmangel hat.

FRAGE 3 Wenden wir uns dem zweiten Problembereich zu – wo sehen Sie die psychische, seelische Belastung?

OT3 Es gibt mehrere Belastungsfaktoren in dem Bereich. Ein wichtiger Belastungsfaktor ist das Missverhältnis zwischen Entlohnung und dem, was man einbringt in die Arbeit. Wir nennen das Gratifikationskrise. Und diese Diskrepanz zwischen dem, was man leistet und dem, was man bekommt an Lob, aber auch an Einkommen, da scheint mir eine große Diskrepanz zu sein bei den Pflegekräften, erster Punkt. Zweiter Punkt ist die sogenannte Emotionsarbeit. Es gehört zum Pflegejob dazu freundlich zu sein, gute Emotion zu zeigen. Das ist dann kein Problem, wenn man auch so fühlt. Aber wenn man selbst jetzt in einer Situation ist, in der man eigentlich unfreundlich sein will, muss man trotzdem Freundlichkeit zeigen. Und das ist echte Arbeit!

FRAGE 4 Wo sehen Sie Möglichkeiten zur Entlastung von Pflegekräften?

OT4 Eine der Hauptmöglichkeiten ist natürlich das Personal aufzustocken, also die Arbeit auf mehrere Köpfe und Personen zu verteilen, zum Beispiel indem man in einzelnen Bereichen Untergrenzen für das Personal festlegt. Das ist eine wirksame Maßnahme, aber man muss immer beachten, dass Personalaufstockung nicht immer die Probleme löst. Wenn ich schlecht organisiert bin, wenn die Prozesse schlecht laufen, wenn man sehr viel sich gegenseitig das Leben schwer macht, dann muss man eigentlich zuerst an diese Punkte heran, bevor man Personal aufstockt, sonst hat man eventuell noch mehr Probleme am Schluss.

FRAGE 5 Umgekehrt gefragt, welche Maßnahmen zur Verbesserung der Abläufe in Krankenhäusern oder Pflegeheimen haben Sie da im Blick?

OT5 Kurzfristige Maßnahmen sind Trainingsmaßnahmen, dass man sagt, ok, wir versuchen jetzt die Leute zu qualifizieren in dem Job. Zum Beispiel eine Maßnahme besteht darin, dass man Trainings macht, wo man lernt, sich mehr zu distanzieren von den Patienten, mit zu leben mit den Patienten, aber nicht mit zu leiden. Mittelfristig geht es in Richtung die Arbeitsprozesse zu verschlanken, sie so zu organisieren, dass weniger Arbeit und weniger Arbeitsintensität anfallen. Und langfristige Maßnahmen sind Maßnahmen, die gehen dann in Richtung, dass die Gesellschaft den Pflegeberuf anders behandeln muss, dass langfristig überlegt werden muss, ob dann doch eine Zusammenlegung von Krankenhäusern die richtige Lösung ist, um die Pflegesituation zu verbessern.

O-Töne Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverband e.V.

FRAGE 1 Herr Knieps, der diesjährige BKK Gesundheitsreport hinterfragt, ob die Pflege selbst nicht längst zum Pflegefall geworden ist. Ihre Umfrage unter Beschäftigten in Pflegeberufen zeichnet vor allem ein Bild der Unzufriedenheit. Wie stellt sich Ihnen das Problem dar?

OT1 Nach meinem Eindruck ist das Gesundheitswesen ein Hort traditioneller Arbeitsformen mit strenger Hierarchie, mit geringer Flexibilität, mit geringer Autonomie der einzelnen Beschäftigten, Arbeitsinhalte, Arbeitstempo, Arbeitszeit selber mitzubestimmen. Das ist anders als Arbeit heute in modernen Unternehmen aussieht. Deshalb macht sich Unzufriedenheit breit, deshalb wandern viele in die innere Emigration. Hinzu kommt eine sehr stark von Ärzten dominierte Struktur der Gesundheitseinrichtungen, sei es die eigene Praxis in der Niederlassung, seien es die Krankenhäuser, seien es Reha-Einrichtungen. Die anderen Gesundheitsberufe sehen zu wenig Entfaltungsmöglichkeiten in diesem System und äußern deshalb nur sehr begrenzte Zufriedenheit, obwohl die Empathie mit den Patientinnen und Patienten groß ist. Das Ganze ist auch ein zweischneidiges Schwert, weil die Empathie dazu führt, dass man sich nicht wie in anderen Branchen mit klaren Positionen notfalls bis hin zum Streik für bessere Arbeitsbedingungen einsetzt.

FRAGE 2 Nur jeder fünfte Beschäftigte würde laut BKK Befragung eine Ausbildung in der Pflege weiterempfehlen. Fast jeder dritte Pflegende droht in den kommenden Jahren aus dem Erwerbsleben auszuscheiden – wie lässt sich dem entgegensteuern?

OT2 Die Datenlage gibt es nicht her, dass Kritiker von einem Pflexit sprechen, sprich, einem Massenexodus der Pflegekräfte aus dem Gesundheitssystem. Aber daraus darf man nicht ableiten, dass die Menschen mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden seien. Viele leiden unter Burnout, viele beklagen Arbeitszeiten, Arbeitsorganisation. Und viele fühlen sich auch ausgebeutet

in diesem System. Darauf muss man reagieren! Es geht allerdings zu kurz, wenn man glaubt, um Ecke stünde eine Reservearmee von Pflegekräften bereit, die dann nur eingesetzt werden könnte und man müsste mehr Geld in die Hand nehmen und schon liefe alles. Geld ist wichtig, eine angemessene Bezahlung ist wichtig, aber viel wichtiger ist für mich, dass wir Institutionen reformieren. Wir haben Verhältnisse, dass zu viel stationär gemacht wird. Da können wir von anderen Ländern viel lernen.

FRAGE 3 In Deutschland fehlen Fachkräfte, nicht nur im Pflegebereich. Die finanziellen Ressourcen werden knapper. Dazu kommen standesgeleitete, vielstimmige Interessen auch und gerade im Gesundheitswesen, die aufs Bewahren vermeintlich etablierter Strukturen setzen. Wo sehen Sie die Möglichkeit zur Reform?

OT3 Ja, ich sehe sogar große Möglichkeiten etwas zu reformieren! Wenn wir uns mit anderen Ländern vergleichen, dann haben wir weder zu wenig Ärzte noch zu wenig Pflegekräfte auf der Ebene Land. Aber wir verteilen diese personellen Ressourcen falsch. Wir haben zu viele Krankenhäuser, wir machen zu viel stationär, was auch ambulant erledigt werden könnte. Wenn man diese Strukturen bereinigen würde, dann wäre, glaube ich, ausreichend Arbeit und ausreichend gute Arbeit für alle vorhanden.

FRAGE 4 Sie plädieren demnach für die Schließung von Krankenhäusern?

OT4 Also Schließung von Krankenhäusern erzeugt politische Probleme. Das kann man schon in einer großen Stadt wie Berlin sehen. Selbst wenn die Menschen nur fünf oder sechs U-Bahn-Stationen weiter fahren müssen, kämpfen sie um jedes Bett, um jedes Krankenhaus. Deshalb würde ich die Botschaft „schließen“ vermeiden. Aber Umwandlung von Krankenhäusern in ambulante Versorgungszentren, dann auch eben mit starken ambulanten Pflegediensten würde ich für sehr sinnvoll halten. Aber die Medizin im Engeren und die Hochleistungspflege, das ist nicht mehr an jeder Ecke zu leisten. Da müssen wir in Kauf nehmen, dass Strukturen verändert werden.

FRAGE 5 Weniger stationäre Aufenthalte hin zu mehr ambulanter Pflege – bezeichnet das nicht ein grundsätzliches Umdenken bei der Kranken- und Altenpflege?

OT5 Absolut! Wir müssen ja zum einen feststellen, dass der größte ambulante Pflegedienst die Familie ist! Aber auch da ändern sich Strukturen. Wir haben heute in den Ballungsgebieten mehr als 50 Prozent Ein-Personen-Haushalte. Da wird das schwieriger. Deshalb muss das System viel durchlässiger werden. Wir haben heute Vorstellungen, dass, nach Pflegegraden gestaffelt, entsprechende Angebote gemacht werden. Die müssen viel früher greifen, also das, was man früher als Pflegestufe Null bezeichnet hat. Und die müssen viel flexibler nach dem individuellen Bedarf gestaltet sein. Die Hilfsbereitschaft in der Familie, in der Nachbarschaft, im Haus, ist viel größer als wir glauben!

FRAGE 6 Ist die Pflege älterer und kranker Menschen nicht bloß ein gesundheitspolitischer, sondern vielmehr ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag – verstehe ich Sie da richtig?

OT6 Ja, das ist so! Wir haben – auch wenn das Wort in letzter Zeit etwas missbraucht wird –, wir haben auch in der Pflege eine Zeitenwende! Die Babyboomer gehen in Rente und damit kommen sie der Pflegebedürftigkeit näher. Auf der anderen Seite: Die Fortschritte in der Medizin und in der Pflege führen dazu, dass die Aufenthalte in Pflegeheimen auf kurze Zeiten beschränkt werden können. Wenn wir also viel im häuslichen Umfeld ambulant behandeln können, ist das eine Chance sowohl für die Gepflegten als auch die für die Pflegenden, entspannter mit der Situation umgehen zu können.

O-Töne Dirk Rennert, Projektleiter Gesundheitsberichtserstattung BKK Dachverband e.V.

FRAGE 1 Bevor wir auf den Schwerpunkt des BKK Gesundheitsreports, die Pflegeberufe, zu sprechen kommen. Wie haben sich allgemein die Fehltage in den Betrieben entwickelt?

OT1 Die Fehltage in den Betrieben sind deutlich geringer als in den Vorjahren. Ein Grund sind die Pandemiemaßnahmen wie zum Beispiel Abstand halten oder Schutzmaske tragen. Als Begleiterscheinung haben sich vor allem die Fehltage wegen Atemwegserkrankungen deutlich reduziert. So waren mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Jahr 2021 gar nicht krankgeschrieben, was der höchste Wert seit 2013 ist. Wenn die Berufstätigen in den Betrieben fehlen, dann vor allem wegen Muskel-Skelett-Erkrankungen, psychischen Störungen und Verletzungen beziehungsweise Vergiftungen. Diese drei Krankheitsarten machen mehr als die Hälfte der Fehltage aus.

FRAGE 2 Sie sagen, weniger Krankschreibungen insgesamt. Trifft das auf alle Berufsgruppen zu?

OT2 Nein, das trifft nicht auf alle zu! Bei den Berufsgruppen sind vor allem die Pflegekräfte stark betroffen. Diese haben besonders hohe Fehlzeiten im Vergleich zu den restlichen Beschäftigten. Vor allem im Bereich der psychischen Störungen und Muskel-Skelett-Erkrankungen sind da große Auffälligkeiten festzustellen. Zudem ist in diesem Berufsfeld auch das Risiko an Covid-19 zu erkranken besonders hoch. Entsprechend finden sich dort auch besonders viele Krankschreibungen wegen dieser Erkrankung und vor allem auch besonders lange Falldauern im Vergleich zu den Beschäftigten insgesamt.

FRAGE 3 Entsprechend richtet sich der Fokus des diesjährigen BKK Gesundheitsreports auf die Pflegeberufe. Sie haben die dort Beschäftigten wie auch andere

Berufstätige befragt – insgesamt 6.000 Menschen. Wie ist, allgemein gefragt, das Stimmungsbild?

OT3 Also das Stimmungsbild lässt sich in etwa so skizzieren: Sowohl die Altenpflegekräfte als auch die Gesundheits- und Krankenpflegekräfte bewerten ihre eigene körperliche und psychische Gesundheit deutlich schlechter als die anderen Gesundheitsberufe und auch als die Beschäftigten insgesamt. Beide Pflegeberufsgruppen sind zudem mit ihrer Arbeit insgesamt als auch mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie am wenigsten zufrieden.

FRAGE 4 Unzufriedenheit mit der Arbeit insgesamt – wie zeigt sich das?

OT4 Mehr als 40 Prozent der Pflegekräfte geben an, dass sie den aktuellen Anforderungen ihrer Arbeit nicht oder nur teilweise gewachsen sind. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass etwa jeder vierte Beschäftigte in der Gesundheits- und Krankenpflege darüber nachdenkt, in den kommenden zwei Jahren seinen Arbeitgeber zu wechseln, ein Fünftel sogar über einen Berufswechsel nachdenkt. Noch ein weiteres Problem tritt auf: Bei jeder dritten Altenpflegekraft und mehr als jeder vierten Gesundheits- und Krankenpflegekraft ist es sehr wahrscheinlich, dass sie nicht bis zur Rente arbeiten wird.

FRAGE 5 Hohe Anforderungen, schlechte Rahmenbedingungen. Lässt sich so die Unzufriedenheit zusammenfassen?

OT5 Das trifft es schon ganz gut! Die überwiegende Mehrheit aller Befragten sagt zwar, dass der Pflegeberuf eine anspruchsvolle Tätigkeit und ein zukunftssicherer Beruf ist. Andererseits ist die Mehrheit der Meinung, dass sowohl die Bezahlung in der Pflege nicht angemessen ist als auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in diesem Berufsfeld nicht oder nur schlecht gegeben ist. Zudem würde die Hälfte aller Befragten den Pflegeberuf nicht als Ausbildungsberuf weiterempfehlen und ist der Meinung, dass der Pflegeberuf leider keine hohe gesellschaftliche Anerkennung genießt.

FRAGE 6 Betrachten wir die vergangenen Jahre, Stichwort: Coronavirus-Pandemie. Wie hat sich die Pandemie auf Stimmung oder auch Gesundheit der Pflegenden ausgewirkt?

OT6 Die Covid-19-Pandemie hat bei den Pflegekräften einen besonders negativen Einfluss auf deren körperliche und psychische Gesundheit ausgeübt. Vor allem bei den Gesundheits- und Krankenpflegekräften ist aufgrund des höheren Infektionsrisikos deutlich häufiger eine Corona-Infektion aufgetreten. Des Weiteren – und das ist positiv zu bewerten – ist aber in dieser Berufsgruppe die höchste Impfquote im Vergleich zu finden.

FRAGE 7 Schwierige Bedingungen. Bei aller Unzufriedenheit und Belastung im Beruf – sehen Sie oder die von Ihnen Befragten auch positive Aspekte?

OT7 Es gibt auch positive Aspekte zu berichten. Auch unter den schwierigen Bedingungen gibt mindestens mehr als die Hälfte der Pflegekräfte an, dass sie ihre Gesundheit und ihre Arbeitszufriedenheit durchaus positiv bewerten. Zudem sind viele ihrem Beruf treu und wollen das auch bleiben. Weiterhin wird der Pflegeberuf ja als fachlich anspruchsvoll und zukunftssicher angesehen. Das heißt, es steckt also am Ende viel Potenzial in diesem Beruf. Jetzt geht es halt darum, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass der Pflegeberuf Demografie fest und zukunftssicher wird.

O-Töne Dr. Matthias Richter, Referent Gesundheitsberichterstattung BKK Dachverband e.V.

FRAGE 1 Bevor wir auf den Schwerpunkt des BKK Gesundheitsreports, die Pflegeberufe, zu sprechen kommen. Wie haben sich allgemein die Fehltage in den Betrieben entwickelt?

OT1 Die Anzahl der Fehltage je Beschäftigten ist deutlich geringer als noch in den Vorjahren. Dazu tragen auch die Pandemiemaßnahmen bei wie Schutzmaske tragen und Abstand halten, wodurch als Begleiterscheinung auch die Atemwegserkrankungen deutlich reduziert worden sind. Entsprechend waren mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Jahr 2021 überhaupt nicht krankgeschrieben. Das ist der höchste Wert seit 2013. Wenn die Berufstätigen in den Betrieben fehlten, dann aufgrund von Muskel-Skeletterkrankungen, psychischer Störungen oder wegen Verletzungen oder Vergiftungen.

FRAGE 2 Sie sagen, weniger Krankschreibungen insgesamt. Trifft das auf alle Berufsgruppen zu?

OT2 Nein, das trifft nicht auf alle Berufsgruppen zu! Besonders hervorzuheben sind die Pflegeberufe. Bei diesen treten nicht nur insgesamt, sondern auch aufgrund von Muskel-Skelett-Erkrankungen und psychischen Störungen deutlich mehr Fehlzeiten auf als bei den Beschäftigten insgesamt. Auch aufgrund des hohen Risikos einer Covid-19-Infektion sind deutlich mehr Fehlzeiten zu verzeichnen gewesen. Und auch die Falldauer ist deutlich über dem Durchschnitt.

FRAGE 3 Entsprechend richtet sich der Fokus des diesjährigen BKK Gesundheitsreports auf die Pflegeberufe. Sie haben die dort Beschäftigten wie auch andere Berufstätige befragt – insgesamt 6.000 Menschen. Wie ist, allgemein gefragt, das Stimmungsbild?

OT3 Das Stimmungsbild lässt sich in etwa so skizzieren: Sowohl die Altenpflegekräfte als auch die Gesundheits- und Krankenpflegekräfte bewerten ihre eigene körperliche sowie psychische Gesundheit im Schnitt deutlich schlechter, als dies andere Gesundheitsberufe oder aber auch die Beschäftigten insgesamt tun. Die beiden genannten Pflegeberufsgruppen sind sowohl mit ihrer Arbeit insgesamt als auch mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Vergleich zu anderen am wenigsten zufrieden.

FRAGE 4 Unzufriedenheit mit der Arbeit insgesamt – wie zeigt sich das?

OT4 Mehr als 40 Prozent der Altenpflegekräfte genauso wie der Gesundheits- und Krankenpflegekräfte gibt an, dass sie sich aktuell den Anforderungen ihrer Arbeit nur teilweise oder gar nicht gewachsen sehen. Da ist es wenig verwunderlich, dass beispielsweise jeder vierte Beschäftigte in der Gesundheits- und Krankenpflege darüber nachdenkt in den nächsten zwei Jahren den Arbeitgeber zu wechseln. Mehr als jeder Fünfte denkt sogar darüber nach den Beruf komplett aufzugeben. Ein weiteres Problem ist: Jede dritte Altenpflegekraft und etwa ein Viertel aller Gesundheits- und Krankenpflegekräfte hat eine negative Prognose, ob sie überhaupt bis zur Rente ihren Beruf ausüben können.

FRAGE 5 Hohe Anforderungen, schlechte Rahmenbedingungen. Lässt sich so die Unzufriedenheit zusammenfassen?

OT5 Die überwiegende Mehrheit aller Befragten gibt an, dass der Pflegeberuf durchaus eine anspruchsvolle Tätigkeit ist und dadurch auch zukunftssicher ist. Es ist außerdem die Mehrheit der Meinung, dass sowohl die Bezahlung in der Pflege nicht angemessen ist als auch dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in diesem Berufsfeld nicht gegeben ist. Jeweils etwa die Hälfte aller Befragten würde den Pflegeberuf nicht als Ausbildungsberuf weiterempfehlen und ist der Meinung, dass der Pflegeberuf keine hohe gesellschaftliche Anerkennung genießt.

FRAGE 6 Betrachten wir die vergangenen Jahre, Stichwort: Coronavirus-Pandemie. Wie hat sich die Pandemie auf die Stimmung oder auch die Gesundheit der Pflegenden ausgewirkt?

OT6 Die Coronavirus-Pandemie übt bei den Pflegekräften im Vergleich zu anderen Berufsgruppen einen besonders großen negativen Einfluss auf deren körperliche sowie psychische Gesundheit aus. Besonders bei den Gesundheits- und Krankenpflegekräften besteht ein deutlich höheres Infektionsrisiko. Entsprechend war auch ein überdurchschnittlich hoher Anteil mindestens einmal mit dem Coronavirus infiziert gewesen. In dieser Berufsgruppe ist aber auch die höchste Impfquote im Vergleich zu finden.

FRAGE 7 Schwierige Bedingungen. Bei aller Unzufriedenheit und Belastung im Beruf – sehen Sie oder die von Ihnen Befragten auch positive Aspekte?

OT7 Auch unter diesen schwierigen Bedingungen gibt mindestens mehr als die Hälfte der teilnehmenden Pflegekräfte an, dass sowohl ihre Gesundheit als auch ihre Arbeitszufriedenheit mindestens gut ist. Auch sind viele ihrem Beruf treu und wollen dies auch bleiben. Der vermutete so genannte Pflexit ist also gar nicht so stark wie oft gemutmaßt wird. Zudem wird die Pflege als fachlich anspruchsvoll und auch als zukunftssicher angesehen. Da ist also sehr viel Potential in diesem Beruf. Insgesamt zeigt sich aber genau daran, dass jetzt die Notwendigkeit besteht, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass der Pflegeberuf attraktiv ist und damit auch demografie- und zukunftsfest wird.

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